sich in diesem kurzen Schriftstück. Sein und seiner Bru-
derschaft Leben soll in vollkommener Armut vollzogen
werden. Wie Christus zur Zeit seines Wirkens keine
Wohnung hatte, so lehnt auch Franziskus für sich und
seine Anhänger das festgefügte Ordenshaus ab. wDie
Brüdersollen sich hüten, wosie auch sein mögen, sei es
in Einsiedeleien oder sonstwo, sich eine Niederlassung
anzueignen oder sie einem anderen streitig zu ma-
chen.r'
In der Lebensregel der Brüder in Einsiedeleien heißt es:
"Die Brüder sollen einen umgrenzten Wohnbezirk ha-
ben, in dem ein jeder seine Zelle haben kann, in der er
betet und schläft-P
Das wKloster-i der ältesten franziskanischen Siedlungs-
weise sollte demnach ein Platz in der Natur sein, zu-
meistan einem Ort,wcidie Natur in ihrerganzen elemen-
taren Kraft begriffen werden kann. Es bestand aus Fels-
hohlen oder gesondert gebauten Einzelbehausungen
aus Lehm und Astgeflecht. verstreut. zumeist um eine
Kapelle als Mittelpunkt gelagert. so wie es etwa die um-
grenzten i-Wohnbezirkeu um das Portiunkula-Kirchlein.
auf dem Berg Aiverna, bei den Carceri oder in Celle, den
DZGHGFN bei Cortona waren.
Anders verhielt es sich bei den Frauen. Denn lehnte
Franziskus für sich und die seinen jeden festen Wohn-
sitz ab, so verschloß er Klara und die ihr nachfolgenden
Schwestern um 1212 für immer hinter den Mauern von
San Damiano. Diese klösterliche Niederlassung be-
stand aus dem Kirchlein. das Franziskus selbst instand
gesetzt hatte, darum wurden zwei kleine Räume ge-
schaffen. die als Dormitorium und Oratorium dienten,
währenddem als Refektorium und Krankenstube der
kleine. in situ vorhandene praeromanische Komplex
verwendet wurde?
Armut galt auch hier als oberstes Gebot.
Der Gedanke der Armut, der sich aus dem Wollen des
hl. Franziskus ergab, die absolute Nachfolge Christi an-
zutreten, bestimmte sein Leben und sein Wirken. Mit
fortschreitender Bewußtheit setzte er sich mehr und
mehr zum Ziel, dem armen, nackten, demütigen und
schließlich gekreuzigten Christus zu folgen. im Erleben
der Stigmatisation am Berge Aiverna erreichte er die
seelische und körperliche Vereinigung mit Christus.
"Zwei Jahre bevor Franziskus seine Seele dem Himmel
zurückgab, weilte er in einer Einsiedelei. die nach dem
Ort. wo sie gelegen ist, Aiverna heißt. Da sah er in einem
Goltesgesicht einen Mann über sich schweben. einem
Seraph ähnlich. der sechs Flügel hatte und mit ausge-
spannten Händen und aneinandergelegten Füßen ans
Kreuz geheftet war. Zwei Flügel erhoben sich über sei-
nem Haupt. zwei waren zum Fluge ausgespannt, zwei
endlich verhüllten den ganzen Körper. Als der selige
Diener des Allerhöchsten dies schaute, wurde er von
übergroßem Staunen erfüllt, konnte sich aber nicht er-
klären, was dieses Gesicht bedeuten solle. Große Won-
ne durchdrang ihn, und noch tiefere Freude eriaßte ihn
über den gütigen und gnadenvollen Blick, mit dem er
sich vom Seraph betrachtet sah. dessen Schönheit un-
beschreiblich war; doch sein Hangen am Kreuz und die
Bitterkeit seines Leidens erfüllte ihn ganz mit Entsetzen.
Und so erhob er sich. sozusagen traurig und freudig zu-
gleich. und Wonne und Betrübniswechselten in ihm mit-
einander. Er dachte voll Unruhe nach, was dieses Ge-
sicht wohl bedeute. und um seinen innersten Sinn zu er-
fassen. ängstigte sich sein Geist gar sehr. - Während
er sich verstandesmäßig über das Gesicht nicht klar zu
werden vermochte und das neuartige an ihm stark sein
Herz beschäftigte. begannen an seinen Händen und Fü-
ßen die Male der Nägel sichtbarzu werden in der selben
Weise, wie er es kurz zuvor an dem gekreuzigten Mann
über sich gesehen hatte.
Seine Hände und Füße schienen in ihrer Mitte mit Na-
geln durchbohrt, wobei die Köpfe der Nägel an den Han-
den auf der inneren und an den Füßen auf der oberen
Fläche erschienen, während ihre Spitzen sich an der
Gegenseite zeigten. Die Male waren nämlich an der In-
nenseite der Hände rund, an der Außenseite aber läng-
lich. Es kam ein Stückchen Fleisch zum Vorschein, das
über das andere Fleisch hinausragte, gleich als ob die
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Spitze der Nägel umgebogen und umgeschlagen sei. In
der selben Weise, über das andere Fleisch hinausste-
hend, waren auch an den Füßen die Male der Nägel ein-
gedrückt. Fernerwar die rechte Seite wie mit einer Lan-
ze durchbohrt und zeigte einevernarbte Wunde, ausder
häufig Blut floß, so daß sein Habit und seine Hose oft-
mals mit heiligem Blut getränkt wurden.iir'(Vgl. Abb. 1 .)
"Franziskus. mit Christus dem Fleische und dem Geiste
nach ans Kreuz geschlagen. erglühte nicht allein in se-
raphischer Liebe zu Gott, sondern dürstete auch mit
Christus dem Gekreuzigten danach. daß eine große
Schar gerettet werderi, schrieb Bonaventura."
Was Bonaventura erahnend ausdrückte. formulierte
Franz von Meyronnes (1288 - 1327128) deutlich: ihm.
wie Bonaventura, ist riFranziskus der Engel des sech-
sten Siegels, der von Sonnenaufgang ernporsteigende
Engel mit den Zeichen des lebendigen Gotteser. Darüber
hinaus aber istfür Franz von Meyronnes Franziskus das
Bild des gekreuzigten Christus. Die Ähnlichkeit zwi-
schen Christus und Franziskus sieht Franz von Meyron-
nes bereits im Alten Testament vorgebildet. wÄhnlich
wie Adam nach seinem Bild und seiner Ähnlichkeit den
Seth zeugte, zeugte im Neuen Testament Christus Je-
sus. der zweite Adam nach der Lehre des Apostels, ei-
nen einzigen Sohn, nämlich den seligen Franziskus
nach seinem Bild, was die Seele oder den Geist betrifft,
und nach seinerÄhnlichkeit, was den Leib anlangt, dem
er dann die Abgestalt der hl. Stigmata einprägteß
Franziskus war zum rinovus Christusri, zum wiederer-
standenen Christus geworden. Und daher mußte ihm.
so wie Christus über Golgotha, der Schädelstätte. eine
riesige Grabeskirche errichtet werden.
Als Platz für die Grabeskirche des innigsten Nachfol-
gers Christi wählten die Brüder unter der Führung des
Elias von Cortona einen Flecken am Rande von Assisi,
der bisher Höllenhügel genanritworden war. da hier die
Hinrichtungen stattfanden. Der Hügel sollte durch die
Übertragung der Gebeine und der Errichtung einer
mächtigen Grabeskirche, gleich der, die Christus auf
Golgotha errichtet worden war, zu einem Paradieshügel
werden. Und so wie Christus, zurückgekehrt in sein
Reich. in der Glorie des Vaters schwebt. soll Franziskus
im Fresko der Unterkirche als wGloriosus-i verherrlicht
werden.
Die lmitatio Christi des hl. Franziskus, die bis zur Identi-
ficatiogeführt hatte. fand in dem mächtigen Grabesbau
ihre logische Vollendung -zu einerZeit, da Bonaventu-
ra weiterhin an der einfachsten Bauweise für franziska-
nische Kirchen gemäß dem Gebot des Ordensgründers
festhielt.
Franziskus setzte entgegen der bisherigen, durch rö-
misch-benediktinischeTradition getragenen Huldigung
dergöttliche Maiestätdiefromme Betrachtung des gött-
lichen Sohnes und beschäftigte sich vor allem mit der
Menschwerdung und dem Leiden Christi: vSo sehr be-
trachtete und erwog der selige Franz das Leiden des
Herrn, daß er es verdiente, gekreuzigt zu werden. Seine
erhabenste Auszeichnung bestand darin. daß er durch
die Einprägung der heiligen Wundmale zum Abbild des
Gekreuzigten umgestaltet wurden")
Nicht Franziskus. doch die ihm Nachfolgenden bedurf-
ten für das meditative Versenken in Christus, einer
Frömmigkeifshaltung. die es bislang nicht gab. eines
Mittlers. Mittler aber war das Bild. Eine Bildtafel. die in
der abendländischen, römisch-benediktinischen Tradi-
tion fehlte, da sie im Kirchenraum bisher ohne Funktion
war. Mosaiken oder Malereien an den Kirchenwänden
stellten die szenischen Folgen der Historien der Testa-
mente oder der Heiligenvilen dar.
Nun aber war das Verlangen nach einem wKultbildii ge-
geben, wurde doch Christus in ganz neuer Weise gese-
hen. Christus ist nicht mehr Gott, der allerhöchste Herr.
der selbst am Kreuz in majestätischer Haltung mit dem
Gesicht des Pantokrators steht und die Huldigung for-
dert. er istvielmehr in seinerMenschwerdung uns in Lie-
be ganz nahe gekommen und es heißt ihm zu begegnen,
ihn zu erfassen - in der Meditation, im Gebet, das bis
zur iiuniorr mit ihm führt. Der Typus des sieghaften, tri-
umphierenden Christus wird vom Typus des leidenden,
2 Tafeikreuz, dalmatinisch, Ende 12. Jahrhundert. Zadar.
Franziskanerkloster
Anmerkungen 4 - 10
t Ebenda. -Die nicht bSStällgiE Regel des Minderbrüderordens-r, s es.
' Ebenda. was Leben der Brüder in EIVISIEGEIEIEYIK, 5 so
- Vgl Rbrrianini Anglola Maria, nie Architektur der ersten NinZlSkanl-
Serien Niederlassungen, in Kai soo Jahre Franz von Asstsls. D . s 404
bis M l.
r rribmas von celanb. Leben und Wunder des ni. Franziskus vbn Assisi.
'WeriIWestf l964. S i62- iS3
' Franziskus. Engel dessechslen Siegels, Sßtri Leben nach den Schlitten
G95 Vll Bonaventura, WeriiWeslt 1952, S, 375
' FloßrrianmH, Derril Franziskus vonAssisialsAbbildChristi in derSicht
des Franz von Meyronnes in Franziskan. Studien, 1978, S. 168- 185.
"' Ebenda, S. i78