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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIX (1974 / Heft 136 und 137)

Für den Kunstsammler 
 
Franz Windisch-Graetz 
Vier kleine Tische 
ln einer dritten Folge der Berichte über die Möbel 
im Stift Kremsmünster sollen nun dem Leser vier 
kleine Tische vorgestellt werden. Gerade dieser 
Möbeltyp ist für die esteigerten Ansprüche signi- 
fikant, die während des Spätbarodß in zunehmen- 
dem Maße an eine angenehme und gepflegte Art 
der Einrichtung gestellt wurden. 
lm zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts vollzog 
sich in Österreich der Übergang vom italienisch 
orientierten Hochbarock zu dem unter dem Einfluß 
der französischen Regence stehenden Spätbarock. 
Sein arnamentales Leitmotiv war das sogenannte 
„Laub- und Bandelwerk", das Jean Berain (1640 
bis 1711) als Bereicherung der Groteske kreiert hatte 
und als dessen wichtigster Verbreiter im deutschen 
Sprachraum der Nürnberger Ornamentist und Archi- 
tekt Paul Decker (1677-1713) auftrat. Seine in Kupfer 
gestochenen Vorlagen „Neu lnventirtes Laub Bandl 
und Groteschgen-Werk" sowie andere ähnliche Ver- 
öffentlichungen fanden weiteste Verbreitung. 
Es ist aufschlußreich und reizvoll zugleich, an den 
vier Tischen zu beobachten, wie die hier tätigen 
Meister die Stilelemente des Hoch- und des Spät- 
barock bei jeder ihrer Arbeiten auf ganz ver- 
schiedene Weise miteinander in Verbindung brach- 
ten und wie keiner der Tische ausschließlich einer 
einzigen der zwei Richtungen allein verpflichtet er- 
scheint. Von einem strengen 5til- oder Modediktot 
kann also keineswegs die Rede sein, vielmehr war 
ein recht freies Spielen und Kombinieren unter- 
schiedlicher Anregungen und Traditionen durchaus 
möglich, ia sogar üblich und beliebt. Dazu hat sicher 
die ländliche Umgebung beigetragen, die immer 
überlieierungstreuer ist als das städtische bzw. hö- 
tische Kulturzentrum. Italienisches und Französisches 
werden miteinanderverbunden, und es kommen sogar 
noch ältere Reminiszenzen hinzu, die bis in die 
Renaissance zurürkreichen. Und doch macht keines 
der vier Ergebnisse den Eindruck, als wäre es ein 
Stückwerk aus heterogenen Teilen, sondern wirkt in 
seiner Gesamtheit durchaus harmonisch. 
Abb. 1, 2: Einer der Tische ist mit der Jahreszahl 
1723 bezeichnet. Damit ist freilich noch gar nichts 
darüber ausgesagt, ob der Meister auch stilistisch 
auf der Höhe seiner Zeit stand. Bei näherem Hin- 
sehen gelangen wir vielmehr zu einer gegenteiligen 
Meinung. Im Jahre 1723 sollte das Laub- und Band- 
werk bereits durchwegs seine voll ausgeprägte Form 
aufweisen. Aber davon kann hier nicht die Rede 
sein. Zwar finden sich in allen größeren Feldern 
und besonders im Mittelfeld Bänder und „Lauber", 
aber es fehlt ihnen jene kalligraphische Prägnanz, 
die gerade dieses Ornament in seinem reifen Sta- 
dium auszeichnet. Hier sind die breiten, rollenden 
Schwünge der Blattranken des Hochbarock noch 
ebenso beibehalten wie das alte Sternmativ in der 
Mitte des Feldes; die auf den Zweigen sitzenden 
Vögel lassen sich sogar noch viel weiter, nämlich bis 
in den Manierismus, zurückverfolgen. Auch die ge- 
drehten Säulen gehören dem Formenschatz des 
italienisch geprägten 17. Jahrhunderts an, während 
die in scharfen Knicken geführten Stege mit den in 
wechselnden Farben achtzackig aufgeleilten Feldern 
wieder aus dem späten Manierismus herüberge- 
nommen sind. Wir haben es also mit einem recht 
konservativen Meister zu tun. - Die verwendeten 
Holzarten sind in der Hauptsache Nußbaum- und 
Nußmaserholzfurniere, Eiben- und wiederum Nuß- 
baumhalz für die sich übersdineidenden Rahmen- 
bänder der intarsierten Felder, Ahornholz (graviert 
und mit heißem Sand schattiert) für die Marketerie. 
Höhe 81, Länge 115,5, Breite 75,5 cm. 
Abb. 3, 4: Auch bei diesem Tisch ist das Bandwerk 
von einem in weichen Wellen fließenden Duktus 
gekennzeichnet, wie er der frühen Entwicklungs- 
phase dieses Motivs entsprach. Ja man ist gar nicht 
immer sicher, ob es sich um Bänder handelt, deren 
Bewegung von Blattspiralen begleitet wird, oder ab 
es nicht doch viel eher Blattgebilde sind. Wieder 
finden sich - und diesmal sogar an prominenter 
Stelle - Erinnerungen an die große lntarsientradi- 
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