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Die geometrischen Reliefs
von Josef Hoffmann
Der Architekt Josef Hoffmann fertigte für die 14. Aus-
stellung der Wiener Secession (1902) zwei heute verlo-
renegeometrischeReliefsamdieerstinderjüngeren Li-
teraturzurungegenstandlichen KunstundzurKunstder
Jahrhundertwende in Wien eine ihrer Bedeutung ent-
sprechende Beachtung gefunden haben (Abb. 1 - 3).'
Trotzdemliegtnoch keine Analyseihrerformalen Struk-
tur vor, ebenso wie ihre Stellung im Rahmen des von
Hoffmann entworfenen Gesamtkonzepts und ihr Ver-
hältnis zum kunsttheoretischen und künstlerischen
Kontext des Jahrhundertbeginns noch keine ausrei-
chende Berücksichtigunggefundenhaben. Diemeisten
Autoren betrachten die Reliefs aus dem Blickwinkel der
theoretischen Überlegungen und der praktischen Ver-
suche, die seit den zwanziger Jahren in der geometri-
schen Kunstangestelltwurden.DarausresultierenAus-
sagen wie: Hoffmanns Relief? irübersprang in genialer
Unbefangenheit den noch bevorstehenden zweidimen-
sionalen Artikulatiortsprozeß der geometrischen Form,
dem einJahrzehnt später Kupkas ,Fugen' und .Vertikal-
pläne' angehören, und betrat den Bereich der drei-
dimensionalen ,Konkretlon',eine Problemlage also,rriit
der sich Malevitch, Vantongerloo und das Bauhaus
neuerlich auseinandersetzen sollteniif oder, daß Hoff-
mann vin kaum glaublicher Weise Entwicklungen vor-
wegnlrnmt, die erst etwa fünfzehn Jahre später im Neo-
plastizisrnus und der tide Stljlrt-Bewegung zur Reife
gelangten:
Mitdem ToposdertiVorwegnahmeiiwirdinderKunstge-
schichte eine Vorstellung vom vprophetischenw Schaf-
fen des genialen Künstlers vermittelt, welche im Wider-
spruch zum tatsächlichen historischen Geschehen
steht.JosefHoffmann-unddasgiltgleichermaßen für
alle Künstler vor ihm und nach ihm - konnte weder et-
was tivorweg-nehmenii noch nseiner Zeit voraus sein".
Die historische Tatsache ist vielmehrdie: Hoffmann hat
kurz nach derJahrhundertwendegemeinsam mit ande-
ren Künstlern der Secession durch konsequente Re-
duktion der formalen Mittel auf einfache, rechtwinke-
lige Elemente einen geometrischen Stil geprägt, der
seine Gestaltungen vom Bauwerk bis zum kleinsten
Schmuck- und Gebrauchsgegenstand bestimmte. lrn
Rahmen dieses künstlerischen Kontextes sind auch die
beiden geometrischen Reliefs entstanden.
Betrachtet man von diesem Standpunkt aus die Ent-
wicklungdesgeometrischen Gestaltensimzweiten und
dritten Jahrzehnt, dann lassen srch sehr wesentliche
Unterschiede feststellen. Sie betreffen sowohl die Stel-
lung des Werkes im gesamtkünstlerlschen Kontext als
auch diestrukturellen Grundlagen der Komposition und
deren kunsttheoretische Fundierung: Revolutionärwar
zum Beispiel die im zweiten Jahrzehnt getroffene Ent-
scheidung, die geometrischen Formen zur Gestaltung
autonomer Kunstwerke zu verwenden und diese an die
Stelle der traditionellen Werke der Bildkunst zu setzen.
Hoffmann entwickelte die Reliefs aus der Kombination
ernessymmetrischen Grundgerüstes undeinerdarüber
gelegten, formal ungebundenen Formstruktur. eine Ge-
staltungsweise, die den Prinzipien Piet Mondrians
grundlegend widerspricht. Schon diese Beobachtun-
gen reduzieren dre konkreten Gemeinsamkeiten zwi-
sehenden Reliefs undden WerkendesNeoplastizismus
auf die Verwendung einfacher geometrischer Formen.
DieAussage,Hoffmann habeamJahrhundertbeginnet-
was geschaffen, was die Leistungen von Mondrian und
Vantongerloo vorweggenommen habe, erweist sich als
falsch. Wäre sie richtig, würde sie diese Künstler zu
Epigonendegradieren. Diesgilt schließlich auchfürdas
Verhältnis der neoplastizistischen Maler und Bildhauer
zu den Künstlern der sechziger und siebziger Jahre. In
24
l XlV. Kunstausstellung
der Wiener Secession,
1902, linker Seitenraum