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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 176)

Über den Tod denken.. 
homerischen Unterwelt weder Grab noch Blu- 
II Homer kennt aber auch nicht die schreckli- 
n Martern, die in der i-Äneistt die Hülle der Chri- 
I vorausnehmen. 
der auferstandene Christus über den Tod 
nphiert, ist der Tod in dieser Weit wirklicher 
, und der physische Tod bedeutet Zugang zum 
18H Leben. Platon mit seinem WPhQidQnII war 
ein erster wesentlicher Wegbereiter. Er lehrt 
Hoffnung auf die Unsterblichkeit, und sie 
:heint ihm vernünftig. Denkendes Leben wird 
ihm Vorbereitung auf den Tod und der Tod 
ilzustand wahren Wissens. Solche Vorstellun- 
können nur dann entstehen, wenn der Glaube 
die Unsterblichkeit fest gegründet ist. Der 
st ist verpflichtet, sich freudig den Tod zu 
schen, als eine Art Wiedergeburt. nMItten im 
en sind wir vom Tod umfangenu, schreibt Not- 
im 9. Jahrhundert, und er fügt hinzu: "Dem bit- 
n Tod überlaß uns nichti- Der bittere Tod ist 
r der Tod des Sünders. 
Matthäus-Evangelium enthält in Verbindung 
heidnischen, insbesondere ägyptischen Tradi- 
en bereits die gesamte mittelalterliche Kon- 
ion des Jenseits, des Jüngsten Gerichtes und 
Hölle. Die Paulus-Apokalypse beschreibt ein 
zdies und eine an Hölienquaien reiche Unter- 
. Augustinus und die Kirchenvater entwickel- 
daraus die bekannte Konzeption des Seelen- 
s. Das Mittelalter lebte ganz im Schatten der 
he, und diese formulierte eine gemeinsame 
xche, ein allgemeines verbindliches Orientie- 
issystem, das auch den Tod erfaßte. 
Die ältesten uns bekannten Todesrituaie, dann die 
ersten Liturgien erweisen eine gemeinsame Über- 
zeugung: Der Tod ist kein individueller Akt, son- 
dern Glied einer fundamentalen und ununterbro- 
chenen Kette. Die Anfänge der nartes moriendiu 
lehren, daß der Tod kein persönliches Drama ist, 
sondern eher eine Verpflichtung für die Gemein- 
schaft bedeutet, die Kontinuität der Gattung auf- 
rechtzuerhalten. Zwischen dem Augenblick des 
Todes und dem Ende des Lebens nach dem Tod 
liegt ein Zwischenreich, das das Christentum, wie 
alle Heiisreligionen, zur Ewigkeit ausdehnt. 
Die physische Präsenz des Leidens und der 
menschlichen Endlichkeit erklärt das Christentum 
restlos durch die Erbsünde: Es handelt sich dabei 
nicht, wie heute oder einst bei den Stoikern und 
Epikuräern, um die Hinnahme der vNaturu, einer 
biologischen Notwendigkeit, sondern um die An- 
erkennung eines untrennbar mit der Natur des 
Menschen verbundenen Bösen. im Johannes- 
Evangelium heißt es ja, "die ganze Welt liegt in der 
Gewalt des Bösen", und Jesus hat nach Lukas 
den Versucher nicht der Lüge gezlehen, als dieser 
ihm halle Reiche des Erdkreises in einem Augen- 
blick zeigte und zu ihm sagte: Dir will ich all diese 
Macht und Herrlichkeit geben; denn mir ist sie 
übergeben, und ich gebe sie, wem ich will-r. 
Die Unterwerfung unter das kollektive Schicksal 
wird verdrängt durch das Bewußtsein der mensch- 
lichen Individualität. Es triumphiert mit Bekehrun- 
gen, spektakulären Bußen und gewaltigen mäze- 
natischen Stiftungen. Der Humanismus und vor 
allem die neuplatonische Anthropologie bewirken 
ein erstarktes ich-Bewußtsein: Der Mensch wird 
Führer und Beherrscher seines eigenen Daseins. 
Er will in dieser Welt wie im Jenseits seine schöp- 
ferische identität bewahren, er weigert sich nun- 
mehr, sie in einer biologischen oder sozialen An- 
onymität aufgehen zu lassen. Das Individuum ver- 
doppelt sich gleichsam: es war einerseits genie- 
ßender oder leidender Leib, andererseits unsterb- 
liche Seele, die der Tod befreite. Der Leib ver- 
schwindet im Tod unter dem Vorbehalt der Aufer- 
stehung, die zwar als Dogma weiterhin in Geltung 
blieb, aber kaum mehr von Bedeutung war. Statt 
dessen setzte sich die Vorstellung einer unsterb- 
llchen Seele als Sieg des Individuums durch und 
bestimmte das Denken bis ins 18. Jahrhundert. 
Die Bedeutung des Bösen erfuhr eine rauschhafte 
Steigerung, sie war unabdingbar für die Liebe zum 
Leben, die ja wesentlich auf dem Bewußtsein sei- 
ner Hinfäiligkeit beruht. Der leidenschaftliche 
Wunsch, das ich in den Freuden des Lebens zu be- 
stätigen, hatte der Todesstunde eine neue und 
schreckliche Bedeutung gegeben, die im zweiten 
Teil des wAve Mariau als bezeichnendem Spiegel 
der Zeit zum Ausdruck kommt. Mit dem Buch- 
druck und seinen Illustrationen, die fürjedermann 
verstehbar waren, entstand eine neue Literatur- 
gattung: Bücher, die über die rechte Art und Wei- 
se des Sterbens Auskunft gaben. Die nlaiicirr, die 
des Lesens Unkundigen, konnten die Bedeutung 
ebenso erfassen wie die niiteratiu. Die Angst vor 
dem Jenseits erfaßte damals Bevölkerungs- 
schichten, für die der Tod bislang ein vertrauter 
Bestandteil des Alltagslebens war, ein bloßer 
 
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