pen verwandelten Hüllen zeigt und sie wie Gespenster-
puppen agieren läßt.
Die dritte Gruppe neben den Außenseitern und Gespen-
sterpuppen zeigt Mitspieler und Schöpfer des w Weltun-
tergangstheaiersr wie die Schriftsteller Karl Kraus und
PeterAltenbergoderKampferfüreineneueÄsthetikwie
den Architekten Adolf Loos.
O. K. malt den Satiriker und Moralisten Kraus, der das
Wort von der Österreichischen Versuchssfaiion des
Welfuntergangesgepragthatjenen Kraus, derdieerste
Nummer seiner satirischen Zeitschrift Die Fackelmit
dem Motto versah: rrKeln tdnendes Was wir bringen,
aber ein ehrliches Was wir umbringen" hat sie sich als
Leitwortgewahltijenen Kraus,derseinen ausZitaten,
Ironie und Majestätsbeleidigung errichteten papiere-
nen Scheiterhaufen der Monarchie in seinem Drama
wDie Iemen Tage der Menschheirr auf die Bühne des
Untergangs gestellt hat. In der berühmten Zeichnung
O. K.s von KARL KRAUS, um 1900, Zürich, Sammlung
Feilchenfeldt (Abb. 18), tritter uns so gegenüber. als wä-
ren die beiden Seiten seines Wesens, die des geißein-
den Satirikers und die des mitlaidenden Menschen-
freundes einen Augenblick zur Ruhe gekommen, wäh-
renddie wild ausfahrenden Tuschstrichewie visuell um-
gesetzte Partiturfetzen nach Worten aus den vLelzren
Tagen der Menschheit" interpretiert werden können.
wDie Front ist in's Hinterland hineingewachsen, Sie wird dort
bleiben. Und dem veränderten Leben, wenn's dann noch eines
gibt, gesellt sich der alte Geisteszustand. Die Weit geht unter,
und man wird es nicht wissenßo
Kraus könnte auch gerade seine surreale Vision vorn
Wiener Leben konzipiert haben, eine im Sinne des frü-
hen Chagall malerisch leicht visuell übersetzbare
Untergangsvision:
u. . .was geht, steht. Die Pferde hängen in der Luft. Odersie kreu-
zen die Beine fidel wie die Kutscher. Die Ringstraße ist von ei-
nem gut gezwirbeiten Schnurrbart ausgefüllt. Man kann nicht
vorbei, ohne anzusloßen. Das Leben vergeht, ehe er sich ent-
fernt hat. Der Mann ist hoher als das Haus im Hintergrund. Er
verdecktden Himmel. Das Leben rlngs isttot. ich ging durch die
verlängerte Kärntner Straße. Eine Rauchwolke stieg in die
Nacht. Allmählich zeigten sich Konturen. Ein Einspänner stand
da und tat es mitten auf der Straße. Erfrage, ob ich fahren wolle.
Ich erschoß michßl
Zum Freundeskreis um Karl Kraus gehörte auch der
SchriftstellerPETERALTENBERG, um 1909, New York,
Privatbesitz (Abb. 19), dessen Seehundkopf mit dem
hängenden Schnauzbart O. K. im Bild festhält. Das Por-
trät zeigt den wextremstenir Individualisten der Wiener
Boheme, den feuilletcnistischen lmpressionisten mit
dem bekenntnishaft vorgetragenen iiLoiita-Komplexrr,
ebenso wie O. K. Mitarbeiter am Kabarett vFleder-
mausrr. Sein kurzes PrcsastückrMeineldealerrzeigtden
antiautoritären ironischcadaistischen Individualisten
in Reinkultur:
xDie Adagios in den Violinsonaten Beethovens.
Die Stimme und das Lachen der Kiara und der Franzi Panhans.
Gesprenkelte Tulpen.
Franz Schubert.
Solo Spargel, Spinat, Kipflererdäpfel.
Karolinen Reis, Salz-Keks.
Knut Hamsun.
Die Intelligenz, die Seele der Paula Sch.
Die blaue Schreibfeder ,Kuhn 201' etcx"
Weich ein unüberbrückbarer Gegensatz zur pompösen
MakartwelfderRingstraßeund zum scheinbarstaatser-
haltenden Pathos des Throntolgers Franz Ferdinand!
Deren Wett wird von Alfenberg zu atomisierten Stäub-
chen persönlicher, im Großen scheinbar folgenloser
Sensibilität aufgelöst.
Der Architekt ADOLF LOOS, 1909, Berlinlwest, Natio-
nalgalerie, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz
(Abb. 20), stellt sich mit dem Ruf Ornament ist Verbre
chen in die vorderste Reihe des kämpferischen Chors,
die wie O. K. den Vorhang des schönen Scheins zer-
reißt. In seiner ornamentlosen, nur von der Raumvor-
steilung konzipierten Architektur hat er als Pionier der
Moderne die ideale des Bauhauses und Le Corbusiers
vorweggenommen.
Loos ist der eigentliche Entdecker, erste Anreger und
früheste Mäzen Kokoschkas gewesen. Die Mehrzahl
der frühen Porträts ist durch Vermittlung Loos' zustan-
1')
degekommenundO. K. hatbiszum Ende immerwieder
die Geburfshellerrolie seines Freundes betont. rrDaß
Loos in meinen Bildern Kunstwerke sah, habe ich kaum
verstanden und faßte es als Schmeichelei auf. . .ri, sagte
er später in der Selbstbiographie".
Kokoschkas STILLEBEN MIT HAMMEL UND HYAZIN-
THE. 1909, Wien, Österreichische Galerie des 20. Jahr-
hunderts (Abb. I, 21), ist das Hauptstück der allegori-
schen Bewältigung von Verwesung, Untergang und Ver-
fall. Stellt man Carl Schuchs STI LLEBEN MITHUMMER,
1870, BerllniWest, Nationalgalerie, Staatliche Museen
Preußischer Kulturbesitz (Abb. 22), daneben, so erge-
ben sich zunächst die äußerlichen Unterschiede wie
von selbst. Beim Wiener Realisten Schuch eine ge-
schlossene Oberfläche, bei O. K. eine geheimnisvoll iri-
sierende, von flackerndem Licht erhellte. Das Schuch'-
sche Stiileben steht noch in der festen Tradition der im
17. Jahrhundert beginnenden niederländischen Stille-
benmalerei; die gewohnten Ausstattungsstücke des
bürgerlichen Dekors, wie Zinnkrug, Zinnschale und
Weinglas, sind auf der weißen Tischdecke zu einer aus-
gewogenen Komposition mit Vertikalen und Horizonta-
len vereinigt, sowohl die auf Hell-Dunkel-Effekt abge-
stimmte Beleuchtung als auch eine in die Tiefe gehende
Raumillusion bewegt sich in traditionellen Bahnen.
Nichts von alledem beiO. K. Die Objektesind inden Bild-
raum geworfen, wie zufällig zusammengekommen: Der
abgehäutete tote Hammel mit dem erschreckend offe-
nen blauen Auge, die Schildkröte, der rotbraune Stein-
krug, ein scheußlich rosa-weißer Lurch in einem Aquari-
um, eine knabbernde weiße Maus, eine weiße Hyazin-
the, und als einzige heile Farbakzentuierung in diesem
Abbild von totem oder alptraumartigem Getier das Rot
einer Tomate. Das alles gegen einen ungenau definier-
ten Hintergrund gestellt, in dem die Verwesungsfarben
Lila, Biäulichgrün und Schwarzwie in einerAlchimisten-
werkstatt kondensiert den Geruch sonnenloser, abseiti-
ger Halden nochmals verstärken. Kein Licht dringt von
außen ein, denn das kalte Mondlicht kommtvon den wei-
ßen, aus Hammelkörper, Lurch, Maus und Hyazin-
thenblüte gebildeten Flachen. Über die Entstehungsge-
schichte erzählt O. K.:
ivDer Hausherr hatte mich zum kommenden Ostersonntagsbra-
teneingeladen; erhatte am Markt ein Lamm eingekauft undwoiI-
te es mir in der Küche zeigen. Gewöhnlich kümmere ich mich
den Teufel um das, was ich esse, aber wie könnte ich etwas in
den Mund nehmen, was mich so vorwurfsvoll mit offenen Augen
anbiickte, nachdem es geschlachtet worden war. Der Hausherr
ließ mich eine Weile allein in der Küche. Auf dem Tisch lag die
Leiche, undweiles Karfreitagwar, dachte ichanden Menschen-
sohn, dem es nicht anders ergangen ist. Jeden Sonntag in der
heiligen Messe speisen die Gläubigen seinen Leib, und Gott sei
gedankt, daß auch Christus es nicht länger fühlt, auch das Mit-
gefühl nicht.
ich hatte den Eindruck, als ob die Augen des Lammes sich ver-
schieierten und dann erst richtig leblos wurden. Aber der Ge-
danke, daß dieses tote Ding nun gebraten und verzehrt werden
soiitel
Als der Hausherres an den steifen Beinen empcrzog. um es mir
recht zu zeigen, tropfte Blut aus dem Maul des Tieres . . . Wenn
ich sofort mit dem Stiileben begänne, wäre Zeit genug bis zum
Sonntag. Man konnte alles Beiwerk im Spielzimmer des Sohnes
finden: eine alte Schildkröte und in einem Aquarium einen Axo-
loti, einen rosaroten Lurch, der es schwer hat, ans Licht zu kom-
men, weii er in den unterirdischen Grotten in Kärnten nicht se-
hen kann.
Auch eine weiße Maus war noch da, die der Knabe so dressiert
hatte, daß sie von einem Stückchen Käse, mit der Hand ge-
reicht, knabberle, ohne wegzuiaufen.
.. .etwas mußte ich findemwas dem Ganzen ein Licht aufsetzte.
Selbstdie Tomateals Farbfleck ganz vorne hätte es nicht getan,
auch nicht der Stein von außen her gegen die alte verraucherte
Mauer und den ramponierten. antiken Ölkrug . . . Es war alles so
grau, traurig, seeienlos, wie im Reich der Vergessenen, der
Schatten im Hades, ]a wie aufeinem Friedhof. . . eifrig herumsu-
chend . , , fanden wir im Zimmer des Dienstmädchens auf dem
Fensterbrett eine weißieuchtende Hyazinthe im Topf voller Blü-
te. Elne Blumewle aus Wachs, wlekünstllch gemacht. Sie leuch-
tet wie das Ewige Licht selber im Dunkel ihr Duft erinnerte
mich an das Zimmer, wo ich früher ein totes Mädchen gezeich-
net hatte. Dle Hyazinthe duftete im frösteinden Verfrühting,
wenn man alles noch für ausgestorben hält. Sie zeigtwie ein Fin-
ger gen Himmel und besänftigt die ewige Furcht, daß alles eitel
ist . . .124
Das Stiileben mit Hammel und Hyazinthe ist wie eine
Messe der Verwesung, wie eine religiöse Feier des Un-
tergangs - die Elemente sind sowohl Kokoschkas eige-
ner Beschreibung zu entnehmen: Das Reich des Ver-
gessens, die Schalten des Hades, dersüßliche Hyazin-
thendult, der an das tote Mädchen erinnert - als auch
aus den erstaunlichen Entsprechungen in der zeitge-
nossischen Lyrik, vor allem im Werk der Expressioni-
sten Georg Trakl aus Salzburg und des Kokoschka-
Freundes Albert Ehrenstein. in dem Gedicht Trakls vAn
den Knaben Elisrr heißt es:
11.. . Dein Leib iSl eine Hyazinthe,
in die ein Mönch die wachsernen Finger taucht
Eine schwarze Hohle ist unser Schweigen
Daraus bisweilen ein sanftes Tier tritt,
Und langsam die schweren Lider senktii
Oder:
uAUifUiit. in verfailener Hütte
Aulfiatterl rnit schwarzen Flügeln die Fäulnis ..
Erscheinung der Nacht: Kroten tauchen aus silbernen Was-
59mm
(Georg Trakl: riAm MÜOIW)
nTrakls Themen und Motive sind weitgehend die glei-
chen wie Hofmannsthalsr, sagt Walter Muschg. "aber
er erlebt, was Hofmannsthal nur dichtet . . . der Sinn sei-
ner Kunst ist dieses Zerbrechen der Schönheitßä
Die Entsprechungen der durchgreifenden Neuinterpre-
tierung im Visuellen bei oft gleichbleibender Thematik
konnten wir auf dem Weg von Schuch über Kiimt zu Ko-
koschka feststellen.
Die Bewegung, Dramatisierung und der unruheer-
weckende Blick von oben ist auch hier ohne Van Gcgh
nicht denkbar. Man vergleiche etwa Van Goghs STILLE-
BEN MITÄPFELN, TRAUBEN UND BIRNE, l 887,Chica-
go. The Art Institute of Chicago (Abb. 23). Als Hinter-
grundmusik können wir uns bei Schuch noch die Kam-
mermusiktöne von Brahms, Grieg oder Debussy vor-
stellen - schon bei Van Gcgh müßte man die Rhythmik
Strawinskys und bei O. K.s Stiileben die Dissonanzen
Schönbergs wählen.
Für den Wiener Dichter jüdischer Herkunft, Albert Eh-
renstein, hat O. K. 1911 die Erzählung TUBUTSCH in
Kreidelithographie illustriert. im zweiten Absatz lindet
sich schon der bezeichnende Satz:
wDaß meine Seele ihr Gleichgewicht verloren hat, etwas in ihr
geknickt.gebrochenist,einVersiegenderinnerenQueiienistzu
konstalierenni
Ehrenstein beschreibt hier dadaistisch eine Mini-
Apokalypse wein Apokalypserlrr, wie der KritikerOtto Ba-
sil sagt, uhälb Diietto, halb Haraki in scheherazadi-
schemTonfallmltAnklangen an dieAnekdotikdergalizi-
schert Juden. . . hatschtTubutsch mit zwei linken Füßen
durch die zerfallende Zeit, deren Schatten ihn anfallen
wie Fleischerhundeß Ehrenstein widmet sein Gedicht
Tlberias Oskar Kokoschka, und die folgenden vier Zei-
len könnten auch als Paraphrasen zum Hammelstille-
ben aufgefaßt werden:
i-Tief blühen wüste, blau erglühte Blumen und sterben fauiend
in der Blüte.
Hier stinkt die Seligkeit nach müdem Mist
Weil dies der Garten des Verwesens istßö
O. K. hat in der Geriimpelkammer eines Wiener Bürger-
hauses diese Bühne der Verwesung aufgebaut, zu der
Trakl und Ehrenstein als Rhapscden des Unterganges
die Worte gefunden haben.
Kokoschka ist aber mehr als Kassandrastimme und
KassandrablickdesWeitendes,erdarfnichtnurimChor
der anderen Stimmen des Weltunferganges neben Mu-
sii, Trakl, Karl Kraus, Schiele, Kubin und Schönberg ge-
sehen werden. Wie alle genialen Werke, sind diese
mehr als dieSumme alierZeittendenzen. Das Talentbe-
schreibt und illustriert seine Zeit, das Genie aber
schließt sie in der transzendent gewordenen Form ein:
das Werk ist dann zum Diamanten im Reich des Geistes
geworden, dessen makeiloser, zeitloser Glanz immer
stärker ist als die eingeschmolzenen Strahlen aus der
Epoche seiner Entstehung.
Anmerkungen 20 - 26
1' Karl Kraus. nDiS letzten Tage der Merischheltn, v Akt, 4c 516715659.
1' Hans Weigel, man kraus-r. Wien, 1968, s. 12a.
11 Peter Allenberg, rDas Glück der verlorenen Stunden-r, München o J
IKÖSSI). S 3907
" Oskar Kokoschka, rMelh Leben-r. a a. 0., S. 77.
3' Oskar Kokoschka, IMein Leben-r, a. a. O , S. 89-91.
14 Walter Muschg. r-Von Trakl zu Brecht-l, München, 1963, S. 113
1' Albert Ehrenstein, lGedichte und Prosau, Neuwied, 1961, S. 250.