ben aller Völker iebendig...u" in diesem Sinn nah-
men die Volker an Napoieon, seinen Generäien
und Marschäilen und an der französischen Nation
"Rache". Die Karikaturisten, die ja für ein ihnen
unbekanntes Publikum zeichneten, mußten sich
darauf verlassen können, daß man ihre zu Bilde
gebrachten Gedanken auch verstehen konnte.
Und dafür griffen sie zu möglichst einfachen Mit-
teln; sie rechneten mit den instinktiven Reaktio-
nen des Betrachters, und Ihre Rechnung ging auf.
So sind für die meisten Menschen tief herabhan-
gende, dunkle Regenwolken etwas Bedrchendes;
man denkt daran, wie man sich vor dem zu be
fürchtenden Regenguß in Sicherheit bringen
könnte, man will Schutz suchen. Und ein heller,
klarer Himmel, der jeden Moment die aufgehende
Sonne erwarten laßt, wird empfängiiche Men-
schen froh und erleichtert stimmen. Genau dieser
zu erwartenden natürlichen Reaktion bedient sich
Hoffmann bei der Darstellung der Himmeiszone in
seinem Blatt vFeierliche Leichenbestattung der
Universalmonarchiew.
Auffallend an all diesen Biattern ist eine sog.
wSchwarz-Weiß-Malereiu. Es wird stets der Kampf
zwischen dem Guten und dem Bösen dargestellt
oder das Böse angeprangert. Ein Mittelmaß gibt
es nicht. Diese infantile Art des Aufzeigens eines
Tatbestandes, eines Geschehens, war notwendig,
damit das Volk den Sinn des Dargestellten leich-
ter verstehen konnte. Ein guter Karikaturist war
stets versucht, das Darzustellende zu vereinfa-
chen und unnötige Dinge wegzulassen. Dies gilt
auch für die Hoffmannschen Karikaturen. Der Be-
schauer will die gezeigte Szene rasch erkennen
und begreifen können. Er will am Entdecken der
Pointe Lust empfinden, die ihm aber bei allzu lan-
gem Grübeln-Müssen gewiß vergehen würde. Aus
diesem Grund haben sich die schon mehrfach er-
wähnten nErkennungszeichenu herausgebildet,
sei es nun z.B. der russische Bär. Mit Hilfe dieser
wSymboie-x, dieser etwas verfremdeten Realität
wird es dem Künstler oft leichter, einen Tatbe-
stand durchschaubarer zu machen, als dies in der
Realität selbst möglich ware. Die Karikatur er-
reicht damit eine wgieichnishafteu Wirkung. Man
denke hier an die im Blatt vDie Exorcistenv er-
wähnte übertragene Szene aus dem Neuen Testa-
ment (wGergesener Heerden-x) oder an die Dame
Gallia in derselben Darstellung, aus weicher der
Teufel ausfahrt, der sie lange besessen hat. Ohne
allzuviel hineininterpretieren zu wollen, ließe sich
bei Gallia etwa an das französische Volk denken,
das ebenfalls unter der Herrschaft Napoieons ge-
litten hat und davon geschwächt ist. Kaum ein Be-
trachter bekommt beim Anblick der schönen jun-
gen Dame Gefühle des Hasses und der Verach-
tung. Die menschliche Psyche reagiert auf eine so
dargestellte Frau mit angenehmen, entgegenkom-
menden Gefühlen. Hoffmanns Blatt nDie Exorci-
stenir ist nicht, wie etwa die meisten englischen
Karikaturen dieser Zelt, ein weiterer Beitrag zum
Schüren des Hasses gegen eine Nation, sondern
eher ein versöhnlicher Beitrag. Hoffmann zeigt
sich hier als Vertreter der nmodernen Poiitiku, wei-
che durch die Belträge, die Aufklärung und Huma-
nismus geleistet hatten, ihre ersten Schritte hin
zur völkerverbindenden idee machte. Bedenkt
man die damalige innenpolitische Situation Preu-
Bens unter König Friedrich Wilhelm iii. und iäßt
man die eben dargestellte Interpretation gelten,
so hat Hoffmann hier bahnbrechende Gedanken
im Bild darzustellen vermocht.
Von i-pathetisch-patriotischen Karikaturen, die le-
diglich erwähnenswerte Aiitagsprodukte seienu"
spricht der heutige Beschauer solcher Blätter ver-
mutlich deshalb so ieicht, da ihm der Bezug zu
dem damaligen Zeitgeschehen veriorengegangen
ist und man sich kaum mehr der Mühe unterzieht,
sich in die politischen Karikaturen aus dieser Zeit
einzusehen. Vor einer voreiligen Aburteilung von
Hoffmanns antinapoleonischen Karikaturen ist
daher zu warnen!
Die neue Form, die sich in diesen Blättern heraus-
gebildet hat, macht durch Ihre Einprägsamkeit
wett, was ihr an Eleganz fehlt.
wDie Karikaturisten lernten, sich knapp auszu-
drücken. Sie erwarben die Fähigkeit, politische
Tatbestände zur Pointe zu verdichten. Sie redeten
eine Sprache, die jeder verstand, auch der Mann
auf der Straße, den die Künstler der vorrevoiutio-
nären Zeit stets ignoriert hattenm"
Damit haben diese antinapoieonlschen Blatter der
Karikatur in Deutschland einen breiten Boden ge-
öffnet; die politische Satire blieb von nun an ein
stets vorhandener Faktor.
Abschließend sei noch erwähnt, daß der Umstand,
durch den die Karikatur zu einer alltäglichen Er-
scheinungsiorm werden konnte, zudem in der Er-
findung dreier wichtiger Dinge lag": die Lithogra-
phie wurde durch Aiois Senefelder zirka 1798 er-
funden, die Xylographie (Hoizstich) durch Thomas
Bewick Ende des 18. Jahrhunderts und erst 1820
der Stahlstich durch den Engiander Charles
Heath.
Weiters trugen die nun immer zahlreicher werden-
den Zeitschriften zu einer leichteren und vor allem
rascheren Verbreitung in größerer Auflage bei. im
Laufe des 19. Jahrhunderts kam es dann zu einer
nwirtschaftlich-kapitaiistischen Verwendung der
Erzeugnissen."
Anmerkungen 22 - 25
1' Ulrich Helmke: E. T,A. Hoffmann. Labensbericnt mit Bildern
und Dokumenten. Kassel: Wenderoth (1975). S. B0
1' Georg Plitz: Geschichte der europäischen Karikatur. Berlin: Dt.
Veri. d. Wissenschaften 1975, S. 92
24
1' Per Bjurstrcm: Karikatur lind lllustrationskunst. In: Neue Propy-
läen Kunstgeschichte Bd. 111 Die Kunst des 19. Jahrhunderts.
Hrsg. von Rudal1 Zeitler. Berlin: Propyläen-Verlag 1966. S. 263 H.
35 Theodor HeUSSI Zur Ästhetik der Karikatur. Hrsg. v. der G25. der
Bibiibghiign. (Stuttgart: Carl Keidel, Oiiizin Chr. Scheuiele)
1954, . 1
10 E.T.A. Hoffmann'?: r-Napoieon wird von Soldaten
verbündeten Nationen an der Leine nach Paris
brachtm (Ausschnitt aus Abb. 4)