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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 176)

Über-Gang. Die bildende Kunst ist voll von Darstel- 
lungen der Höiienqualen und spiegelt diese neue 
Angst. Vor allem die Gleichsetzung von Todes- 
stunde und Jüngstem Gericht bewirkt, daß die 
Angst vor einer trostlosen Ewigkeit sich auf den 
Tod selbst ausdehnt. 
Dennoch blieb seit den Anfängen die Sterbestun- 
de und damit der Tod selbst in einem Ritual ge- 
bändigt. Die Übernahme einer aktiven Rolle des 
Sterbenden, die Abschiedsszene und die Trauer- 
bekundung sind feste Bestandteile. Der Sterben- 
de war Mittelpunkt einer Versammlung: Ärzte und 
Hygieniker begannen über die sich im Sterbezim- 
mer drängende Menschenmenge zu klagen, aller- 
dings ohne großen Erfolg. Denn noch zu Beginn 
des 19. Jahrhunderts (Philipp Aries belegt einen 
Fall 1830 in Bad lschl) konnte jeder, sogar ein der 
Familie Unbekannter, wenn das Viaticum (die 
Sterbesakramente) zu einem Kranken getragen 
wurde, sich dem Priester auf der Straße anschlie- 
ßen und das Zimmer des Sterbenden betreten. 
Man starb öffentlich. Der Mathematiker und Philo- 
soph Blaise Pascal wagte 1662 die ungeheure Pro- 
phezeiung, daß man allein sterben werde. Heute 
ist dieser Satz zur Banalität verblaßt, denn man 
hat in der Tat die denkbar größten Aussichten, in 
der Einsamkeit eines Krankenzimmers zu sterben. 
Pascal sah aber bloß als erster die Konsequenz ei- 
ner unerhörten kulturellen Umwälzung. Mit wach- 
sender wissenschaftiicher Rationalität, ihren Er- 
findungen und technischen Anwendungen entglltt 
der stets mühsam gebändigte Tod seinen Fes- 
seln. Biinder Fortschrittsglauben bewirkte, daß 
der Tod alles, was ihm einst an Nahem, Vertrau- 
tem und Gezahmtem eigen war, wieder auflöst in 
heimtückischer Grausamkeit. Die letzten Worte 
von Hobbes sollen gewesen sein: wich tue einen 
schrecklichen Sprung ins DunkeLu in keiner Epo- 
che beschäftigte man sich dann so intensiv mit 
der Frage, was nach dem Tod folgt, wie in der Auf- 
klarung. Die Leugnung der Unsterblichkeit avan- 
cierte zur philosophischen Haltung schlechthin. 
Der Tod ist nicht mehr als ein unvermeidlicher und 
unangenehmer Unglücksfall der Natur, verkünden 
von da an die handiungslegitimierenden Theorien 
des Fortschritts. Dank der "Kraft der Vernunft" 
laßt das menschliche Leben viele Verbesserungen 
zu, und das whic et nuncu wird zum präsenten und 
einzigen Boden der Glückseligkeit. Die Unsterb- 
llchkeit galt nun als pfaifische Lüge, man müsse 
diese Vorstellung entlarven und ausrotten, um ein 
Leben in Freiheit und Glück für alle Menschen zu 
erlangen oder doch wenigstens für zukünftige Ge- 
neratlonen. Böses und individuelles Leid bilden 
bloß den Hebel zur Emanzipation. Die Abwesen- 
heit von Körper und Tod, von Geschlecht und 
Aggression, die Umstülpung all dieser Fakten in 
rein gesellschaftliche, die das ungenügende inter- 
pretatlonsangebot des Marxismus für unsere Exi- 
stenz kennzeichnen, hat im 18. Jahrhundert seine 
historische Wurzel. 
Der Tod wird durch die Zukunft verdrängt, durch 
die Verheißungen künftigen Glücks. Die Möglich- 
keit hat Vorrang vor der Wirklichkeit, die selbst 
bloß als Grenzfall des Möglichen erscheint. Was 
den. Tod angeht, so gehört das Wissen, wie man 
stirbt, einfach zur Lebenskunst eines aufgeklärten 
Weltbürgers. Hoibach, der Verfasser des einfiuB- 
reichen "Systeme de la naturew, verläßt sich ganz 
auf die Philosophie. Sie ist für ihn in Wahrheit 
nichts anderes als eine Meditation über den Tod. 
Wir müssen uns mit dem unvermeidbaren vertraut 
machen und dem Tod gelassen entgegensehen. 
Vor allem darf er nicht die Freuden des Lebens 
hindern: die Todesfurcht ist der einzig wahre 
Feind, den es zu überwinden gilt. 
Während Kant und Fichte den Glauben an die Un- 
sterblichkeit neu zu begründen versuchten, setz- 
ten sich die französischen Materiaiisten für eine 
stoische Haltung egenüber dem Tod ein, der für 
sie vollständige Vernichtung war. Die romanti- 
schen Dichterphilosophen fanden dagegen eine 
grundlegende neue Antwort auf das Todespro- 
biem. Die Angst vor dem Tod, die in den Phanta- 
sien des 17. und 18. Jahrhunderts aufkeimt, wird 
auf den Tod des geliebten Wesens hin verscho- 
ben. Der Tod ist "Trennung der Liebenden-x. Diese 
Antwort unterscheidet sich von der platonischen 
ldealisierung des Todes durch die Gefühisbetont- 
heit einer grenzen- und vernunftlosen Leiden- 
schaft. Der Tod wird Schönheit, Pracht, Größe und 
Heiligkeit zuleich, wie Hölderlin und Schieierma- 
cher verdeutlichen. Schellings Naturmystizismus 
verkündet: Der Tod ist schön wie die Unermeßiich- 
keit der Natur, schon wie das Meer oder die Heide. 
Novaiis steigert den Tod zum iiromantisierenden 
Prinzip des Lebensu, zu seiner Vollendung. "Leben 
ist der Anfang des Todes. Das Leben ist um des 
Todes willen. 
 
 
 
 
 
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