Peter Wind
100 Jahre Einbandkunst in der
Erzabtei St. Peter in Salzburg
Von den Salzburger Buchbinderwerkstätten der zwei-
ten Hälfte des 15. Jahrhunderts war bisher weitge-
hend nur die Werkstatt Ulrich Schreiers bekannt, des-
sen Salzburger Tätigkeit systematisch und umfassend
erstmals von G. Laurin' erfaßt und gewürdigt und von
Otto Mazal: durch Beschreibung von Einbänden mit
Kopfstempeldekor aus der lnkunabelsammlung der
Österreichischen Nationalbibliothek ergänzt wurde.
Bei der Werkstatt, von der Mazal annimmt, daß sie in
engem Zusammenhang zur Schreierschen Werkstatt
stand und im Salzburger Gebiet beheimatet war}
dürfte es sich allerdings um die Werkstatt des ehema-
ligen Benediktinerstiftes Mondsee handeln. da der
Großteil der bei Mazal abgebildeten StempeP nicht
der von Mazal gemeinten Salzburger Werkstatt (vgl.
die Motivzusammensetzung dieser Werkstatt in: Ver-
zierte Einbändeß, Werkstatt Salzburg ll) zuzuschrei-
ben ist, sondern der von dieser abhängigen Kloster-
werkstatt von Mondsee (vgl. Verzierte Einbände, Be-
schreibung der Werkstatt Salzburg ll). Auch die Buch-
binderwerkstatt von St. Peter konnte in der Untersu-
chung, die von F. R. Goffß gemacht wurde und die Be-
schreibungen und Motivabbildungen von Einbänden
sanktpeterischer lnkunabeln enthält, die sich jetzt in
der Library of Oongress in Washington befinden, nur
zum Teil vorgestellt und beschrieben werden. Erst die
unter Mitarbeit von G, Hayer erstellte Arbeit über die
verzierten Handschrifteneinbände von St. Peter] die
im Zusammenhang mit der Handschriftenkatatogisie-
rung gemacht wurde, konnte erstmals eine kurze
Erfassung der meisten Salzburger Buchbindenuerk-
statten geben, die von 1400-1600 in Salzburg tätig wa-
ren, und dabei auch eine Periodisierung der Tätigkeit
der sanktpeterischen Werkstatt vornehmen, die im
einzelnen im folgenden genauer charakterisiert wer-
den sollte.
Periode I, ca. 1450-1475
Wenn es auch in der Werkstatt von St. Peter erst ab
1450 in der zu beschreibenden Periode kontinuierli-
che Blindstempelverzierungen gab, darf doch ange-
nommen werden, daß in St. Peter schon die früher
vorgenommene Neubindung der Pergamenthand-
schriften und auch die Bindung der neu geschriebe-
nen Handschriften erfolgte, da sowohl hinsichtlich der
Streicheisenverzierung (sie ist auf den Einbänden der
Dombibliothek häufig rautenförmig) und auch in der
Angabe der Buchtitel (sie sind auf den Einbänden der
Dombibliothek unter Hornplättchen gelegt und mit Ei-
senblech gerahmt) zwischen den Einbänden der Dom-
blbliothek und jenen. von denen man annehmen kann,
daß sie in St. Peter entstanden, Unterschiede beste-
hen.
Die ab 1450 verwendeten Stempel, mit denen die Ein-
bände der Handschriften geschmückt wurden, ent-
stammen ausnahmslos dem vegetativen Bereich. Es
sind verschiedene Rosetten (vgl. Abb. 5, Nr, 2.3.5),
Blüten (vgl. Abb. 5, Nr. 1 und 4) und eine archaische
Llllenform (vgl. Verzierte Einbände. Stempel, Nr. 265).
Ihre Form ist zumeist sehr stark stilisiert, die Blätter
der Rosetten zu Punkten oder die der Blüten zu sten-
gelförmigen Gebilden reduziert. Anstatt der angemes-
seneren runden Grundform der Motive wird auch die
geometrisierende Quadratform gewählt. Trotz der we-
nigen Stempel, die In der vorliegenden Periode zum
Schmuck der Einbände herangezogen wurden, ist de-
ren Anordnung sehr abwechslungsreich und für die
Zeit fortschrittlich, da sie entgegen der sonst üblichen
gleichmäßigen Verteilung der Einzelmotive durch
Gruppierungen gegensätzlicher oder auch gleicher
Motive eine größere Differenzierung einzelner Flä-
chen und Felder, aber auch eine größere Betonung
EIHZQIFIST Punkte der Einbanddeckel ZU erreichen VET-
sucht. So wurde etwa durch die gegensätzliche,
wechselweise Anordnung einer größeren und schon
naturalistischer gestalteten Blüte und der kleineren
stilisierteren Punktrosetten auf dem Einband der Hs. a
ll 22 die Hervorhebung des Mittelpunktes und der Eck-
punkte und die Unterscheidung von Mittelfeld und
Rahmen bewirkt oder durch den Wechsel von runden
und quadratischen Punktrosetten eine gleichmäßige
Bewertung der vier Dreiecksfelder der Einbanddeckel
der Hs. b lV 41 (s. Abb. 1) erzielt. Ähnliche Komposi-
tionsmodelle zeigen auch die Einbände der Hss. a I
26, a lll 13, a lll 14, a lll 32,21 lli 38, a lll 39, aVll 25, b
VI 1B, b IX 7, b IX 15, b IX 22 und b X 2B. Auch die fries-
artige Aneinanderreihung von Motiven innerhalb der
zu Bändern erweiterten Streicheisenlinien (vgl. Ein-
bände der Hss. b lV 41 und b VI 18) dient dem gleichen
Zweck. Diese zuletzt genannte Form der Anordnung
ist aber auch von Bedeutung für die Beantwortung der
Frage nach der Tradition, in der der soeben kurz skiz-
zierte Verzierungsstil steht, da auch schon der Ein-
band der Hs. a X 20 aus dem Ende des 14. Jahrhun-
derts und der Einbände der Hss. a V 45, a Vll 27 und a
Xi 14 aus den dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts,
die alle in Salzburg hergestellt worden sein dürften, ei-
ne ähnliche Friesbildung und ähnlich stilisierte Roset-
ten (vgl. Verzierte Einbände, Stempel Nr. 349 und 362)
kannten. Anderseits vermag aber auch dieser Hinweis
den singulären Charakter des Einbandschmuckes der
ersten Periode der sanktpeterischen Werkstatt nicht
zu erklären, da die früher zum Schmuck der Einbände
gebrauchten Motive ab 1450 nicht mehr weiterver-
wendet wurden und da es im vergleichbaren Zeitraum
noch keine andere Salzburger Werkstatt gab, deren
Einbände kontinuierliche Blindstempelverzierungen
aufwiesen, und da schließlich die Werkstätten der
bayerischen Benediktinerklöster, wie etwa Attel am
lnn, Ebersberg oder auch Asbach, zu denen Beziehun-
gen in der Periode ll bestanden, zum vergleichbaren
Zeitpunkt schon viel naturalistischere Stempelformen
besaßen (vgl. etwa die Einbände, München, StB, Clm
2775 und 2776 oder St. Peter, Hss. b IX 8, b X 32 und b
Xll 4 aus Asbach oder die Einbände, München, StB,
Clm 3312 und 3317 aus Attel am lnn).
Periode ll: ca. 1475-1520
Die Periode ll der sanktpeterischen Klosterwerkstatt,
in der neben den neugescnriebenen Handschriften
auch die große Fülle neu gekaufter Wiegendrucke ge-
bunden und verziert werden mußten, ist die fruchtbar-
ste Zeit in der Geschichte der Werkstatt von St. Peter,
da völlig neue naturalistische Motive gebildet wurden,
die ebenso wie die der ersten Periode zum überwie-
genden Teil dem vegetativen Bereich entnommen
sind (vgl. die Auswahl der Motive dieser Periode auf
Abb. 5, Nr. 6-21 und die Zusammenstellung der ge-
samten Motive dieses Zeitraums in Verzierte Einbän-
de, Werkstatt St. Peter ll) und auch in deren Anord-
nung neue Wege beschritten und neue Lösungen auf-
gegriffen wurden, die dem bislang noch flächigen line-
aren Einbandschmuck mehr Tiefe und Plastizität ver-
liehen und eine andere, zumeist vorganischereix Motiv-
gruppierung (s. Kopfstempeldekor, Astrankenbordü-
ren) ermöglichten. Der Verwirklichung dieses Ideals
diente vor allem die Verwendung dünnhalsiger Kopf-
stempel, mit deren Hilfe rechteckige (vgl. die Einbän-
de der Hss. a IV 37, b lV 40 und b Vll 13), quadratische
(vgl. a lll 6, b ll 16), dreieckige (z. B. a IV 37, b II 23 und
b Vll 14) und auch rautenförmige (z. B. a Xll 4. b Vl 36,
b Vlll 27), meist symmetrisch geordnete (s. Ausnah-
me: Einband der Hs. a X18 : Abb. 2) Blattgefüge ent-
wickelt wurden, die sich von einer zentral gesetzten
Rose oder Rosette an die Peripherie und die Ecken
der entsprechenden Flächen erstreckten. Neben der
schreierschen Werkstatt, in der dieses Dekor in der
Zeichnung feiner, leicht geschwungener, naturnaher
Blattrippen zur höchsten künstlerischen Vollendung
geführt wurde, aber dort im Gegensatz zur sanktpeteri-
schen Werkstatt fast immer in unsymmetrisch, schrä-
ger Anordnung (vgl. z. B. Einbände der Hss. a lV 30
und b Xll 38) zur Ausführung kam und mitunter sogar
den Rahmen sprengend, sich über die ganze Deckel-
fläche ausdehnte (vgl. z. B. Einband der Hs. a lV 30),
dürfte in der Übernahme dieses Dekors auch ein Ein-
fluß der bayerischen Benediktlnerwerkstätten vorhan-
den gewesen sein, da dort, wie etwa in Prüll bei Re-