gen, denn es steht unter dem moralischen Druck
der angeblichen Wirkung des Gewandes. Allein
ein unbefangenes Kind bricht den Bann und ent-
deckt dem Kaiser den Betrug. Das Märchen be-
schäftigt sich auf subtile Weise mit der - hier al-
lerdings nur behaupteten - magischen Wirkung
bestimmter Kleidung; das Gewand des Kaisers
soll diesem die Möglichkeit bieten, die Loyalität
seiner Untertanen zu prüfen. Für Sigmund Freud
basiert das Andersensche Märchen auf der wohl
jedem bekannten Erfahrung des "Verlegenheits-
traumes der Nacktheitu, in dem der Träumer sich
seiner Unbekleidetheit oder partiellen Nacktheit
schämt, obwohl die Umwelt im Traum daran kei-
nen Anstoß nimmt: "Wir besitzen ein interessan-
tes Beispiel dafür, daß der Traum in seiner durch
WunscherftJllung partiell entstellten Form das
richtige Verständnis nicht gefunden hat. Er ist
nämlich die Grundlage eines Märchens geworden,
welches uns allen in der Andersenschen Fassung
(...) bekannt ist... Es gehört wohl nicht vlel Kühn-
heit dazu, anzunehmen, daß der unverständliche
Trauminhalt eine Anregung gegeben hat, um eine
Einkleidung zu erfinden, in welcher die vor der Er-
innerung stehende Situation sinnreich wird. Die-
selbe ist dabei ihrer ursprünglichen Bedeutung
beraubt und fremden Zwecken dienstbar gemacht
worden... Es läßt sich auch für unseren Traum an-
geben, woher das Material für die Umdeutung ge-
nommen wird. Der Betrüger ist der Traum, der Kai-
ser der Träumer selbst, und die morallsierende
Tendenz verrät eine dunkle Kenntnis davon, daß
es sich im latenten Trauminhalt um unerlaubte,
der Veränderung geopferte Wünsche handelt-t?
Immer wieder hat die wechselseitige oder magi-
sche Wirkung bestimmter Kleidungsstücke faszi-
niert und sie zum Gegenstand von Märchen oder
Sagen gemacht; man denke nur an Aschenputtel,
an den gestiefelten Kater, an das Märchen von
den sechs Schwänen oder an Siegfrieds Tarnkap-
pe.
Kleider können aber auch als Erkennungszeichen
für bestimmte Personen, als deren Attribut also,
verwendet werden. In der griechischen Mythologie
ist das Löwenfell des Herakles dafür ein gutes
Beispiel: Das Fell des Nemeischen Löwen, dessen
Tötung Herakles' erste große Heldentat war, wird
fortan zu seiner Bekleidung, die ihn aber weder
wärmen noch seine Blöße verdecken soll, sie
schützt ihn im übertragenen Sinne: Das Löwenfell
wird sein Erkennungszeichen, sein Attribut, das
ihn als starken, furchtlosen Helden ausweist. Eine
andere Bedeutung hat das Fellkleid als Attribut
des heiligen Johannes des Täufers. Hier bedeutet
es asketisches Leben in der Einsamkeit! In bei-
den Fällen aber zeigt die Kleidung dem Gegenüber
"auf den ersten Blickn, mit wem er es zu tun hat.
Attributhaft gebrauchte Kleidung findet man aber
nicht nur in der Mythologie oder in der biblischen
Geschichte. Während es sich hier meist um die
Kennzeichnung einzelner hervorragender Perso-
nen handelt, ist diese Verwendung im anderen
Fall Demonstration der Zugehörigkeit zu einer
spezifischen Gruppe. Dabei gibt es zwei prinzipiel-
le Unterschiede: einerseits sind es Kleider, die,
nur zu bestimmten Anlässen angelegt, ihren Trä-
ger als Mitglied beispielsweise eines weltlichen
Ordens (Abb. 11), einer Vereinigung oder eines Be-
rufsstandes ausweisen, andererseits Gewänder,
die, täglich und ausschließlich getragen, auf
Grund z. B. religiöser Vorschriften ein bestimmtes
Aussehen haben. Man kann letzteres sehr gut an
den Kutten christlicher Mönchsorden (Abb. 12)
oder an der konservativen Tracht chassidischer
Juden beobachten (Abb. B). Während aber die
Mönchskutte allgemein gehaltener Ausdruck
mönchischer Tugend ist und nur weitläufig sym-
bolische Bedeutung hat, sind die Kleidungsstücke
frommer Juden mit diversen Bedeutungen belegt!
Weniger streng reglementiert, aber dennc
nern "freiwilligen Zwangtt gehorchend, ist d
forme Bekleidung von Gruppen, die sic
Grund gemeinsamer politischer oder allgei
Ideale zusammenschließen und dies in ihr
wändern zur Schau tragen, wie heute ett
Punks oder die Rocker.
Die nur zu bestimmten, meist feierlichen An
getragenen Roben haben vor allem repräsei
Funktion. Ihr modisch konservativer Ch:
führt bewußt eine Verbindung zu einer möl,
langen Tradition vor Augen. Adolf Loos forr
diese Zusammenhänge treffend, wenn er sc
"Männer, die ihr verhältnis zu vorherger
epochen betonen wollen, kleiden sich heutt
in gold, samt und seide: die magnaten und t
rus. Männer, denen man eine moderne errl
schaft, die selbstbestimmung, vorenthalte
kleidet man in gold, samt und seide: lakait
minister... Auch beim soldaten wird durch l
und goldstrotzende uniformen das gefühl t
rigkeit erhöhtttä So sind z. B. die Prunkgev
der Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies g
Stil der Zeit gehalten, in der der Orden geg
wurde: 1429 von Philipp dem Guten, Herzt
Burgund (Abb. 11). Ein anderes Beispiel si
päpstlichen Soldaten der Schweizergard
man noch heute in Landsergewändern del
des 16. Jahrhunderts bewundern kann, die l
angelo entworfen haben soll (Abb. 7). Tala
gegen - in England auch heute noch Perüc
haben einen anderen Sinn: Die "neutralen
kleidung soll das lndividuum hinter seiner c
len Aufgabe zurücktreten lassen, seine Neu
zeigen, dokumentieren, daß diese Person
teiisch ist (Abb. 13). Uniformen von Poliziste
Soldaten haben die gleiche Funktion (Abb.
lerdings bedeutet dies nicht, daß die Persor
tereinander den gleichen Status haben; im t
teil läßt sich durch Uniformen oder andere,
Vorschriften streng geregelte Kleidung die
zeichnung von Rangunterschieden besonds
fach und eindeutig vornehmen.
An ihrer Kleidung erkennt man aber auch A
rige bestimmter Berufe, z.B. Krankenhaus
Hotelpersonal. Neben der Kennzeichnung l
sition des einzelnen hat hierbei die Gewe
aber noch einen praktischen Zweck, sie ist
welligen Tätigkeit angepaßt, eben "praktist
bestimmte Verrichtungen. Die Berufskleidu
ändert sich mit den Arbeitsformen der Bert
nimmt immer wieder modische Anregungi
Sportler tragen ebenfalls Kleidung, die für
weilige Sportart zweckmäßig erscheint. AuE
muB der einzelne und mehr noch eine Mann
leicht erkennbar sein, damit der Zuschat
Gruppen "auf einen Blickt: unterscheiden
Wie sehr diese Kleidung dennoch von zeitt
ten moralischen Vorstellungen beeinfluß"
zeigt beispielhaft die Veränderung der Bade
Man vergleiche nur die den ganzen Kör;
deckenden, züchtigen, denkbar unprakt
"Badeanzüge" der Jahrhundertwende mi
modernen Bikiniß Die Sportbekleidung unl
darüber hinaus mäßigen modischen Verär
gen.
Bestimmte Kleidungsstücke haben primär
zende Funktion: Eskimos sind in Felle geht
trotzen so der kalten Witterung. Der mit
oder Pfeil kämpfende antike Soldat oder rr
terliche Ritter ist mit Brustpanzer, Heln
durch einen ganzen Harnisch im Kampf gr
net. Helme kennt man heute auch im Spo
beim Motorradfahren, Polospielen oder B6
gen. Schutz bieten ebenfalls bestimmte A
kleider, wie der Kittel vor Schmutz, der Ast
zug vor Feuer oder der keimfreie Anzug des
im Operationssaal dem Patienten vor Bah
Während aber heute der Feuerwehrmann,