Hans Koepf
Ein bedeutender
spätgotischer Baukomplex
in der Salzburger Altstadt -
Vorschläge für eine
Erneuerung
Einem flüchtigen Besucher Salzburgs füllt zu-
nächst der Baukomplex Residenzplatz 2, Alter
Markt B, Brodgasse 13 trotz seiner städtebaulich
markanten Stellung an der Grenze zwischen
Altem Markt und Residenzplatz - also an der
Nahtstelle zwischen Bürger- und Bischofsstadt -
nicht besonders auf. Kommt man von dem ge-
schlossenen Platzraum des Alten Marktes zum
weiträumigen Residenzplatz, so fesselt zunächst
der Blick auf den Turm des Neugebäudes mit
dem Glockenspiel, die Seitenansicht des Domes,
Residenz und Residenzbrunnen den Betrachter.
Erst wenn man genauer hinsieht, bemerkt man
unmittelbar gegenüber der Residenz ein äußerst
markantes Bürgerhaus mit einem pointiert nach
Süden weisenden Vorbau, dessen Fenster reich
profiliert und mit zahlreichen kleinen Wappen-
schilden geschmückt sind. Die übrigen Fassaden
gegen Residenzplatz, Alten Markt und Brod-
gasse zeigen ähnlich überstabte Fenster mit Vor-
hangbogen in heute sehr willkürlicher Anord-
nung, so daß man sofort vermutet, daß dies
ursprünglich nicht so gewesen sein kann. Aus
diesem Grunde soll durch eine genaue Analyse
die besondere Stellung dieses Hauses, das einst
sehr sinnfällig „das Haus gegen den Hof über"
hieß, im Stadtgefüge untersucht werden.
LAGE IM STADTORGANISMUS
Die städtebauliche Struktur Salzburgs ist in ge-
wisser Hinsicht unikal. Dem breiten Gürtel der
geistlichen Besitzungen mit dem Stift St. Peter,
Dorn und Bischofshof stand der schmale Band-
wurm der Straßenachse Getreidegasse-Juden-
gasse-Pfeiffergasse mit den enggereihten Par-
zellen der Bürgerhäuser gegenüber. Erst das
Wirken (vielleicht auch das Wüten) des Erz-
bischofs Wolf Dietrich von Raitenau hat um
1600 diese Struktur im Bereiche des (heutigen)
Mozartplatzes brutal unterbrochen, wohl um
seinen neuen Dom in Nord-Süd-Richtung zur
Salzach hin drehen zu können. Nach der Ge-
fangensetzung dieses Kirchenfürsten und seinem
relativ frühen Tod als Häftling auf seiner eige-
nen Feste Hohensalzburg war dieser Traum aus-
geträumt. Andererseits waren aber durch Wolf
Dietrich die Weichen für die Zukunft Salzburgs
gestellt. Der alte romanische Dom war im
Dachbereich 1598 durch einen Brand beschädigt
worden. Unsachgemäße und halbherzige Auf-
bauversuche - im Zeitalter des beginnenden
Barock und unter der Regierung eines derarti-
gen Kirchenfürsten fast ein Anachronismus -
scheiterten an einem, wenn vielleicht auch nicht
beabsichtigten, aber dennoch nicht unwillkom-
menen „Einsturz" der neuen Bauteile. Mit gan-
zem Herzen begann deshalb Wolf Dietrich das
alte Gemäuer durch Pulver in die Luft zu spren-
gen, was nicht ahne Schaden abging, da Stein-
blöcke wie Proiektile in die Bürgerstadt flogen
und dort zahlreiche Opfer forderten, weshalb sich
bald Unruhe und Murren unter den Untertanen
bemerkbar machten.
Auch der Bischofshof (oder wie man damals
sagte: die „Porte") verschwand mit dem alten
Dom. Diese Alte Residenz hatte ihre Schoufront
gegen die Stadt und den Alten Markt, war also
in ihren wichtigsten Teilen genau auf die hier zu
behandelnde Baugruppe gerichtet, die damals
allerdings nicht allein stand, sondern noch von
einem weiteren Haus flankiert war, das in Ver-
längerung der östlichen Zeile der Bebauung des
Alten Marktes stand und 1608 durch Wolf Diet-
rich demoliert wurde.
Die Westfassade der Baugruppe war also zur
Gänze auf die damals noch weiter nach Süden
vorstoßende Brodgasse zu gerichtet. Das de-
molierte Haus hatte wohl ebenfalls einen bedeu-
tenden künstlerischen Stellenrang, da es nicht
einfach abgebrodien, sondern von Wolf Dietrich
dem Maximilian Steinhauser geschenkt wurde.
Dieser hat dann „das Stainwerch sambt den
eisern Gütern und Tafelwerk... hinüber zu der
Linden in der Pergstraßen zu sein Haus... füh-
ren Iassen." (Heute ist auch dieses Haus in der
Nähe des Mirabell-Schlosses längst verschwun-
den!) Die Tatsache aber, doß ausdrücklich das
„Stainwerch" aufgeführt ist, beweist zur Genüge,
daß hier differenziertere Steinmetzarbeiten -
wohl Tür- und Fenstergewände - wiederVerwen-
dung fanden.
BESITZER UND BEWOHNER
1391 gehörte die Baugruppe der Familie Krapff,
die lange Zeit die Hofböcker stellte. Zu Beginn
des 15. Jahrhunderts sind hier ein „hoffpeckh"
Ortwein Krapff, 1477 „Wilhelm und Jeronymus
(Iranimus) Krapfen" erwähnt. Dann folgen als
Besitzer 1483 Cunz Castner (Tüchler), 1491 Eras-
mus und 1507 Wolfgang Püchler („Gwölbherr").
1512 vereinte Wolfgang Püchler sowohl die Ob-
iekte Brodgasse 13 und Residenzplatz 2 - Alter
Markt 8, die zuvor schon verschiedenen Mitglie-
dern der „Krapffen" gehört hatten, in einer
Hand. In die Zeit nach 1512 muß nach dem stili-
stischen Befund der Neubau des Gesamtkom-
plexes - wohl unter teilweiser Einbeziehung
älterer Bauteile („Gwölb") in den beiden unteren
Stockwerken - fallen.
1542 scheint als Besitzer des Gesomtkomplexes
der fürstliche „Cammermeister" Onophrius
(Onufrius, Omfrius) Many (Many), dem auch
noch die gegenüberliegende Hofapotheke (Alter
Markt 7) gehörte, auf. 1567 ist eine Frau von
Silberberg (Silberberger), Tochter des Mani, de-
ren Tochter dann den Freiherrn Dietrich von
Kuen-Belasy (Khuem), „Pfleger von Radstadt",
aus der Familie des Fürstbischafs heiratete. 1595
ist die Baugruppe „Fürstliche Kammer", 1628 im
Besitz der Lasser („Lasserische Behausung"), de-
nen bekanntlich ia auch das 1608 von Wolf Diet-
rich abgebrochene Nebenhaus am Alten Markt
gehört hatte.
Die späteren Besitzverhältnisse sind für unsere
Untersuchung weniger interessant. Durch dau-
ernde Erbteilung scheint auch eine soziale De-
klassierung eingetreten zu sein, doch ist nicht
ganz uninteressant, daß hier bedeutende Künst-
ler, wie der Goldschmied Ferdinand Sigmund
Amende, Schöpfer der kostbaren Dommon-
stranz, der Maler Johann Michael Rottmayer
(Freskogemälde in der Residenz) sowie Martin
Allegro („Hofmusikus") und der „hachfürstliche
Capellmeister" und Komponist Mathias Sieg-
mund Biechteler, wohnten.
Aufschlußreich ist auch die Tatsache, daß in den
unmittelbar anschließenden Nebenhäusern Resi-
denzplatz 3 und 4 („St. Johanns Capellen zu
Hof") ebenfalls wichtige Hofchargen der Fürst-
bischöfe, wie Christian der Zergardner, Auf-
seher des fürstl. Speisegewölbes und Rech-
nungsführer, Kammerdiener Jaufschiez, „KuchI-
meister" Hanns Ergoff und Ludwig von Straia-
vacco, „Erster Rat und Kommerherr", wohnten.
Es dürfte also erwiesen sein, doß in diesem Be-
reich unmittelbar gegenüber der Hauptfassode
des ehemaligen Bischofshofes die wichtigsten
Hofchargen und Künstler wohnten, wobei eine
Verdichtung in dem hier näher zu betrachtenden
Baukomplex unschwer festzustellen ist, der ge-
rade im 16. Jahrhundert noch adelige Verwandte
des Erzbischofs beherbergte und Hofkammer
war. Eine Untersuchung der Viten des Wolfgang
Füchler und des Onophrius (mit dem etwas selt-
samen Familiennnamen) Mani könnte vielleicht
diese Zusammenhänge noch mehr aufhellen.
BAUANALYSE
Der zur Diskussion stehende Baublock hat im
Laufe der Zeiten zahlreiche Umgestaltungen er-
fahren, wie dies eigentlich ganz natürlich ist.
Sein einstiges Aussehen ist aus alten Stadtansich-
ten, die den Bestand mehr summarisch wieder-
geben, nicht zu erschließen. Eine kolorierte
Handzeichnung aus dem Jahr 1553 im Stift St.
Peter zeigt im Kern der gesamten Bebauung
zwischen Brod- und Goldgasse einen großen
Hof, was aber auf eine Ungenauigkeit des
Zeichners zurückzuführen ist, der auch sonst die
damals schon viel kleinteiligeren Parzellengren-
zen nicht beachtete.
Leider zeigt auch ein Holzschnitt aus dem Jahr
1565 (ehemals im Stift St. Peter, heute im Ori-
ginal nicht mehr auffindbar), der die Details
wesentlich genauer widerspiegelt, die nach Sü-
den und Westen gerichteten Fassaden nicht, da
die Stadt vom Kapuzinerberg aus gezeichnet
wurde.
Eine Zeichnung „Marktplatz zu Salzburg" aus
dem frühen I9. Jahrhundert' zeigt das Eckhaus
zwischen Altem Markt und Residenzplatz mit
rahmenden barocken Fensterstukkaturen. Im er-
sten Obergeschoß ist dort unmittelbar an der
Ecke gegenüber der Residenz ein (heute ver-
mauertes) mit einem schmiedeeisernen Fenster-
korb versehenes Fenster zwischen zwei Fresken
zu sehen. Im vierten Obergeschoß scheint zwi-
schen den Fenstern das Fresko einer Sonnenuhr
auf.
Auf einer Fotografie vom Ende des 19. Jahrhun-
dertsf sieht man im 1. und 2. Obergeschoß
sehr nüchterne horizontale Fensterverdachun-
gen, im 3. und 4. Stock Putzfaschen als Fenster-
rahmung. Das Erdgeschaß wird in ganzer Länge
von dem (leider heute nach bestehenden!) häß-
Iichen hölzernen Ladeneinbou verunstaltet, der
als Glaskasten keine Beziehung zu der immer
noch sehr monumental wirkenden Fassade hat
und zudem noch einen halben Meter auf den
öffentlichen Grund ausgreift. Beim Nebenhaus
Brodgasse I3 ist auf diesem Foto nur die rechte
Hälfte zu erkennen, doch kann nach Lage der
Dinge die linke Hälfte ähnlich ergänzt werden.
Das Erdgeschoß ist hier noch ungestört, die Fen-
ster werden in allen vier Geschossen durch ge-
rade Fensterverdochungen abgeschlossen, dar-
über sieht man noch die durch Läden verschlos-
senen Blendfenster vor den damals naoh vor-
handenen Grabendächern. Eine kolorierte Zeich-
nung aus den ersten Jahren des 20. Jahrhun-
derts" zeigt im Erdgeschoß des Hauses Brod-
gasse 13 bereits rechts einen Ladeneinbou, das
Eckhaus hat nun auch im 3. Obergeschoß (West-
seite) gerade Fensterverdochungen. Kurz nach
1900 haben beide Häuser ihre alten Graben-
döcher eingebüßt und Satteldächer erhalten, wo-
bei man beim Haus Brodgasse 13 anstelle der
Blendfenster kleine, in den Dachraum führende
Ovalfenster anbrachte, wie das einer alten
Salzburger Tradition entsprach, während das
Eckhaus (wohl schon früher) ein breites Ab-
schlußgesimsband bekam.
Die Bauakten des Dachumbous' wurden aus-
gehoben, ergaben aber nichts Wesentliches, weil
der Altbestand nicht eingezeichnet war. Da-
gegen ergaben die Umbaupläne der Ladenein-
(Anmerkungen 1-4 s. S. 46)
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