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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 176)

4 E.T.A. Hoffmannil: "Napoleon wird von Soldaten der 
verbündeten Nationen an der Leine nach Paris ge- 
bracht." - 1814, Leipzig. - Aquarell - Heutiger Ver- 
bleib des Originals unbekannt. 
5 E.T.A. Holfmannf): nNapoleon als Nußknacker." Ende 
181311814 - Kolorierter Kupferstich - Original heute 
im Museum für Geschichte der Stadt Leipzig. 
Anmerkungen 11 -16 
" Friedrich Schutze: Die deutsche Napoleon-Karlkatur. 1915. 
a.a. 0., Beiblatt vor Abb. 8x 
ß Friedrich Schutze; Unbekannte Karikaturen von E.T.A. Holi- 
mann aus dem Jahre 1816. in: Das literarische Echo. Halbmo- 
nalsschrift für Lltereturireunde. 16, 1914. Hrsg. von Dr. Ernst 
Heilborn. Berlin: Flelschel und 00., S. 896-898 
u Friedrich Schnapp: E.T.A. Hoffmanns Briefwechsel. Bd. 1. 
a. a. 0., S. 456 
" ebda, Faksimiieabdruck des Briefes neben S. 440 
ß Friedrich Schnapp: E.T.A. Hoffmann. Tagebücher. a.a.0., 
S. 229 
" Ernst Gdmbrlch: D25 Wesen der Karikatur. In: Veröffentlichung 
der Evangelischen Akademie (Tutzing) Jahrbuch 11, 1961, 
S. 287". 
5 
 
 
Das Blatt "Die Dame Gallia bezahlt ihren Ärztenrr 
könnte auf den ersten Blick wie eine idyllische 
Weihnachtsmann-Szene mit vertauschten Rollen 
erscheinen. Von einer drohenden Gefahr ist nichts 
zu sehen. 
In der r-Feierlichen Leichenbestattung der Univer- 
salmonarchieu ahnt der im damaligen Zeitgesche- 
hen nicht unterrichtete Betrachter in der linken 
Bildhalfte doch Beangstigendes: ein Mann fällt in 
Ohnmacht, dahinter nützt ein Jude den Moment 
und stiehlt seinem Vordermann das Schnupftuch. 
Darüber hängen dunkle Wolken tief vom Himmel 
herab, Regen ergießt sich daraus. Der zum Schutz 
aufgespannte Schirm hat ein Loch; er ist also 
nutzlos und die darunter Stehenden werden naB 
werden. Der Regen bedeutet für die Männer im 
übertragenen Sinn Bedrohung, Gefahr; der Regen 
steht sozusagen als Symbol dafür. Die Personen 
unter dem Schirm wähnen sich in Sicherheit, sie 
scheinen das Loch noch nicht bemerkt zu haben. 
Der Betrachter erkennt, daB alle in Bälde vom Fie 
genguB durohnaßt sein werden. Sie alle können 
dem Hegen, dem Symbol für das Böse und das Un- 
heil, trotz ihres Schirmes nicht entkommen. ihr 
"Schicksal" holt sie ein; ähnlich konnten auch 
Napoieon und seine Marschalls dem militärischen 
Untergang und den damit verbundenen Folgen 
nicht entrinnen. 
Sieht man das Dargestellte von dieser Warte aus, 
so denkt man unwillkürlich an Bilder von Pieter 
Bruegel d.Ä., in denen auch wiederholt ein Unheil 
im "Hintergrund" drohend lauert (vgl. "Der Vogel- 
diebrr, 1568, Kunsthistorisches MuseumlWien; 
nJager im Schnee", 1565, ebenda). Gedanken in 
dieser Fiichtung fortführen hieße sicher, E.T.A. 
Hoffmanns Zeichnung tiberzubewerten. Aber der 
große Hintergedanke, das Unheil, das feindliche 
Prinzip symbolisch auszudrücken und im Bild dar- 
zustellen, ist derselbe. Man darf dabei jedoch 
nicht vergessen, daß man mit Hoffmanns Blättern 
Vertreter des "graphischen Journalismusrr vor 
sich hat, die das Tagesgeschehen aufgriffen; d.h. 
sie waren von kurzer Aktualität und man wollte sie 
daher möglichst rasch und in zahlreicher Verviel- 
fältigung unters Volk bringen. 
Es stellt sich nun die Frage nach der Herkunft die- 
ser speziellen Art von politischer Karikatur, die 
von zirka 1812 bis 1815 in so starkem Ausmaß in 
Deutschland auftrat, und zudem die Frage nach 
eventuellen Anregungen, die Hoffmann verarbei- 
tet haben konnte. Zur letzteren Frage wurde teil- 
weise schon Stellung genommen. 
Das direkte Herkunftsland der Napoleon-Karika- 
tur war mit Bestimmtheit England. 
4 
Am 9. November 1799 hatte Napoleon durch einen 
Staatsstreich die Macht an sich gerissen und sich 
1804 zum Kaiser der Franzosen gekrönt. ln der Fol- 
ge unterlagen in Frankreich wie auch in Deutsch- 
land die wenigen noch erscheinenden Zeitungen 
strengen Zensuren. in dieser Zeit tauchten in 
Deutschland illegal ins Land gebrachte Karikatu- 
ren aus England auf, unter denen die Blätter von 
George Cruikshank (1792-1878), James Gillray 
(1756-1815) und Thomas Ftowlandson (1756 bis 
1827) die vorbildlichsten waren. Daneben entstan- 
den bald im Land selbst Satiren gegen den franzö- 
sischen Feind, vorerst aber noch anonym. Erst 
durch die Ereignisse Im Oktober 1812 (Rückzug 
Napoleons aus Rußland mit sehr großen Verlu- 
sten, Flucht Napoleons nach Paris) kam es zum 
allmählichen offenen Auftreten antinapoleoni- 
scher Satiren auch in Deutschland. Leipzig, der 
Ort der Völkerschlacht vom Oktober 1813, ent- 
wickelte sich immer mehr zum Zentrum des Kari- 
katurenhandels. Die englischen Karikaturen, die 
für die deutschen Zeichner Vorbild blieben, sind in 
ihrer Qualität durchwegs überlegen (vgi.: Grand- 
Carteret, wNapoleon l. in der Caricaturw, 1898). Le- 
diglich Namen wie Johann Michael Voltz (1784 bis 
1858) und Johann Gottfried Schadow (1764 bis 
1850) ragen in Deutschland hervor. Der Grund des 
Unterlegenseins der deutschen Zeichner liegt 
wahrscheinlich in ihrem Mangel an zeitgeschicht- 
licher Bildung. Eine objektive Berichterstattung 
war durch die Zensur der Zeitungen ja nicht mog- 
lich gewesen. ihren englischen Kollegen erging es 
da um vieles besser, und sie überbiickten daher 
die weltpolitische Gruppierung klarer; auch schei- 
nen sie sich in ihre Arbeiten viel intensiver vertieft 
zu haben. Das liberale, demokratische System in 
England hatte schon seit der Mitte des 18. Jahr- 
hunderts zu einem Aufkommen der politischen 
Karikatur geführt", und so hatte sich im Laufe der 
Jahrzehnte eine vom Volk verstandene "Bildspra- 
cheu entwickelt. Die englischen Künstler wußten 
auch, welche Darstellungen die Menschen an- 
sprachen und dadurch auch gut "an den Mann zu 
bringen" waren. 
Die deutschen Karikaturlsten konnten sich diesen 
Erfahrungsschatz zunutze machen. Leider blieb 
bei den meisten von ihnen, sei es nun Schadow 
oder auch E.T. A. Hoffmann, das Zeichnen von po- 
litischen Satiren nur eine Nebenbeschäftigung, 
die man entweder auf Grund von mangelnden son- 
stigen Aufträgen oder einfach aus blanker Geld- 
not heraus aufgriff. Letzteres war ja, wie früher be- 
reits erwähnt, bei Hoffmann der Fall. Er war an 
sich politisch keineswegs interessiert und las 
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