MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 176)

ben aller Völker iebendig...u" in diesem Sinn nah- 
men die Volker an Napoieon, seinen Generäien 
und Marschäilen und an der französischen Nation 
"Rache". Die Karikaturisten, die ja für ein ihnen 
unbekanntes Publikum zeichneten, mußten sich 
darauf verlassen können, daß man ihre zu Bilde 
gebrachten Gedanken auch verstehen konnte. 
Und dafür griffen sie zu möglichst einfachen Mit- 
teln; sie rechneten mit den instinktiven Reaktio- 
nen des Betrachters, und Ihre Rechnung ging auf. 
So sind für die meisten Menschen tief herabhan- 
gende, dunkle Regenwolken etwas Bedrchendes; 
man denkt daran, wie man sich vor dem zu be 
fürchtenden Regenguß in Sicherheit bringen 
könnte, man will Schutz suchen. Und ein heller, 
klarer Himmel, der jeden Moment die aufgehende 
Sonne erwarten laßt, wird empfängiiche Men- 
schen froh und erleichtert stimmen. Genau dieser 
zu erwartenden natürlichen Reaktion bedient sich 
Hoffmann bei der Darstellung der Himmeiszone in 
seinem Blatt vFeierliche Leichenbestattung der 
Universalmonarchiew. 
Auffallend an all diesen Biattern ist eine sog. 
wSchwarz-Weiß-Malereiu. Es wird stets der Kampf 
zwischen dem Guten und dem Bösen dargestellt 
oder das Böse angeprangert. Ein Mittelmaß gibt 
es nicht. Diese infantile Art des Aufzeigens eines 
Tatbestandes, eines Geschehens, war notwendig, 
damit das Volk den Sinn des Dargestellten leich- 
ter verstehen konnte. Ein guter Karikaturist war 
stets versucht, das Darzustellende zu vereinfa- 
chen und unnötige Dinge wegzulassen. Dies gilt 
auch für die Hoffmannschen Karikaturen. Der Be- 
schauer will die gezeigte Szene rasch erkennen 
und begreifen können. Er will am Entdecken der 
Pointe Lust empfinden, die ihm aber bei allzu lan- 
gem Grübeln-Müssen gewiß vergehen würde. Aus 
diesem Grund haben sich die schon mehrfach er- 
wähnten nErkennungszeichenu herausgebildet, 
sei es nun z.B. der russische Bär. Mit Hilfe dieser 
wSymboie-x, dieser etwas verfremdeten Realität 
wird es dem Künstler oft leichter, einen Tatbe- 
stand durchschaubarer zu machen, als dies in der 
Realität selbst möglich ware. Die Karikatur er- 
reicht damit eine wgieichnishafteu Wirkung. Man 
denke hier an die im Blatt vDie Exorcistenv er- 
wähnte übertragene Szene aus dem Neuen Testa- 
ment (wGergesener Heerden-x) oder an die Dame 
Gallia in derselben Darstellung, aus weicher der 
Teufel ausfahrt, der sie lange besessen hat. Ohne 
allzuviel hineininterpretieren zu wollen, ließe sich 
bei Gallia etwa an das französische Volk denken, 
das ebenfalls unter der Herrschaft Napoieons ge- 
litten hat und davon geschwächt ist. Kaum ein Be- 
trachter bekommt beim Anblick der schönen jun- 
gen Dame Gefühle des Hasses und der Verach- 
tung. Die menschliche Psyche reagiert auf eine so 
dargestellte Frau mit angenehmen, entgegenkom- 
menden Gefühlen. Hoffmanns Blatt nDie Exorci- 
stenir ist nicht, wie etwa die meisten englischen 
Karikaturen dieser Zelt, ein weiterer Beitrag zum 
Schüren des Hasses gegen eine Nation, sondern 
eher ein versöhnlicher Beitrag. Hoffmann zeigt 
sich hier als Vertreter der nmodernen Poiitiku, wei- 
che durch die Belträge, die Aufklärung und Huma- 
nismus geleistet hatten, ihre ersten Schritte hin 
zur völkerverbindenden idee machte. Bedenkt 
man die damalige innenpolitische Situation Preu- 
Bens unter König Friedrich Wilhelm iii. und iäßt 
man die eben dargestellte Interpretation gelten, 
so hat Hoffmann hier bahnbrechende Gedanken 
im Bild darzustellen vermocht. 
Von i-pathetisch-patriotischen Karikaturen, die le- 
diglich erwähnenswerte Aiitagsprodukte seienu" 
spricht der heutige Beschauer solcher Blätter ver- 
mutlich deshalb so ieicht, da ihm der Bezug zu 
dem damaligen Zeitgeschehen veriorengegangen 
ist und man sich kaum mehr der Mühe unterzieht, 
sich in die politischen Karikaturen aus dieser Zeit 
einzusehen. Vor einer voreiligen Aburteilung von 
Hoffmanns antinapoleonischen Karikaturen ist 
daher zu warnen! 
Die neue Form, die sich in diesen Blättern heraus- 
gebildet hat, macht durch Ihre Einprägsamkeit 
wett, was ihr an Eleganz fehlt. 
wDie Karikaturisten lernten, sich knapp auszu- 
drücken. Sie erwarben die Fähigkeit, politische 
Tatbestände zur Pointe zu verdichten. Sie redeten 
eine Sprache, die jeder verstand, auch der Mann 
auf der Straße, den die Künstler der vorrevoiutio- 
nären Zeit stets ignoriert hattenm" 
Damit haben diese antinapoieonlschen Blatter der 
Karikatur in Deutschland einen breiten Boden ge- 
öffnet; die politische Satire blieb von nun an ein 
stets vorhandener Faktor. 
Abschließend sei noch erwähnt, daß der Umstand, 
durch den die Karikatur zu einer alltäglichen Er- 
scheinungsiorm werden konnte, zudem in der Er- 
findung dreier wichtiger Dinge lag": die Lithogra- 
phie wurde durch Aiois Senefelder zirka 1798 er- 
funden, die Xylographie (Hoizstich) durch Thomas 
Bewick Ende des 18. Jahrhunderts und erst 1820 
der Stahlstich durch den Engiander Charles 
Heath. 
Weiters trugen die nun immer zahlreicher werden- 
den Zeitschriften zu einer leichteren und vor allem 
rascheren Verbreitung in größerer Auflage bei. im 
Laufe des 19. Jahrhunderts kam es dann zu einer 
nwirtschaftlich-kapitaiistischen Verwendung der 
Erzeugnissen." 
Anmerkungen 22 - 25 
1' Ulrich Helmke: E. T,A. Hoffmann. Labensbericnt mit Bildern 
und Dokumenten. Kassel: Wenderoth (1975). S. B0 
1' Georg Plitz: Geschichte der europäischen Karikatur. Berlin: Dt. 
Veri. d. Wissenschaften 1975, S. 92 
24 
1' Per Bjurstrcm: Karikatur lind lllustrationskunst. In: Neue Propy- 
läen Kunstgeschichte Bd. 111 Die Kunst des 19. Jahrhunderts. 
Hrsg. von Rudal1 Zeitler. Berlin: Propyläen-Verlag 1966. S. 263 H. 
35 Theodor HeUSSI Zur Ästhetik der Karikatur. Hrsg. v. der G25. der 
Bibiibghiign. (Stuttgart: Carl Keidel, Oiiizin Chr. Scheuiele) 
1954, . 1 
10 E.T.A. Hoffmann'?: r-Napoieon wird von Soldaten 
verbündeten Nationen an der Leine nach Paris 
brachtm (Ausschnitt aus Abb. 4) 

	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.