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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 174 und 175)

A Künsilerprofil 
Albert Birkle 
 
Erst das Abklingen einer künstlerischen Entwicklung, die 
sich an Leitbildern wie Kandinsky, Mondrian oder Klee 
orientierte und so den Blickwinkel, unter dem die Zwi- 
schenkriegszelt betrachtet zu werden pflegte. wesentlich 
mitbestimmte und einengte, ließ die Vielschlchtigkeit der 
zwanziger Jahre in einem neuen Licht erkennen und 
schärfte den Blick iür die Verwandlungen, welche die 
sichtbare Wirklichkeit in der Kunst dieser Zeit erfahren 
hatte. So braucht es nicht zu verwundern, daß das frühe 
Werk eines Künstlers, der, wie Albert Birkle, nicht zu den 
Bahnbrechern gehort, erst in der Folge dieses Anschau- 
ungswandels in seiner Bedeutung erkennbar werden 
konnte. So durite der nun fast Einundachtzigiährige erle- 
ben, wie selbst engere Bekannte sich mit einem Birkle 
konfrontiert sahen] der nicht ihren durch Ausstellungen 
und kleinere Publlkatlonenl geprägten Vorstellungen vom 
Glasmaler und dem durch die Beschäftigung mit Glasfen- 
stern bestimmten Künstler entsprach. Die Übersiedlung 
von Berlin nach Salzburg im Jahre 1932, die unglückliche 
politische Entwicklung, der verheerende Krieg und die 
hernach folgende künstlerische Ausrichtung hatten 
selbst dem Maler sein frühes Schaffen in den Hintergrund 
treten lassen, von dem vieles noch unverkauft sorgfältig 
in seinem Haus gestapelt lag. 
Gemessen an den um 1890 oder kurz danach geborenen 
Wortführern der Neuen Sachlichkeit ist Albert Birkle be- 
reits ein Nachzügler. Seiner Herkunft nach - mütterli- 
cher- wie väterlicherseits Schwabe - hatte der gebürtige 
Berliner von Kindheit an reichlich Gelegenheit, Großstadt- 
und Landleben im Kontrast zu erfahren. Neigung und 
wohl auch ererbte Begabung zeigten sich früh. An seinem 
siebzehnten Geburtstag, anläßlich eines Landaufenthai- 
tes in der Umgebung von Nürnberg, vollendete er sein er- 
stes Ölbild, ein jugendliches Werk, aber doch nicht mehr 
kindlich genug, um nicht schon etwas von einem Bleiben- 
den in der werdenden Persönlichkeit zum Ausdruck zu 
bringen: Die detailreiche Bilderzählung ist in großzügig- 
malerischer Manier bewältigt. Mit wenigen sicheren Pin- 
selstrichen ist etwa das zahlreich den vHührterhofu bevol- 
kernde Federvieh treffend charakterisiert. Die dumpfen 
Farbtöne des vorherrschenden Braun und des gedämpf- 
ten Ftot erzeugen zusammen mit dem warmen, iastend 
wirkenden Licht eine Stimmung von Erdenschwere; hinter 
dem vordergründigen bunten Treiben liegt Stimmung von 
Vorfrühling, wie sie ein Föhntag ins Land bringt, das vor 
dem wiederkehrenden Erwachen des Frühlings steht. 
Man denkt an die Niederländer, die Birkle mit wachen Au- 
gen in der Gemäldegalerie gesehen haben kann, man 
denkt an die Monatsbilder von Pieter Breughel d. Ä., aber 
man spürt auch den Hang zur Romantik, der späterhin ta- 
tent wirksam ist. Die Neigung zu düsteren Stimmungen - 
zu etwas Unaufgedeckt-Unheimiichem bleibt hintergrün- 
dlg vorherrschend. Sie bestimmen auch seine Großstadt- 
schilderungen, ergreifen später seine Landschaften und 
brechen in seinen freien Allegorien zum Thema Tod ge- 
genständlich hervor. Nicht ohne Einfiuß auf den Heran- 
wachsenden ist die Tatsache gewesen, daß sein Vater ei- 
nen Groß-Dekorationsmaiereibetrieb aufgebaut hatte, der 
mit der Ausstattung schloßartiger Villen der neureichen 
Bourgeoisie der jungen Reichshauptstadt ein reiches Be- 
tätigungsfeld vorfand und sich nach dem Krieg auf die 
Ausstattung der zahlreich hervorsprießenden Vergnü- 
gungsbetriebe ausdehnte. Die fallweise Mithilfe an einem 
dekorativen Freskenauftrag mag an der Entwicklung der 
kompositionellen Begabung Birkles Anteil gehabt haben. 
Nach kurzem Militärdienst in der Kaserne, den das 
Kriegsende abbrach, trat Birkle in die Akademie ein. Al- 
tersbedingt mußte er besonders empfänglich sein für die 
urnwälzenden Ereignisse im Anschluß an den Krieg, ge- 
gen den er schon während seiner kurzen Wehrdienstzeit 
agitiert hatte. Die revolutionäre Stimmung nach dem Zu- 
sammenbruch des deutschen Kaiserreiches fand in sei- 
nen ersten Arbeiten an der Akademie ihren Niederschlag. 
Ausdruck fand sie In einer jugendlich übersteigerten Ge- 
bärdensprache, in bis zur Karikatur gesteigerten expressi- 
ven Pathosformeln. Die von einem fortgeschrltteneren 
Reilungsprozeß abhängige innere Dichte iehit den Erst- 
lingswerken. Sie sind altersbedingter i-Sturm und Drang- 
und damit ein wenig hohl und plakativ. Der rasch ablau- 
fende Prozeß der Reifung läßt sich an einer Serie von Por- 
träts des Herrn Spindler (1921 und 1923) gut verfolgen. Be- 
reits 1922 entsteht mit den "Letzten Hausernrt ein Werk 
von überzeugender Dichte. In ihm hat das Thema der 
Großstadteinsamkeit allgemeingültige Aussagekraft er- 
reicht. Die Verelendung des Großstadtproietariates be- 
schäftigt ihn. Zum Schauplatz werden vorwiegend die 
Häuserschiuchten der Großstadtstraßen. Die drastische 
Realistik der Szenen wird in einer malerischen Sprache 
vorgetragen. in den im Schwäbischen gemalten Land- 
schaften, mrt denen er zunächst an expressionistische 
Tendenzen anschließt, gewinnen schließlich starke Stili- 
sierungstendenzen Oberhand. Hiezu zählt auch der 1925 
entstandene "Tiergartenherbstr mit seiner stark symbol- 
haft gefärbten Aussage. 
Ein Jahr zuvor hatte Birkle ein Manifest in der satirischen 
70 
Zeitschrift "Lachen LiftkSu mitverfaßt und auch die illu- 
stration dazu geliefert. Der Aufruf wendet sich "An alle 
Künstler und Kunstschaffendenr- und fordert dazu auf, iür 
den Arbeiter den Achtstundentag durchzusetzen, um 
auch ihm Zeit und Gelegenheit zu einer Beschäftigung 
mit der Kunst zu bieten. Diese offensichtlich-soziokultu- 
reite Utopie wurde von namhaften Künstlern wie George 
Grosz, Rudolf Schlichter, Cari Hofer, Erich Heci 
Dix und anderen mitunterzeichnet} Die lilustrat 
Aufruf - drei karikierte Arbeiterköpfe vor der Kul 
Maschinenhalie der Borsig-Werke' - sollte Birkii 
nach dem Anschluß Österreichs an das Reich in E 
gezeigten Ausstellung "Entartete Kunst-l den Vori 
ralischer Entartung eintragen. 

	        
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