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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 176)

erreicht und sich in mehrfacher Hinsicht geirrt. 
Die übliche ägyptische Doppelkrone" erscheint 
reduziert und verwandelt in Nr. 48, 50 und wohl 
auch 51: Die Krone Unterägyptens ist verstümmelt 
- die aufragenden Teile fehlen; andrerseits ist 
ein gezackter Reif neu eingefügt. Daß Schnorr 
überhaupt die Eigenart und Bedeutung der ägypti- 
schen Königskrone nicht richtig erkannt hat, be- 
stätigen Nr. 40 und 41, wo der Pharao nur einen in 
Ägypten unmöglichen gezackten Reif trägt - 
ähnlich wie später König David in Nr. 100ff. und 
134ff." Außerdem erhält sogar der Aufseher in 
Nr. 46 (+) eine Kopfbedeckung ähnlich den Kro- 
nen in 48, 50 und 51, nur daß der Reif fehlt, wäh- 
rend hier andrerseits die tatsächlich zur Königs- 
krone gehörende Uräusschiange an der Stirnseite 
angedeutet ist. (Vgl. auch die Wächter oder Auf- 
seher in Nr. 40, 43 links und 48 links und oben 
rechts.) Wenn Schnorr also die Abbildungen der 
Kronen bei Wilkinson 3, 354 eingesehen hat, war 
er in diesem Fall nicht sorgfältig genug." 
Soweit zu den Einzelmotiven. Darüber hinaus hat 
die Gesamtszene in Nr. 44 "Der lsraeiiten Dienst- 
barkeit und Drangsale in Egyptenu (nach 2. Mose 
1, besonders V. 13.14) in den wesentlichen Teilen 
eine unmittelbare Vorlage: das Wandbild mit den 
Arbeiten der Ziegelstreicher im Grab Nr. 100 in 
Theben, dem Grab Rechmires, des Wesirs unter 
Thutmosis lll. und Amenophis ii. Mit ziemlicher 
Sicherheit war auch hier Wilkinson der Vermittler 
(W. 2, 99). Er bot die am besten zugängliche Veröf- 
fentlichung; auch erörtert er dazu ausführlich den 
möglichen Bezug auf das betreffende Schicksal 
der lsraeiiten." Schnorr hat nach diesem Grabbild 
gegenüber seinem früheren Entwurf, der noch in 
der Cottaschen Bibel abgedruckt war, ein weitge- 
hend neues Bild geschaffen." Nur die Leitgedan- 
ken blieben bestehen, die meisten Details sind ra- 
dikal verändert oder hinzugefügt. 
Der ägyptischen Vorlage entsprechen: die beiden 
stehenden Männer links im Vordergrund, von de- 
nen der vordere sich einen Topf mit Ton oder 
Lehm aufladen läßt: W. Fig. 12 und 10 (vgl. ferner 
Fig. 2); der zwischen diesen beiden Männern sicht- 
bare Mann mit der Hacke: Fig. 11 sowie 13; der sit- 
zende Aufseher vorne links: Fig. 6; der gebückte 
Mann mit der Ziegelform vorne rechts: Fig. 14 so- 
wie 8; die Träger mit den Tragjochen und den ge- 
schichteten Ziegeln: Fig. 4 und 5; der prügelnde 
Aufseher ganz rechts: Fig. 3 (vgl. auch W. 2, 42); 
schließlich die - im dargestellten ,ausgespann- 
ten' Zustand allerdings wohl ungenau wiederge- 
gebene - Hacke ganz vorne links: W. oberer Strei- 
fen (vgl. auch W. 3, 248 und W. 4, 44). 
Nur kurz sei danach auf die Parallelen in den Bil- 
dern Nr. 46 (+) und 48 (oben links) verwiesen, de- 
ren Herkunft nun ebenfalls klar wird." Ausführli- 
cher bleibt noch die Art der Übernahme in Nr. 44 
zu betrachten. 
Mit Geschick hat Schnorr die Vorlage seinen eige- 
nen Kompositionsprinzipien und ästhetischen 
Maßstäben angepaßt. So ist aus isoliert nebenein- 
anderstehenden Gruppen oder Einzeifiguren ein 
räumlich aufgebautes und dynamisches Gesamt- 
bild geworden. Wie mehrfach in der Bilderbibel 
geht die erste Bewegungsrichtung von links vorne 
zur Bildmitte." Demgemäß ist die Beinstellung 
der beiden links stehenden Männer geändert: 
Statt - wie bei dieser Blickrichtung in den ägypti- 
schen Bildern und Reliefs üblich - des linken 
steht jeweils das rechte Bein vorn. Auch wurde der 
sitzende Aufseher überhaupt umgedreht und nach 
links unten plaziert, um die genannte Perspektive 
zu unterstreichen, während der hackende Mann 
zwischen den beiden Stehenden sich abwendet, 
so daß die Anschauung hier nicht überladen oder 
orientierungslos wird. Die Personen der rechten 
Bildhaifte sind der Bewegungsrichtung von rechts 
vorne zur Mitte hinten eingeordnet. Der Mann mit 
der Ziegelform vorne konnte - und muBte aus 
sachlichen Gründen - seine gebückte Stellung 
beibehalten. Die Stellung der Träger und des prü- 
geinden Aufsehers ist dagegen völlig geändert. 
Dabei wirkt neben dem Kompositionsziel wohl 
auch die Aussageabsicht mit; die Steigerung in 
der Dramatik und Brutalität konnte die vDrang- 
saleir der lsraeiiten noch deutlicher vor Augen füh- 
ren. Daneben ist im ganzen die prinzipielle Wand- 
iung in der Menschendarsteliung nicht zu verken- 
nen. Aus schlanken, hochbeinigen Figuren, bei de- 
nen nur die wichtigsten Umrisse in knappen Stri- 
chen angegeben sind, wurden mehr gedrungene, 
fester auftretende Gestalten mit genauer Heraus- 
modeliierung des Körperbaus. Mit Recht hat man 
bemerkt, daß Schnorrs vinterpretationenu in der 
Bilderbibel nin Korperauffassung und Gestik von 
einem barocken Charakter geprägt sindu." 
Abschließend bieten sich zwei allgemeinere Über- 
legungen zu den hier insgesamt registrierten 
Übernahmen ägyptischer Motive an, sowohl in be- 
zug auf die Tendenzen der Zeit wie in bezug auf 
die Persönlichkeit Schnorrs. Schnorr wollte mit 
seiner Bilderbibel "das Lehren und Predigen" für 
den christlichen Glauben "unterstützen", so wie er 
grundsätzlich die Aufgabe der bildenden Künste 
darin sah, "Antheil zu nehmen an der Erziehung 
und Bildung des Menschen-i". Das Bemühen um 
historische Treue im Sinne des neu entstandenen 
historischen Bewußtseins des 19. Jahrhunderts 
- mag das hier im einzelnen gelungen sein oder 
nicht - bewirkt bzw. zeigt, daß die Inhalte des 
christlichen Glaubens nicht allein als Angelegen- 
heit des Gefühls oder der existentiellen Einstel- 
lung, sondern auch der Bildung verstanden wer- 
den, und zwar auch gerade der Bildung im Sinne 
von Belehrung oder Wissen." Auf der anderen Sei- 
te kann darin zugleich etwas von der vielfach be- 
zeugten schlichten und direkten Frömmigkeit 
Schnorrs sichtbar werden. Für ihn hat sich alles 
genauso zugetragen, wie es in der Bibel steht. 
Dies bleibt für ihn letztlich Maßstab und Impuls 
seiner Kunst, obwohl er sich theoretisch gegen 
übertriebene "archäologische Genauigkeitenu 
wendet (s. oben). Der Rückgriff auf die authenti- 
schen ägyptischen Motive soll den Wahrheitsge- 
halt der biblischen Geschichten bestätigen und 
veranschaulichen. 
Anmerkungen 19 - 2B 
w Abbildung der Hauptiormen etwa bei Ch. Strauß, Kwnen (Lexi- 
kon der Agyptoldgle. hrsg. von W, Hslck - W. Wesiendori. 
au. a, Wiesbaden 19ao,sp.a11-a1s),sp.a12r. 
I" Ebenso ist in Nr. 40 und A1 der Voilbari des Königs ganz un- 
agyptisch, 
1' Auch von den ägyptischen Kdnigsthrcnen hatte er nurelne sehr 
vage Kenntnis: Nr. 40 und 48. Eine entfernte Verwandtschalt 
zeigt die voiutenartige Windung am oberen Ende der Lehne in 
Nr. 48; vgl. etwa W. 2, S. 195 und Tlfei XII. Ob mit den Stuten 
(aus Sie 7) tatsächlich die Form des dgyptischen Thronbuue 
wiedergegeben werden soll, SIQCYISiHÜ recm unsicher. Vqi. K. F. 
Kuhlrrianrl, Der Thron irn Alten Aewten. Untersuchungen zu Se- 
rnantik, ikonographie und Symbolik eines Herrechnitezaichens 
(Abhandlungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kai; 
ro. Agyptoiogische Reihe 10), Gliicksiadi 1911. mit Tnral m, 
Abb 5 
v w. 2', s". sarr. Vgl. ferner unten Anm. 24. - Weitere tmhe Verdi- 
ientlichungen des Grabbiides: i, Hosciiini. I Monument! 
deiPEgitto e della Nubia, 811.2, Pisa 1834 (Nachdruck: Coiiecv 
28 
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u 
u 
21 
u 
tlon des Ciassiques Egyptoiogiques, Geneve 1977i, Nr. XLIX; 
Champoliion (wie Anm. 1B) 511.2, Nr. OLXV. Doch waren diese 
beiden Taielwerke schwerer zugänglich und weniger handlich. 
Zudem ist das Werk Ghampollions im einzelnen nach den Denke 
meiern, nicht nach Sachgebieten gegliedert. 
Federzeichnung vom 30. September 1853. Original: Städtische 
Galerie im Lenbechhaus München, inv. Nr, G 1875. 
Vielleicht kann noch eine zusätzliche Beobachtung die Benut- 
Zilng Wliklnsons bestätigen. Nanh Seinen Ausführungen han- 
deli es sich bei dem Grabblid sicher nicht um isreeiitsn. Eines 
seiner Argumente dafür ist (2. S, 100), deß - anders als im 
Grabbiid und überhaupt bei den Ägyuterh - ih den äqyplischen 
Darstellungen der Bewohner Syriens und damit auch der israeli- 
ten die Männer Bärte tragen. in Schnorrs Bildern Nr. 44, 45 und 
4B tragen die meisten arbeitenden Männer im Unterschied lu 
den Auisehern Bärte. 
Vgl. im vorliegenden Zusammenhang Nr. 39. 40. 43, 48, 49. 
Märker-Stutimann (wie Anm. 618. 210. __ 
Schnorriwle Anm. 1) S. Vllie und 2a sowie in den Uberschriilen. 
Vgl. Singer (wie Anm. 1) S. 106. 
Vgl. das Ende des Zitats nach Lindner oben Anm. 10.
	        
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