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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 178 und 179)

gen, denn es steht unter dem moralischen Druck 
der angeblichen Wirkung des Gewandes. Allein 
ein unbefangenes Kind bricht den Bann und ent- 
deckt dem Kaiser den Betrug. Das Märchen be- 
schäftigt sich auf subtile Weise mit der - hier al- 
lerdings nur behaupteten - magischen Wirkung 
bestimmter Kleidung; das Gewand des Kaisers 
soll diesem die Möglichkeit bieten, die Loyalität 
seiner Untertanen zu prüfen. Für Sigmund Freud 
basiert das Andersensche Märchen auf der wohl 
jedem bekannten Erfahrung des "Verlegenheits- 
traumes der Nacktheitu, in dem der Träumer sich 
seiner Unbekleidetheit oder partiellen Nacktheit 
schämt, obwohl die Umwelt im Traum daran kei- 
nen Anstoß nimmt: "Wir besitzen ein interessan- 
tes Beispiel dafür, daß der Traum in seiner durch 
WunscherftJllung partiell entstellten Form das 
richtige Verständnis nicht gefunden hat. Er ist 
nämlich die Grundlage eines Märchens geworden, 
welches uns allen in der Andersenschen Fassung 
(...) bekannt ist... Es gehört wohl nicht vlel Kühn- 
heit dazu, anzunehmen, daß der unverständliche 
Trauminhalt eine Anregung gegeben hat, um eine 
Einkleidung zu erfinden, in welcher die vor der Er- 
innerung stehende Situation sinnreich wird. Die- 
selbe ist dabei ihrer ursprünglichen Bedeutung 
beraubt und fremden Zwecken dienstbar gemacht 
worden... Es läßt sich auch für unseren Traum an- 
geben, woher das Material für die Umdeutung ge- 
nommen wird. Der Betrüger ist der Traum, der Kai- 
ser der Träumer selbst, und die morallsierende 
Tendenz verrät eine dunkle Kenntnis davon, daß 
es sich im latenten Trauminhalt um unerlaubte, 
der Veränderung geopferte Wünsche handelt-t? 
Immer wieder hat die wechselseitige oder magi- 
sche Wirkung bestimmter Kleidungsstücke faszi- 
niert und sie zum Gegenstand von Märchen oder 
Sagen gemacht; man denke nur an Aschenputtel, 
an den gestiefelten Kater, an das Märchen von 
den sechs Schwänen oder an Siegfrieds Tarnkap- 
pe. 
Kleider können aber auch als Erkennungszeichen 
für bestimmte Personen, als deren Attribut also, 
verwendet werden. In der griechischen Mythologie 
ist das Löwenfell des Herakles dafür ein gutes 
Beispiel: Das Fell des Nemeischen Löwen, dessen 
Tötung Herakles' erste große Heldentat war, wird 
fortan zu seiner Bekleidung, die ihn aber weder 
wärmen noch seine Blöße verdecken soll, sie 
schützt ihn im übertragenen Sinne: Das Löwenfell 
wird sein Erkennungszeichen, sein Attribut, das 
ihn als starken, furchtlosen Helden ausweist. Eine 
andere Bedeutung hat das Fellkleid als Attribut 
des heiligen Johannes des Täufers. Hier bedeutet 
es asketisches Leben in der Einsamkeit! In bei- 
den Fällen aber zeigt die Kleidung dem Gegenüber 
"auf den ersten Blickn, mit wem er es zu tun hat. 
Attributhaft gebrauchte Kleidung findet man aber 
nicht nur in der Mythologie oder in der biblischen 
Geschichte. Während es sich hier meist um die 
Kennzeichnung einzelner hervorragender Perso- 
nen handelt, ist diese Verwendung im anderen 
Fall Demonstration der Zugehörigkeit zu einer 
spezifischen Gruppe. Dabei gibt es zwei prinzipiel- 
le Unterschiede: einerseits sind es Kleider, die, 
nur zu bestimmten Anlässen angelegt, ihren Trä- 
ger als Mitglied beispielsweise eines weltlichen 
Ordens (Abb. 11), einer Vereinigung oder eines Be- 
rufsstandes ausweisen, andererseits Gewänder, 
die, täglich und ausschließlich getragen, auf 
Grund z. B. religiöser Vorschriften ein bestimmtes 
Aussehen haben. Man kann letzteres sehr gut an 
den Kutten christlicher Mönchsorden (Abb. 12) 
oder an der konservativen Tracht chassidischer 
Juden beobachten (Abb. B). Während aber die 
Mönchskutte allgemein gehaltener Ausdruck 
mönchischer Tugend ist und nur weitläufig sym- 
bolische Bedeutung hat, sind die Kleidungsstücke 
frommer Juden mit diversen Bedeutungen belegt! 
 
Weniger streng reglementiert, aber dennc 
nern "freiwilligen Zwangtt gehorchend, ist d 
forme Bekleidung von Gruppen, die sic 
Grund gemeinsamer politischer oder allgei 
Ideale zusammenschließen und dies in ihr 
wändern zur Schau tragen, wie heute ett 
Punks oder die Rocker. 
Die nur zu bestimmten, meist feierlichen An 
getragenen Roben haben vor allem repräsei 
Funktion. Ihr modisch konservativer Ch: 
führt bewußt eine Verbindung zu einer möl, 
langen Tradition vor Augen. Adolf Loos forr 
diese Zusammenhänge treffend, wenn er sc 
"Männer, die ihr verhältnis zu vorherger 
epochen betonen wollen, kleiden sich heutt 
in gold, samt und seide: die magnaten und t 
rus. Männer, denen man eine moderne errl 
schaft, die selbstbestimmung, vorenthalte 
kleidet man in gold, samt und seide: lakait 
minister... Auch beim soldaten wird durch l 
und goldstrotzende uniformen das gefühl t 
rigkeit erhöhtttä So sind z. B. die Prunkgev 
der Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies g 
Stil der Zeit gehalten, in der der Orden geg 
wurde: 1429 von Philipp dem Guten, Herzt 
Burgund (Abb. 11). Ein anderes Beispiel si 
päpstlichen Soldaten der Schweizergard 
man noch heute in Landsergewändern del 
des 16. Jahrhunderts bewundern kann, die l 
angelo entworfen haben soll (Abb. 7). Tala 
gegen - in England auch heute noch Perüc 
haben einen anderen Sinn: Die "neutralen 
kleidung soll das lndividuum hinter seiner c 
len Aufgabe zurücktreten lassen, seine Neu 
zeigen, dokumentieren, daß diese Person 
teiisch ist (Abb. 13). Uniformen von Poliziste 
Soldaten haben die gleiche Funktion (Abb. 
lerdings bedeutet dies nicht, daß die Persor 
tereinander den gleichen Status haben; im t 
teil läßt sich durch Uniformen oder andere, 
Vorschriften streng geregelte Kleidung die 
zeichnung von Rangunterschieden besonds 
fach und eindeutig vornehmen. 
An ihrer Kleidung erkennt man aber auch A 
rige bestimmter Berufe, z.B. Krankenhaus 
Hotelpersonal. Neben der Kennzeichnung l 
sition des einzelnen hat hierbei die Gewe 
aber noch einen praktischen Zweck, sie ist 
welligen Tätigkeit angepaßt, eben "praktist 
bestimmte Verrichtungen. Die Berufskleidu 
ändert sich mit den Arbeitsformen der Bert 
nimmt immer wieder modische Anregungi 
Sportler tragen ebenfalls Kleidung, die für 
weilige Sportart zweckmäßig erscheint. AuE 
muB der einzelne und mehr noch eine Mann 
leicht erkennbar sein, damit der Zuschat 
Gruppen "auf einen Blickt: unterscheiden 
Wie sehr diese Kleidung dennoch von zeitt 
ten moralischen Vorstellungen beeinfluß" 
zeigt beispielhaft die Veränderung der Bade 
Man vergleiche nur die den ganzen Kör; 
deckenden, züchtigen, denkbar unprakt 
"Badeanzüge" der Jahrhundertwende mi 
modernen Bikiniß Die Sportbekleidung unl 
darüber hinaus mäßigen modischen Verär 
gen. 
Bestimmte Kleidungsstücke haben primär 
zende Funktion: Eskimos sind in Felle geht 
trotzen so der kalten Witterung. Der mit 
oder Pfeil kämpfende antike Soldat oder rr 
terliche Ritter ist mit Brustpanzer, Heln 
durch einen ganzen Harnisch im Kampf gr 
net. Helme kennt man heute auch im Spo 
beim Motorradfahren, Polospielen oder B6 
gen. Schutz bieten ebenfalls bestimmte A 
kleider, wie der Kittel vor Schmutz, der Ast 
zug vor Feuer oder der keimfreie Anzug des 
im Operationssaal dem Patienten vor Bah 
Während aber heute der Feuerwehrmann,
	        
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