gemein verständlich gewesen ist. Liebenwein verwen-
det nun in seinem Zyklus bis auf eine Figur nur allge-
meinverstandliche Szenen aus dem Alltagsleben der
Menschen. Das Programm gliedert sich daher in eine
mittlere Komposition, an die links und rechts Szenen an-
schließen, deren ieichtverständliche Bildlichkeit sich
darauf bezieht.
Die Mitte zeigt vor einer Hecke mit früchtetragenden
Bäumen einen dreischaligen Brunnen, in welchen die
von links kommenden Frauen und Männer mit Eimern
Wasser gießen, das auf der rechten Seite von Frauen
wieder entnommen wird, um es an die folgenden Sze-
nen weiterzureichen. Ohne Zweifel sind die Baume mit
den Früchten, aber auch der Brunnen Metaphern (Bil-
der) der menschlichen Sprache, deren Inhalt jeder-
mann verständlich ist und die in poetischer Form die Be-
deutung der Sparkasse symbolisieren. Diese zentrale
ldeedes Sammelns. Bewahrens und Weitergebenswird
in den weiteren Szenen ausgebaut und differenziert.
So umfassen die vier Bilder der linken Seite folgende
Szenen: Am Beginn steht ein Bild, das durch Kessel-
schmiede, Maschinen und rauchende Schlote deutlich
auf die Industrie anspielt als einer Voraussetzung des
von der Sparkasse zu hütenden Wohlstandes. Auf die-
ses Bild folgt eine Komposition, die in der Kartonversion
nicht mehrvorhanden ist, aber im Original die Bauwirt-
5 Max Liebenwein, Allegorie auf die Altersfürsorge
hält. Wahrscheinlich ist dieser Maler ein Selbstbildnis
des Künstlers.
ln diesen vier Kompositionen sind auch noch die Blu-
men und die leuchtenden Rosen von bildlicher Bedeu-
tung. Alle Szenen ereignen sich im Freiraum vor einem
goldenen Himmelsgrund und einem landschaftlich-
oberösterreichischen Szenarium. In diesen acht Sze-
nen verwendet Liebenwein eine starke und leuchtende
Farbigkeit, er verleiht damit seiner liebenswürdig-
schlichten Umsetzung literarisch-gedanklicher Sach-
verhalte eine heitere. poetische Dimension, wie sie
auch in Volksliedern zu linden ist.
Als Maximilian Liebenwein diesen Zyklus malte. hatte in
Wien derJugendstil seinen Höhepuntk erreicht. Als Mit-
gliedderWienerSecession warermitailen Ereignissen,
diesich voraliem aufdem Wiener Boden im Zusammen-
hang mit der sogenannten nKlimtgruppe-x abspielten.
bestens vertraut. Für diese Wegbereiter der Moderne
waren die allegorischen Kompositionen ein durchaus
vertrautes Genre, hatten doch Ernst und Gustav Klimt
sowie Franz von Matsch selbst die Räumlichkeiten des
Burgtheaters. der Museen und der Wiener Universität
mit derartigen Kompositionen geschmückt. Die Frage,
die sich der heutige Betrachterdahervorsoichen Arbei-
ten stellen mag; WHBÜEU solche Bilder unabhängig von
ihrem Inhalt auch eine ästhetische Wertigkeit und worin
schaft darstellt. indem es Maurer bei der Einrichtung ei-
nesiBauwerkeszeigt. ln der Fortsetzung sind zwei Bilder
der Landwirtschaft vorbehalten. Ein Pferdegespann mit
Pflug undjungem Bauersowie einvon einem Bauern ge-
führtes Ochsengespann dienen der Verdeutlichung der
für Oberösterreich so wichtigen Landwirtschaft. Diese
Bedeutung wird nicht nur durch die Aufteilung auf zwei
Bilderbetont, sondern auch durch die Beifügung derein-
zigen allegorischen Figur im ganzen Zyklus, Liebenwein
laßt das Ochsengespann begleiten von einer geflügel-
ten nackten Frauenfigur. die auf einer Kugel steht und
Füllhorn und Zaumzeug in den Händen hält. Mit dieser
Figur zitiert Liebenwein einen Künstler, der zeitlebens
ein großes Vorbild für ihn gewesen ist, nämlich Albrecht
Dürer. Dieser hat um 1501l1503 unter dem Elnfluß sei-
nes humanistischen Freundes Willibald Pirkheimer ei-
nen großen Kupferstich von dieser Figur geschaffen,
derwDasgroße Glück-r genanntwird und diegriechische
Schicksalsgottin nNemesisv wiedergibt.
Alle bisherigen Bildersind als eine szenischeAbfolge zu
verstehen. sie sind auf das Zentrum ausgerichtet und
stellen die bildhafte Wiedergabe alles dessen dandas
zur Bildung des Kapitals beiträgt. Die rechts vom Brun-
nenzentrum (: Sparkasse) angeordneten Bilder sind
nun jenen Bereichen vorbehalten, denen das Wasser
(: Kapitabwlederzugute kommt. also alle humanitären
und kulturellen Bereiche. Wir erkennen die Armen- und
Altenfürsorge, die Kinder- und Mütterfürsorge sowie die
Krankenpflege. Den Abschluß bildet eine Szene mit jun-
gen singenden und musizierenden Frauen sowie einem
Maler, dervorseinerStaffelei steht und darauf allesfest-
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Die gesamte Kartonfassung Max Liebenweins (Abb, 1 - 9) ist in
Kaseiniarben gemalt und 1908 entstanden.
besteht dieseftu, war diesen Künstlern noch nicht rele-
vant.AuchdieAuffassungvonderAutonomiedes Bildes
gegenüber allen inhaltlichen Bestimmungen war noch
nicht von allzu großer Bedeutung.
Ohne Zweitel sind diesen Kompositionen Maximilian
Liebenweins Inhalt und Form gleicherweise bestim-
mend und zu einergelungenen Synthese gebracht. Die-
serzwischen Moritzvon Schwind und Arnold Böcklin an-
gesiedelte Künstler hat die Strukturen des Jugendstiles
in eigenwilliger Art stilisiert und damit einen Aspekt in
der Wiener Secession vertreten, der volksnah. mär-
chenhaft und romantisch gewesen ist. Maximilian Lie-
benwein versuchte immer. seine Bilder mit den allen
Wiener Secessionisten gemeinsamen ästhetischen
Grundlagen zu gestalten. So bediente er sich bei der
Realisierung seines Linzer Frieses des von den Wienern
propagiertenFlächenstils.derhiertrotzeinerNahezum
Naturalismus die zweidimensionale Flachigkeit und
den starken Kontur bevorzugt. Dieser mehr zeichneri-
sche als malerische rrKonturenstilr gibt seinen Kompo-
sitionen schlichte Festigkeit und bäuerliche Stabilität,
denen eine ornamental-dekorative und leuchtende Ko-
loristik eine naiv-heitere und poetische Wirkung ver-
leiht.
In dem für die Linzer Allgemeine Sparkasse geschaffe-
nen Bilderzyklus hinterließ Liebenwein ein Werk, das
neben dem von Gustav Klimtund Leopold Forstner etwa
um dieselbe Zeit geschaffenen Zyklus für das Palais
Stoclet in Brüssel einen zwar andersartigen. aber nicht
weniger signifikanten Beitrag des österreichischen Ju-
gendstils darstellt.