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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVIII (1973 / Heft 130 und 131)

Manfred Koller 
Der unbekannte 
Künstlerkreis von 
J. L. Hildebrandts Frühwerk 
Der 300. Geburtstag des großen österreichischen 
Barockarchitekten im Jahre 1968 ist - im Ge- 
gensatz zu den mit großen Ausstellungen be- 
gangenen Jubiläen seiner Antipoden Johann 
Bernhard Fischer und Jakob Prandtauer wenige 
Jahre zuvor - ohne iede öffentliche Würdigung 
vorübergegangenL Auch in der Kunstpublizistik 
ist es seit dem Tod von Bruno Grimschitz 
(1966) f, des unermüdlichen Erforschers und Ver- 
mittlers von Hildebrandts Kunst, um dessen Werk 
still geworden. Dabei reicht dieses in seltener 
Spannweite von der kaiserlichen bis zur dörfli- 
chen Architektur und von Franken bis zum Bal- 
kan, wobei die Donouländer mit Wien den 
geographischen und künstlerischen Mittelpunkt 
in der Reihe seiner Aufträge bilden f. 
Der Umfang seines Guvres wird noch zahlreiche 
Erweiterungen erfahrent. Zum ursprünglichen 
Aussehen (vor allem der Farbigkeit) seiner Bau- 
schöpfungen wird die Denkmalpflege neue Er- 
gebnisse präsentierens. Die reiche Ausstattung 
der Profanbauten an Gemälden, Skulpturen oder 
Mobiliar ist iedoch - von wenigen Ausnahmen 
abgesehen - in Anbetracht der ursprünglichen 
Vielfalt und Pracht nur in Resten erhalten und 
historisch kaum erfaßt. Dabei setzt aber die 
gerade an den Bauten Hildebrandts so faszinie- 
rende Einheitlichkeit auch der Innendekoration 
als barockes Gesamtkunstwerk nicht nur kon- 
krete Vorstellungen über Funktion und lkonogra- 
phie der Räume vorausß, sondern konnte auch 
nur durch das Zusammenwirken von Bauherr und 
Architekt (samt Bauführer) mit einer größeren 
Zahl von Bildhauern, Malern und Dekorateuren 
verwirklicht werden. In Vielschichtigkeit und Um- 
fang dieser Vorgänge gewährt nur selten eine 
günstige Quellenlage nähere Einsicht. Die kunst- 
geschichtliche Bearbeitung der Brüder Strudel 
und ihrer Nachfolge war unter anderem gerade 
für die diesbezügliche Kenntnis von Frühzeit und 
erster Reife Hildebrandts fruchtbar'. 
Eine Zusammenarbeit Peter Strudels (von Stru- 
dendorf) mit dem um acht Jahre iüngeren Jo- 
hann Lukas Hildebrandt ist seit 1710 bis zu Stru- 
dels Tod im Herbst des Jahres 1714 archivalisch 
und in erhaltenen Werken faßbar. Sie muß aber 
schon früher begonnen haben und hängt mit 
einer persönlichen wie künstlerischen Affinität 
zwischen dem Ingenieur-Architekten und dem 
vielseitigen Maler und Akademiegründer zusam- 
men, der antithetisch das enge Verhältnis des 
älteren Fischer von Erlach zu Johann Michael 
Rottmayr gegenübergestellt werden kann. 
Der 1696 aus Piemont nach Wien gekommene 
noch nicht dreißigiährige Hildebrandt gewann 
in der Koiserresidenz rasch Ansehen, wie seine 
1699 gegen Paul Strudel erfolgreiche Bewerbung 
um die Hofarchitektenstelle Giovanni Pietro Ten- 
calas beweiste. Die Verbindung mit Peter Stru- 
del könnte über beider oberitalienische Schu- 
lung, die gemeinsame Rivalität zum ersten Hof- 
architekten Fischer? sowie durch adelige Patrone 
beider Künstler, wie Heinrich Graf Mansfeld 
Fürst Fondi, Adam Andreas Fürst Liechtenstein 
oder Franz Anton Graf Berka, zustande gekom- 
men sein. Ähnlichkeiten beider in Temperament 
und Charakter kamen dem entgegen: Hilde- 
brandts weltoffene, gebildete Kavaliersart, seine 
in künstlerischen Fragen kompromißlose Beses- 
senheit und eine konstitutionell bedingte Emp- 
findlichkeit begegneten bei Strudel verwandten 
Anlagen. Das 1720 über den Architekten gefällte 
Urteil: „Vir hic mihi valde difficilis videtur""' 
läßt sich einer 1709 gegebenen Charakteristik 
Strudels: „. . . oft aber sticht der Gek dem Mah- 
Ier und der Welsche einem sonst practicablen 
Mann vor" durchaus an die Seite stellen. 
Schon am ersten großen von Hildebrandt auf 
Wiener Baden entworfenen Bau, dem 1697 bis 
1704 errichteten Gartenpalast Mansfeld-Fondi, 
war Peter Strudel mit Supraporten an der Aus- 
stattung beteiligt. Der Bauherr besaß auch Ge- 
mälde Strudels und wollte 1713 „ein ganz Zim- 
mer per Strudel" samt seiner „noch nicht aufge- 
hängten GaIlerie" verkaufen. Der auf die Er- 
werbung des Palastes durch Johann Adam An- 
dreas Fürst Schwarzenberg im Jahre 1715 fol- 
gende Umbau dürfte von der bis dahin fertigen 
Einrichtung des westlichen Flügels wenig übrig- 
gelassen haben. Möglicherweise haben aber 
auch erst die 1857 an Friedrich Schilcher (1811 
bis 1881) bezahlten vier Supraporten mit Kin- 
dern und Blumen im Speisezimmer neben der 
Galerie Strudels Bilder ersetzt, da Schilcher auch 
an anderer Stelle dem Barockmaler nachzuemp- 
finden versucht hat ". 
Die zeitlich nächste Berührung Hildebrandts mit 
Peter Strudel ergab sich bei der anläßlich der 
Vermählung König Josefs im Jahre 1699 errich- 
teten Triumphpforte auf dem Kohlmarkt in Wien. 
Hildebrandts Entwurf, der an die Stelle des 1690 
durch Strudel gestalteten trat, behielt wie dieser 
das alte Dreibogenschema bei, während im Ge- 
gensatz dazu damals wie ietzt die beiden an- 
deren, Johann Bernhard Fischer übertragenen 
Ehrenpforten mit weitgeöffneten Tempiettogebil- 
den brillierten I1. Zu dieser Hochzeit des Thron- 
folgers war Peter Strudel anderweitig voll in 
Anspruch genommen. In weniger als einem Jahr 
hatte er „in aller Eyl" die Gemächer des iungen 
Paares in der Wiener Burg mit „148 Gemähl 
groß und klein" auszustatten. Zu diesen etwa 
zu einem Drittel in Depots erhaltenen Decken- 
gemälden des Leopoldinischen Traktes der Hof- 
burg haben wir uns Spiegelgewölbe mit Stuck- 
decken von zartem Akanthusdekor und ge- 
schwungenen Rahmenprofilen vorzustellen, in 
denen Leinwandbilder geschweiften Formats 
symmetrisch verteilt sind "t. Diese aus den ge- 
telderten Stuckdekorationen des oberitalieni- 
schen Seicento unter Verarbeitung des franzö- 
sischen Berain-Stiles hervorgegangene Dekora- 
tionsform beginnt ab dem ersten Jahrzehnt des 
1B. Jahrhunderts die Deckengestaltung der Wie- 
ner Adelspaläste und besonders der Schlösser 
Hildebrandts zu bestimmen. Die Stuckarbeiten 
werden noch ausschließlich von Oberitalienern 
(Lombarden) ausgeführt". 
Zu Ende des Jahres 1699 wurde der Grundstein 
für die vom Statthalter Bähmens, Graf Berka, in 
seiner Herrschaft Gabel durch Hildebrandt er- 
baute Dominikanerkirche St. Laurenz gelegt. Im 
Juli des folgenden Jahres vollzog der Bauherr 
mit drei von den Brüdern Strudel entworfenen 
Prunkgondeln (Abb. 1) seinen „solennel entree" 
als kaiserlicher Botschafter in Venedig. Nach- 
dem Berka im April 1706 in Wien gestorben 
war, wurde der Bau in Gabel erst im Herbst 
1713 für die Inneneinrichtung fertig. Beide Um- 
stände verhinderten eine sonst wahrscheinliche 
Beteiligung Strudels, über dessen Lebenszeit auch 
die großen Kirchenbauten der folgenden Jahre 
(Piaristen- und Peterskirche in Wien) mit ihrer 
Vollendung hinausreichen. 
Von der ersten Arbeit Hildebrandts für den Prin- 
zen Eugen, dem 1702 begonnenen Sommerschloß 
von Räckeve auf der Donauinsel Czepel, hat 
die Zeit nur einen Torso und offenbar nichts 
von der Ausstattung übriggelassen. Das Schloß 
des kaiserlichen Feldherrn in Ungarn müßte für 
den um die Türkenbekämpfung verdienten, in 
diesen Jahren selbst um seine ungarischen Gü- 
ter streitenden Baron Strudel ein lohnendes Ar- 
beitsziel gewesen sein. Wie für Räckeve so fehlt 
auch für den noch vor 1706 auf der Wieden in 
Wien errichteten, der Bauform nach eng ver- 
wandten Gartenpalast von Thomas Gundacker 
Graf Starhemberg, der oft mit der Überprüfung 
von Strudels hohen Geldforderungen an den 
Kaiser beauftragt war, ieder Hinweis auf die 
sicher vorhanden gewesene Gemäldeausstattung. 
Die Aufsatzgruppe des 1705 von Hildebrandt 
entworfenen Castrum Doloris für Kaiser Leopold I. 
in der Wiener Augustinerkirche stellt die das 
Bildnis des Kaisers vor dem Zugriff der Zeit 
schützende Ewigkeit (Abb. 2) dar. Sie ist von 
Paul Strudels Glauben-Pest-Gruppe an der Wie- 
ner Grabensäule (Abb. 3) und von seinen Por- 
trätreliefs des Kaisers und seiner Söhne, aber 
auch von Peters Triumphallegorien für die Hof- 
burg inspiriert. Es wäre durchaus denkbar, daß 
Teilnehmer von Strudels Akademie an der Aus- 
führung dieses ephemeren Pompes beteiligt wa- 
ren'5. 
Durch die umfangreichen Aufträge des neben 
Prinz Eugen bedeutendsten Bauherrn Hilde- 
brandts, Friedrich Karl Graf Schönborn, erhält 
die Beziehung beider Männer zu Peter Strudel 
besondere Vertiefung. Hildebrandt wurde ab 
1706 der Architekt des Reichsvizekanzlers, der zu 
dieser Zeit schon mehrere Bilder Strudels besaß 
und von dessen Talent als „peutetre le plus 
dignier ouvrier de l'Europe" (1707) und „incom- 
parable peintre" (1708) überaus eingenommen 
war. Durch Friedrich Karls Drängen war der 
Maler, obwohl teuer und „touiours en besoin 
de gran ortisan" (1708), viele Jahre vor Hilde- 
brandt auch für den Mainzer Erzbischof und 
Reichskanzler Lothar Franz von Schönborn tätig. 
Fast scheint es, als ob Peter Strudels Arbeiten 
ein vermittelndes Vorspiel für die Ausstrahlung 
von Hildebrandts „Wiener" Kunst nach Franken 
gewesen wären. Als Beleg dafür, der sich auf 
eine selten so ausführliche Überlieferung stützen 
kann, soll auf die beiden Schönborn-Schlösser 
Hildebrandts in Wien und Göllersdorf beson- 
ders eingegangen werden. 
Der „Wiener Garten" Friedrich Karls (ietzt Volks- 
kundemuseum in der Laudongasse) wurde nach 
1710 durch Peter Strudel und Schüler seiner 
Akademie mit Deckenbildern auf Leinwand aus- 
gestattet (Abb. 4 und 5). Diese werden mit der 
übrigen Einrichtung in dem bisher wenig beach- 
teten, 1744 aufgenommenen und erst nach dem 
Tode Friedrich Karls im Jahre 1746 gedruckten 
Inventar des Palais ausführlich beschrieben". 
Danach stammten 14 Deckenbilder von Peter 
Strudel und eines von seinem Hauptschüler und 
„Viceprofessor in der Academia" Johann Georg 
Schmidt („Wiener" Schmidt). Zu Ende des Jahres 
1714 kopiert bereits Johann Joseph Scheubel 
(der Ältere) aus Bamberg, den Lothar Franz von 
Schönborn als seinen künftigen „Hofmaler" zur 
Ausbildung an die Akademie Strudels geschickt 
hatte, „in dem Schönborner Saal zu dem oberen 
Plafond nach dem Strudelschen curiosem Stück 
in meinem hiesigen Garten ...", wie Friedrich 
Karl seinem Oheim Lothar Franz über dessen 
Schützling berichtet". Zwei weitere Gemälde, 
eines von und eines nach Strudel, wurden in das 
dem Schönbornschen Gartenpalais in der Josef- 
stadt benachbarte und 1725 von Friedrich Karl 
als „Neuen Garten" erworbene ehemalige Haus 
des Hofzahlmeisters von Wiesenburg übertra- 
gen ". Leider läßt sich dieAufzählung der Räume 
durch das Inventar von 1746, deren geschilderte 
Einrichtung uns zahlreiche Stichabbildungen im 
Sammelband Schönborn-Schlösser vor Augen 
führen "', mit der an der heutigen Bausubstanz 
(Anmerkungen 1-19 s. S. 30) 
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