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Sammlungen heute zumeist ein recht verborgenes
Dasein fristen. Auch wird im Buch von Wilhelm
Waetzoldt über die Kunst des Porträts anläßlich
einer Erörterung über die Bedeutung der Aus-
druckskraft des Blickes in Selbstbiidnissen nur
beiläufig auf dafür geeignete Darstellungen Sey-
boids verwiesenß.
Durch ihre unvermutete Frische der Auffassung
vermögen nun zwei kürzlich in Münchner Privatbe-
sitz aufgetauchte Selbstbildnisse Seybolds unse-
re Aufmerksamkeit für die Tätigkeit desselben als
Porträlmaler erneut zu wecken". Sehr beeindruckt
vor allem das in betonter Hagerkeit zugleich
knapp und höchst plastisch umschriebene Selbst-
bildnis des offenbar noch jungen Seybold (Abb. 3).
im Kreise der uns sonst überlieferten Bildnisse
des Künstlers wirkt das Stück durch seine überra-
schende Anlehnung an oberitalienische Vorbilder,
wie etwas Ghislandi oder Ceruti, ganz ungewöhn-
lich verfremdet. Ein Ausdruck forcierter Selbstsi-
cherheit kommt hinzu und wird noch unterstrichen
durch den von jugendlichem Elan sprühenden, ge-
radezu bohrenden Blick der Augen. Die gewölbten
Formen des fest und sparsam modellierten Kop-
fes stoßen entschieden in ein von rechts einfallen-
des Licht vor und zeugen von einer prachtvollen
Unabhängigkeit der vorgetragenen Gesinnung.
Dabei sind alle charakteristischen Merkmale der
Seyboldschen Physiognomie, wie ausladendes
Kinn, die Kerbung von Wangen und Nasenwurzel,
endlich das von stark schattenden Brauen über-
fangene, tiefliegende Augenpaar, unverkennbar
erfaßt und lassen durch die Art ihrer Behandlung
eine unübersehbare Begabung für die Umschrei-
bung menschlichen Wesens in den Grenzen eines
persönlichen Temperamentes erkennen. Indessen
hat der Künstler die hier ganz unvermittelt ge-
weckten Erwartungen letztlich unerfüllt gelassen.
Schon das andere der beiden Münchner Selbst-
bildnisse (Abb. 4) schlägt einen deutlich gemäßig-
teren Ton an. Etwas von einem gutmütigen Bieder-
sinn meidet sich dabei zu Wort, von einer male-
risch sanft fließenden Behandlung der Oberflä-
1R
chen zu dem ihm eigentümlichen Ausdruck verhol-
fen. Dieser erinnert übrigens an das Vorbild Jo-
hann Kupetzkys, dem Seybold auch sonst manch-
mal gefolgt ist"'. Noch verrat hier jedenfalls der
prüfend dem Betrachter zugewandte Blick ein un-
voreingenommenes Bemühen um Austausch und
freimütige Offenheit.
Diese für die Wahrheit im Ausdruck eines Porträts
unabdingbare Voraussetzung scheint Seybold in-
dessen schon bald zugunsten einer schabionen-
haft angewandten Manier aufgegeben zu haben.
Eine zunehmend kühle Zurschaustellung seiner in
distanzierten Positionen verharrenden Selbstbild-
nisse ist die Folge davon. Deren bewußte insze-
nierung unter Zuhilfenahme historisierender Ko-
stüme verstärken diesen Eindruck und lassen das
Schwinden origineller Ztige rasch deutlicher wer-
den.
Ein sprechendes Beispiel für diesen Vorgang
stellt das ebenfalls noch jugendlich wirkende
Selbstbildnis Seybolds mit federgeschmücktem
Hut im Mittelrheinischen Landesmuseum Mainz
dar (Abb. 5)". Antlitz und Staffage werden nun-
mehr völlig gleichrangig behandelt. Der peniblen
Wiedergabe seidig aufglänzender Gewandpartien
oder stolz sich bauschender Hutfedern steht die
ängstlich genaue, buchstäblich bis in die Poren
dringende Schilderung der Gesichtsoberfläche
wie des sich krauselnden Schläfenhaares nicht im
geringsten nach. Über dieser ungeteilten Berück-
sichtigung noch der letzten Einzelheit aber büßt
das Porträt seine spezifischen Ausdrucksformen
zwangsläufig ein. Stereotype Wiederholungen
sind daraufhin dem Belieben des Künstlers an-
heimgestellt und zeitigen bestenfalls eine Zunah-
me an Akribie im Detail, wofür eine wörtliche Re-
plik des Mainzer Selbstbildnisses in amerikani-
schem Privatbesitz (Abb. 6) einen aufschlußrei-
chen Beweis liefert". Die künstlerische Tätigkeit
erschöpft sich hier in reinem Virtuosentum und
scheitert in ihren Ergebnissen an dem Verstoß ge-
gen den Grundsatz, daB das Ganze stets mehr ist
als die Summe seiner Teile.
6
5 Christian Seybold, Selbstbildnis. Mainz, Mittelrheini-
sches Landesmuseum
6 Christian Seybold, Selbstbildnis. Amerikanischer Pri-
vatbesitz
Anmerkungen 8 e 12
I Wilhelm Waetzoldl. DIE Kunst des Porträts, LelDZlg 190a, s. 334
und Abb. es. ae.
r Abb. a: Lüinw, 59x47 CITl. - Abb. 4. Lelnw.. siißx-ir Cm. Die
beiden Bilds! sind anscheinend als Pendants aureirianuei bezo-
gen.
w Vgl. K Gatas, HWEIKS osterr Maler u. 17. U. 1a Jh.s in Buda-
pestu. ITII osiernzeiiscnr. f. Ksl u. Denkmalpflege. 211964, s. v0,
Anm. 13 und Abb. 14.
" lnv. Nr. 119i (1933 erworben), kupler, 47 x37 um. - vgl. Kal. d,
Ausstellg, Mittelrheinische Kunstwerke aus sechs Jahrhunder-
ten im Besltz des Aiiertumsmuseurns und der Gemäldegalerie
der Stadt Mainz. MailOkl. 1954, Nr. 30, Abb, 23.
i? Talel, 5015x4015 cm.