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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVII (1982 / Heft 184 und 185)

 
Thomas H. Fischer 
Suchbewegung im Feld der 
klassischen Moderne 
Über die Experimente 
des Malers Georg Jung (1899 - 1957) 
1 Georg Jung. Fragment vorn Deckenenlwurffür die Aula Aca- 
demlca in Salzburg, KohlelPapier, 112x 154 0m 
Unsere Blickrichtung auf die klassische Moderne der 
bildenden Kunst hat sich verändert: Galt zuvor das Au- 
genmerk fast ausschließlich der Biographie und Werk- 
beschreibung einzelner bedeutender Künstler - im 
nicht immer glücklichen Sinn einer wromantischen Ge- 
nietheoriew -, steht jetzt die gesamte kulturelle Bewe- 
gung der sogenannten Moderne im Vordergrund mit ih- 
ren vielfaltigen Verflechtungen. Neue Sichtweisen er- 
möglichten neue Entdeckungen. Als einige Beispiele 
unter vielen seien genannt: Bei allen kontroversiellen 
Gesichtspunkten der Biennale 1980 in Venedig galt das 
einhellige Lob dem als Maler nahezu völlig unbekannten 
Balthus (Klossowski de Ftola. geb. 1908 in Paris) oder 
den Bildern des Schriftstellers August Strindberg. Chri- 
stian Schad war bis vor einigen Jahren bestenfalls vlnsi- 
dernk ein Begriff. und auch diese brachten ihn einseitig 
bloß mit der Entwicklungsgeschichte des Dadaismus in 
Zusammenhang. Mittlerweile erreicht dieser Meister 
des Holzschnitts, Erfinder der nSchadographienu. Ver- 
treter des Expressionismus und der wneuen Sachlich- 
keitii zugleich am Kunstmarkt enorme Preise. Ganze 
Kunst- und Stilrichtungen werden neu bewertet, etwa 
die russische Avantgarde als Gesamtbewegung, und 
Namen wie Andreenko, Annenkow, Chaschnik. Kljun, 
Punietc.finden Eingang indie KunstlexikaderModerne. 
Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. 
Im Kontext solch veränderter Sichtweisen ist auch die 
Wiederentdeckung des Salzburger Malers. Graphikers 
und Experimentators Georg Jung (1899 - 1957) anzu- 
siedeln, der wie kaum ein anderer Künstler mit seinem 
Werk die Suchbewegungen der klassischen Moderne 
spiegelt. Das Museum Carolino Augusteum in Salzburg 
hat Jung in diesem Sommer eine umfassende Retro- 
spektive gewidmet und Albin Ftohrmoser einen gedie- 
gen ausgestatteten Katalog ausgearbeitet. Auf dessen 
informative Einführung in Leben und Werk des Künst- 
lers sei eigens verwiesen. 
Ein Grundzug des künstlerischen Schaffens von Georg 
Jung ist das Expressive: Deutsche Kritiker- allen vor- 
an Herwarth Walden - hatten das Wort Expressionis- 
mus vorgeschlagen, um iene neue Kunst zu bezeich- 
nen, für die der Ausdruck der Gefühle wichtiger ist als 
die Lösung bloß formaler Probleme. Jung - dessen 
zeichnerische Begabung sich in frühester Jugend be- 
merkbar machte- wurde von dieser Überzeugung mit- 
gerissen. Expressionismus. allenthalben vermengt mit 
kubistischen Einflüssen, beeinflussen das Werk bis et- 
wa 1924. Das Bild, gleichviel was es darstellt, wird zum 
Spiegel menschlicher Erregung. einerSpannung, eines 
nahezu rauschhaft gesteigerten Lebensgefühls. Be- 
reits in den frühen Arbeiten wird deutlich, daß für Jung 
die Stilmittel und Arbeitstechniken eher eine Frage der 
augenblicklichen psychischen Verfassung sind und 
kein Glaubensbekenntnis. Ervertritt keine geschlosse- 
nekünstlerischeldeologie.sondernehereinemenschli- 
che Grundhaltung, die die Äußerungen des Ich mit al- 
lem, was es an Bewußtem oder Unbewußtem enthält, 
gestalten will. 
Bevorzugtes Thema ist der Mensch: Jung untersucht 
das menschliche Wesen, und seine Bilder und Zeichen- 
blatter haben die Form eines Dialoges zwischen dem 
Abbild und dem Ich oder Du, der einen Konflikt offen- 
bart. Mit Besessenheitjagt ervon Porträt zu Porträt, von 
einer Physiognomie zur anderen, zeigt inneres und äu- 
ßeres Leben zugleich. Die LandschaftsbilderdieserZeit 
dienen einem ganz verwandten Anliegen: im Zusam- 
menhang von Form und Farbe als Spiegel des psychi- 
schen Ausdruckswillens des Künstlers zu dienen. inso- 
fern sind auch die Landschaften ganz wom Menschen 
besessenu. ln den Ölblldern ist der Farbauftrag vehe- 
ment, pulsierend; die Farbskalen - dunkel und kräftig 
- befragen einander, erzeugen verblüffende Spannun- 
gen. 
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