Thomas H. Fischer
Suchbewegung im Feld der
klassischen Moderne
Über die Experimente
des Malers Georg Jung (1899 - 1957)
1 Georg Jung. Fragment vorn Deckenenlwurffür die Aula Aca-
demlca in Salzburg, KohlelPapier, 112x 154 0m
Unsere Blickrichtung auf die klassische Moderne der
bildenden Kunst hat sich verändert: Galt zuvor das Au-
genmerk fast ausschließlich der Biographie und Werk-
beschreibung einzelner bedeutender Künstler - im
nicht immer glücklichen Sinn einer wromantischen Ge-
nietheoriew -, steht jetzt die gesamte kulturelle Bewe-
gung der sogenannten Moderne im Vordergrund mit ih-
ren vielfaltigen Verflechtungen. Neue Sichtweisen er-
möglichten neue Entdeckungen. Als einige Beispiele
unter vielen seien genannt: Bei allen kontroversiellen
Gesichtspunkten der Biennale 1980 in Venedig galt das
einhellige Lob dem als Maler nahezu völlig unbekannten
Balthus (Klossowski de Ftola. geb. 1908 in Paris) oder
den Bildern des Schriftstellers August Strindberg. Chri-
stian Schad war bis vor einigen Jahren bestenfalls vlnsi-
dernk ein Begriff. und auch diese brachten ihn einseitig
bloß mit der Entwicklungsgeschichte des Dadaismus in
Zusammenhang. Mittlerweile erreicht dieser Meister
des Holzschnitts, Erfinder der nSchadographienu. Ver-
treter des Expressionismus und der wneuen Sachlich-
keitii zugleich am Kunstmarkt enorme Preise. Ganze
Kunst- und Stilrichtungen werden neu bewertet, etwa
die russische Avantgarde als Gesamtbewegung, und
Namen wie Andreenko, Annenkow, Chaschnik. Kljun,
Punietc.finden Eingang indie KunstlexikaderModerne.
Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
Im Kontext solch veränderter Sichtweisen ist auch die
Wiederentdeckung des Salzburger Malers. Graphikers
und Experimentators Georg Jung (1899 - 1957) anzu-
siedeln, der wie kaum ein anderer Künstler mit seinem
Werk die Suchbewegungen der klassischen Moderne
spiegelt. Das Museum Carolino Augusteum in Salzburg
hat Jung in diesem Sommer eine umfassende Retro-
spektive gewidmet und Albin Ftohrmoser einen gedie-
gen ausgestatteten Katalog ausgearbeitet. Auf dessen
informative Einführung in Leben und Werk des Künst-
lers sei eigens verwiesen.
Ein Grundzug des künstlerischen Schaffens von Georg
Jung ist das Expressive: Deutsche Kritiker- allen vor-
an Herwarth Walden - hatten das Wort Expressionis-
mus vorgeschlagen, um iene neue Kunst zu bezeich-
nen, für die der Ausdruck der Gefühle wichtiger ist als
die Lösung bloß formaler Probleme. Jung - dessen
zeichnerische Begabung sich in frühester Jugend be-
merkbar machte- wurde von dieser Überzeugung mit-
gerissen. Expressionismus. allenthalben vermengt mit
kubistischen Einflüssen, beeinflussen das Werk bis et-
wa 1924. Das Bild, gleichviel was es darstellt, wird zum
Spiegel menschlicher Erregung. einerSpannung, eines
nahezu rauschhaft gesteigerten Lebensgefühls. Be-
reits in den frühen Arbeiten wird deutlich, daß für Jung
die Stilmittel und Arbeitstechniken eher eine Frage der
augenblicklichen psychischen Verfassung sind und
kein Glaubensbekenntnis. Ervertritt keine geschlosse-
nekünstlerischeldeologie.sondernehereinemenschli-
che Grundhaltung, die die Äußerungen des Ich mit al-
lem, was es an Bewußtem oder Unbewußtem enthält,
gestalten will.
Bevorzugtes Thema ist der Mensch: Jung untersucht
das menschliche Wesen, und seine Bilder und Zeichen-
blatter haben die Form eines Dialoges zwischen dem
Abbild und dem Ich oder Du, der einen Konflikt offen-
bart. Mit Besessenheitjagt ervon Porträt zu Porträt, von
einer Physiognomie zur anderen, zeigt inneres und äu-
ßeres Leben zugleich. Die LandschaftsbilderdieserZeit
dienen einem ganz verwandten Anliegen: im Zusam-
menhang von Form und Farbe als Spiegel des psychi-
schen Ausdruckswillens des Künstlers zu dienen. inso-
fern sind auch die Landschaften ganz wom Menschen
besessenu. ln den Ölblldern ist der Farbauftrag vehe-
ment, pulsierend; die Farbskalen - dunkel und kräftig
- befragen einander, erzeugen verblüffende Spannun-
gen.
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