kuiturgeschichte! Du erzählst von der menschheit
geheimen iüsten. Wenn man in deinen seiten blät-
tert, erbebt die seele angesichts der fürchterli-
chen Verirrungen und unerhörten lasten-i"
Die psychologische Wirkung vor allem der Frauen-
kieidung wird übereinstimmend als hauptsächlich
erotisch definiert. "Man wird euch erzählt haben,
daß die schamhaftigkeit dem weibe das feigen-
blatt aufgenötigt hat. Weicher irrtum! Die scham-
haftigkeit, dieses mühsam und mit raffinierter kul-
tur konstruierte gefühi, war dem urmenschen
fremd. Das weib bekleidete sich, es wurde für den
mann zum rätsel, um ihm die sehnsucht nach der
iösung ins herz zu senkenm" Sachlicher äußert
Fuchs seine im wesentlichen übereinstimmende
Meinung: "Das oberste oder, noch richtiger ge-
sagt, der fast ausschließliche Zweck der dekorati-
ven Ausgestaltung der Bekleidung der Frau ist die
pointierte Herausarbeitung der erotischen Reiz-
wirkung des weiblichen Körpers. Mit anderen Wor-
ten: die Kleidung der Frau ist ein erotisches Pro-
biemkr" Während nun aber für Fuchs u... die Ent-
wicklung der Kleidung zu einem erotischen Pro-
blem an sich keine Verirrung darstellt, sondern
das natürliche Produkt eines immanenten Natur-
gesetzes ist-i", stellt Loos moralisierend streng
fest: wDas weib ist daher gezwungen, durch seine
kieidung an die sinnlichkelt des mannes zu appel-
iieren und bewußt an seine krankhafte sinnlich-
keit, für die man nur die kultur seiner zeit verant-
wortlich machen kann... Die liebe macht ihr den
mann untertan. Diese liebe ist nicht natürlich. Wä-
re es so, würde sich das weib dem manne nackt
nähern. Das nackte weib aber ist für den mann
leiZIUSJI" Daß Fuchs' und Loos' Erklärungen noch
heute zumindest teilweise gültig sind, obwohl
sich das Rolienverständnis der Geschlechter ver-
ändert hat, zeigt u. a. der Kampf von Frauen gegen
ein vor allem In der Reklame und auf illustrierten
verbreitetes Bild der Frau als Jederzeit verfügba-
res Sexuaiobjekt.
Die Kieidermode ist im Laufe der Zeit verschieden
raschen Veränderungen unterworfen; "das Wort
Mode oder modisch ist darum förmlich zum Syn-
onym für alles Vorübergehende geworden-i." Die-
se Wandlungen können sehr unterschiedliche Ur-
sachen haben. nDas Schönheitsideal einer Zeit
überträgt sich stets auf die Kleidung und formt
dementsprechend den Grundzug ieder Mode. Die
Mode ist sozusagen die Umformung des physi-
schen Schönheitsideais einer Zeit in die Praxis
des täglichen Lebens-r" Sehr selten allerdings
entsprechen die Gründe für die oft hektische Ent-
wicklung dem verbreiteten Vorurteil, modische
Veränderungen basierten auf willkürlichen, anar-
chischen Erfindungen: nGewiß bestimmen oft
scheinbar nebensächliche Dinge eine Mode, ge-
wiß knüpfen sich zahlreiche weitbeherrschend ge-
wordene Moden nachweisbar an die momentane
Laune einer Fürstin oder einer fürstlichen Maitres-
se. Aber man übersieht dabei gewöhnlich das ei-
ne, daß von den vielen Maitresseniaunen, diejeder
Tag in der Weltgeschichte geboren hat, eben nur
jene Launen modebiidend geworden sind, die mit
den allgemeinen Kulturtendenzen zusammentra-
fen, d.h. in die man das hineinzuiegen vermochte,
was die Tendenzen des herrschenden Geistes wa-
renß" Vor der Französischen Revolution wird die
Mode ausschließlich vom Adel und von den höhe-
ren Ständen bestimmt: wDie Mode geht mit der
Macht", bringt es Rene König auf einen einfachen
Nenner," während Eduard Fuchs ausführlicher
analysiert: v-Wenn wir nun anhand der politischen
Geschichte Europas verfolgen, wie sich der Abso-
lutismus als Regierungssystem der Reihe nach ln
den anderen Ländern entwickelte, so haben wir
damit die Daten gefunden, mit denen die typi-
schen Linien der spanischen Mode übernommen
wurden - sie kam nicht früher, und sie kam nicht
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später. Ganz genauso vollzog es sich mit der mo-
dernen bürgerlichen Moden" Während sich die
Kleidung der Hofmitgiieder und seiner Umgebung
aber rascher ändern, sind die Gewänder der Bür-
ger und Bauern einem langsamen Wechsel unter-
worfen, der zudem von Kleiderordnungen geregelt
wird (Abb. 14, 15), die man vor allem gegen vAuf-
steigern erläßt: z.B. gegen reiche Bürger, die sich
mit ihren z.T. erheblichen finanziellen Mitteln oft
prunkvollere Gewänder und kostbareren Schmuck
hatten leisten können als die adeligen Herren. Die
ser Widerspruch führte dazu, daß die Kieiderord-
nungen selten streng befolgt wurden, also oft un-
effektiv waren." Es gab aber andererseits auch ei-
nen starken moralischen Druck, der es als un-
schickiich erscheinen ließ, durch den Anzug
"mehr scheinen als sein" zu wollen. in diesem Sin-
ne machten Kleider in der Zeit vor der bürgerlichen
Revolution wirklich Leute; man kleidete sich sei-
nem Stand und nicht seinen tatsächlichen Vermö-
gensverhältnissen entsprechend. Kleiderordnun-
gen sind wichtige Quellen für das spezielle Ko-
stümstudium. Vor allem aber bieten Trachtenbü-
cher (Abb. 13, 14, 15), später Modekupfer und Mo-
dezeichnungen (Ab. 16-20) neben erhaltenen Ko-
stümen reiches Anschauungsmaterial. Aber auch
Malerei, Skulptur und Grafik (Abb. 1, 2, 6), sofern
Interesse an realistischer Darstellung vorhanden
ist, geben einen oft plastischen Eindruck von der
Mode in ihrer Umgebung oder von bestimmten in-
teressen, die zu Modetendenzen führen können,
wie beispielsweise dem Faible für exotische Stof-
fe und Schnitte (Abb. 6).
Die veränderten politischen und wirtschaftlichen
Gegebenheiten zu Beginn des 19. Jahrhunderts
bringen den bürgerlichen Schichten ein neues
Selbstbewußtsein, das die so offensichtliche äu-
ßerliche Kennzeichnung des sozialen Ranges ei-
nes Mitbürgers durch die Kleidung zumindest
ideologisch nicht mehr zuläßt. Die den Rang oder
den gesellschaftlichen Stand unterstreichenden
Gewänder werden nur noch zu Gelegenheiten ge-
tragen, deren Zeremoniell sich aus früheren Zei-
ten erhalten hat. Selbst der Herrscher läßt sich
wie ein bürgerlicher Vater darstellen (Abb. 4), den
Famiiienfotos seiner Untertanen ähnlich (Abb. 3,
5). "Das Grundelement der bürgerlichen Kleidung
ist die Uniformitat. Es gibt nur noch Bürger, denen
allen dieselben Rechte eignen. Also scheidet die
Kleidung den Menschen nicht mehr wie ehedem
durch bestimmte Merkmale, die der eine trägt und
die dem anderen zu tragen bei Strafe verboten
istm"
im Laufe des 19. Jahrhunderts und vor allem im
20. Jahrhundert verändert sich auch die Gruppe
der Menschen, die modebestimmend ist. Sind es
im 19. Jahrhundert noch die wohlhabenden Bürger
mittleren Alters, so werden es vor allem nach dem
ersten Weltkrieg die Jüngeren, für die die Mode
gemacht wird und die sie bestimmen. Heute ist
die bürgerliche Mittelschicht Träger der Modeten-
denzen, und hier sind es vor allem junge Men-
schen, die den sehr raschen Wechsel mitvollzie-
hen, ja eigentlich auch verursachen. Die Funktion
der Kleidung als Statussymbol ist schwächer ge-
worden.
Dennoch gibt es auch in unserer Zeit noch Mög-
lichkeiten, die gesellschaftliche Position in der
Kleidung zu dokumentieren: Den raschen und zu-
weilen extremen Modewechsei stets mitzuma-
chen ist meist nur begüterten Zeitgenossen mög-
lich, so daß das Faktum, nach der neuesten Mode
gekleidet zu sein, schon ein gewisses Zeichen der
gehobenen sozialen Stellung ist. Andererseits
sind es gerade die sehr Reichen und vor allem die
Mächtigen, die Politiker, die sich bewuBt den ak-
tuellen Modetendenzen entziehen und mit ihrer
"zeitlosem Kleidung Vornehmheit und hohen so-
zialen Status darstellen. Man erinnere sich nur an