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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 178 und 179)

kuiturgeschichte! Du erzählst von der menschheit 
geheimen iüsten. Wenn man in deinen seiten blät- 
tert, erbebt die seele angesichts der fürchterli- 
chen Verirrungen und unerhörten lasten-i" 
Die psychologische Wirkung vor allem der Frauen- 
kieidung wird übereinstimmend als hauptsächlich 
erotisch definiert. "Man wird euch erzählt haben, 
daß die schamhaftigkeit dem weibe das feigen- 
blatt aufgenötigt hat. Weicher irrtum! Die scham- 
haftigkeit, dieses mühsam und mit raffinierter kul- 
tur konstruierte gefühi, war dem urmenschen 
fremd. Das weib bekleidete sich, es wurde für den 
mann zum rätsel, um ihm die sehnsucht nach der 
iösung ins herz zu senkenm" Sachlicher äußert 
Fuchs seine im wesentlichen übereinstimmende 
Meinung: "Das oberste oder, noch richtiger ge- 
sagt, der fast ausschließliche Zweck der dekorati- 
ven Ausgestaltung der Bekleidung der Frau ist die 
pointierte Herausarbeitung der erotischen Reiz- 
wirkung des weiblichen Körpers. Mit anderen Wor- 
ten: die Kleidung der Frau ist ein erotisches Pro- 
biemkr" Während nun aber für Fuchs u... die Ent- 
wicklung der Kleidung zu einem erotischen Pro- 
blem an sich keine Verirrung darstellt, sondern 
das natürliche Produkt eines immanenten Natur- 
gesetzes ist-i", stellt Loos moralisierend streng 
fest: wDas weib ist daher gezwungen, durch seine 
kieidung an die sinnlichkelt des mannes zu appel- 
iieren und bewußt an seine krankhafte sinnlich- 
keit, für die man nur die kultur seiner zeit verant- 
wortlich machen kann... Die liebe macht ihr den 
mann untertan. Diese liebe ist nicht natürlich. Wä- 
re es so, würde sich das weib dem manne nackt 
nähern. Das nackte weib aber ist für den mann 
leiZIUSJI" Daß Fuchs' und Loos' Erklärungen noch 
heute zumindest teilweise gültig sind, obwohl 
sich das Rolienverständnis der Geschlechter ver- 
ändert hat, zeigt u. a. der Kampf von Frauen gegen 
ein vor allem In der Reklame und auf illustrierten 
verbreitetes Bild der Frau als Jederzeit verfügba- 
res Sexuaiobjekt. 
Die Kieidermode ist im Laufe der Zeit verschieden 
raschen Veränderungen unterworfen; "das Wort 
Mode oder modisch ist darum förmlich zum Syn- 
onym für alles Vorübergehende geworden-i." Die- 
se Wandlungen können sehr unterschiedliche Ur- 
sachen haben. nDas Schönheitsideal einer Zeit 
überträgt sich stets auf die Kleidung und formt 
dementsprechend den Grundzug ieder Mode. Die 
Mode ist sozusagen die Umformung des physi- 
schen Schönheitsideais einer Zeit in die Praxis 
des täglichen Lebens-r" Sehr selten allerdings 
entsprechen die Gründe für die oft hektische Ent- 
wicklung dem verbreiteten Vorurteil, modische 
Veränderungen basierten auf willkürlichen, anar- 
chischen Erfindungen: nGewiß bestimmen oft 
scheinbar nebensächliche Dinge eine Mode, ge- 
wiß knüpfen sich zahlreiche weitbeherrschend ge- 
wordene Moden nachweisbar an die momentane 
Laune einer Fürstin oder einer fürstlichen Maitres- 
se. Aber man übersieht dabei gewöhnlich das ei- 
ne, daß von den vielen Maitresseniaunen, diejeder 
Tag in der Weltgeschichte geboren hat, eben nur 
jene Launen modebiidend geworden sind, die mit 
den allgemeinen Kulturtendenzen zusammentra- 
fen, d.h. in die man das hineinzuiegen vermochte, 
was die Tendenzen des herrschenden Geistes wa- 
renß" Vor der Französischen Revolution wird die 
Mode ausschließlich vom Adel und von den höhe- 
ren Ständen bestimmt: wDie Mode geht mit der 
Macht", bringt es Rene König auf einen einfachen 
Nenner," während Eduard Fuchs ausführlicher 
analysiert: v-Wenn wir nun anhand der politischen 
Geschichte Europas verfolgen, wie sich der Abso- 
lutismus als Regierungssystem der Reihe nach ln 
den anderen Ländern  entwickelte, so haben wir 
damit die Daten gefunden, mit denen die typi- 
schen Linien der spanischen Mode übernommen 
wurden - sie kam nicht früher, und sie kam nicht 
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später. Ganz genauso vollzog es sich mit der mo- 
dernen bürgerlichen Moden" Während sich die 
Kleidung der Hofmitgiieder und seiner Umgebung 
aber rascher ändern, sind die Gewänder der Bür- 
ger und Bauern einem langsamen Wechsel unter- 
worfen, der zudem von Kleiderordnungen geregelt 
wird (Abb. 14, 15), die man vor allem gegen vAuf- 
steigern erläßt: z.B. gegen reiche Bürger, die sich 
mit ihren z.T. erheblichen finanziellen Mitteln oft 
prunkvollere Gewänder und kostbareren Schmuck 
hatten leisten können als die adeligen Herren. Die 
ser Widerspruch führte dazu, daß die Kieiderord- 
nungen selten streng befolgt wurden, also oft un- 
effektiv waren." Es gab aber andererseits auch ei- 
nen starken moralischen Druck, der es als un- 
schickiich erscheinen ließ, durch den Anzug 
"mehr scheinen als sein" zu wollen. in diesem Sin- 
ne machten Kleider in der Zeit vor der bürgerlichen 
Revolution wirklich Leute; man kleidete sich sei- 
nem Stand und nicht seinen tatsächlichen Vermö- 
gensverhältnissen entsprechend. Kleiderordnun- 
gen sind wichtige Quellen für das spezielle Ko- 
stümstudium. Vor allem aber bieten Trachtenbü- 
cher (Abb. 13, 14, 15), später Modekupfer und Mo- 
dezeichnungen (Ab. 16-20) neben erhaltenen Ko- 
stümen reiches Anschauungsmaterial. Aber auch 
Malerei, Skulptur und Grafik (Abb. 1, 2, 6), sofern 
Interesse an realistischer Darstellung vorhanden 
ist, geben einen oft plastischen Eindruck von der 
Mode in ihrer Umgebung oder von bestimmten in- 
teressen, die zu Modetendenzen führen können, 
wie beispielsweise dem Faible für exotische Stof- 
fe und Schnitte (Abb. 6). 
Die veränderten politischen und wirtschaftlichen 
Gegebenheiten zu Beginn des 19. Jahrhunderts 
bringen den bürgerlichen Schichten ein neues 
Selbstbewußtsein, das die so offensichtliche äu- 
ßerliche Kennzeichnung des sozialen Ranges ei- 
nes Mitbürgers durch die Kleidung zumindest 
ideologisch nicht mehr zuläßt. Die den Rang oder 
den gesellschaftlichen Stand unterstreichenden 
Gewänder werden nur noch zu Gelegenheiten ge- 
tragen, deren Zeremoniell sich aus früheren Zei- 
ten erhalten hat. Selbst der Herrscher läßt sich 
wie ein bürgerlicher Vater darstellen (Abb. 4), den 
Famiiienfotos seiner Untertanen ähnlich (Abb. 3, 
5). "Das Grundelement der bürgerlichen Kleidung 
ist die Uniformitat. Es gibt nur noch Bürger, denen 
allen dieselben Rechte eignen. Also scheidet die 
Kleidung den Menschen nicht mehr wie ehedem 
durch bestimmte Merkmale, die der eine trägt und 
die dem anderen zu tragen bei Strafe verboten 
istm" 
im Laufe des 19. Jahrhunderts und vor allem im 
20. Jahrhundert verändert sich auch die Gruppe 
der Menschen, die modebestimmend ist. Sind es 
im 19. Jahrhundert noch die wohlhabenden Bürger 
mittleren Alters, so werden es vor allem nach dem 
ersten Weltkrieg die Jüngeren, für die die Mode 
gemacht wird und die sie bestimmen. Heute ist 
die bürgerliche Mittelschicht Träger der Modeten- 
denzen, und hier sind es vor allem junge Men- 
schen, die den sehr raschen Wechsel mitvollzie- 
hen, ja eigentlich auch verursachen. Die Funktion 
der Kleidung als Statussymbol ist schwächer ge- 
worden. 
Dennoch gibt es auch in unserer Zeit noch Mög- 
lichkeiten, die gesellschaftliche Position in der 
Kleidung zu dokumentieren: Den raschen und zu- 
weilen extremen Modewechsei stets mitzuma- 
chen ist meist nur begüterten Zeitgenossen mög- 
lich, so daß das Faktum, nach der neuesten Mode 
gekleidet zu sein, schon ein gewisses Zeichen der 
gehobenen sozialen Stellung ist. Andererseits 
sind es gerade die sehr Reichen und vor allem die 
Mächtigen, die Politiker, die sich bewuBt den ak- 
tuellen Modetendenzen entziehen und mit ihrer 
"zeitlosem Kleidung Vornehmheit und hohen so- 
zialen Status darstellen. Man erinnere sich nur an
	        
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