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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVIII (1983 / Heft 186 und 187)

Wilhelm Mrazek 
Der Kaiserstil des Wiener Hofes 
Zu Franz Marsches Werk vDie Kunst im Dienste der 
Sraarsidee Kaiser Karls VI. n 
nWiener Schulen der Kunstgeschichte spielte seit ihrem 
and (1874) in allen Generationen die Erforschung und Dar- 
ing der Barockkunst des 17. und 1B. Jahrhunderts eine be- 
ere Rolle. Umgeben von den bedeutendsten Bauwerken 
donumenten aus allen Disziplinen dieser vor allem in Wien 
uchtbaren Kunstepoche. ist dies nur zu verständlich. 
rden noch lebenden Vertretern derWienerSchule ist esvor 
i Hans Sedlmayr gewesen. der von den zwanziger bis in die 
iger Jahre am meisten dazu beigetragen hat. die kunsthi- 
sche Forschung über die bisher übliche fachspezifische 
iodik hinaus auszuweiten und neue Wege der Barockfor- 
ng zu inaugurieren. Nicht nur mit den Arbeiten zur Kunst 
reiden Fischer von Erlach schuf er ein Standardwerk über 
z bedeutendsten Vertreter der barocken Architektur in 
rreich. sondern auch mit dem Aufsatz iiDie politische Be- 
urig des deutschen Barockstr (1938) sowie den kunstge- 
xhtlichen Studienzumbarooken AlIegorismusü-Architektur 
bbildende Kunst-r. 1948. und iiAllegorie und Architekturq 
) erwies er sich als ungemein fruchtbarer wissenschaftli- 
Denker und Anreger für jede zukünftige Forschung zur 
ckkunst. 
tohne Bezug zuden Zeitereignissen prägte man in den drei- 
'Jahren für die Kunst der Barockzeit den Begriff i-Reiohs- 
um das Phänomen der barocken Stilentwicklung unter den 
am Leopold l.. Joseph I. und Karl VI. zu charakterisieren. 
ssedlmayr korrigierte diesen Begriff mit der Fassung iiKel- 
til-r oder genauer iiKaiserstil mit einer Tendenz zum Reichs- 
Diese Differenzierung entsprach mehr den Tatsachen der 
weichischen Verhältnisse und stand mit der Terminologie 
ioiitischen Geschichte dieser Zeit im Einklang. In diesem 
immenhang wies nun Hans Sedlmayr mit einer Anmerkung 
enen Punkt hin. der auch für das vorliegende Buch Franz 
rohes zum Ausgang für seine Forschungen gewesen ist. 
lich: iiAlle diese Programme (für die Bauwerke)und Devisen 
ienten eine eingehende Untersuchung unter politischen 
ohtspunkten... 
z Matscheversucht nun in seinem Werk wDiG Kunst im Dien- 
ler Staatsidee Karls VI. lkonographie. Ikonologie und Pro- 
imatik des .Kaiserstils'ri auf breitester Basis sorgfältig un- 
ichter Einzelfälle diesen Begriff zu sichern. Er untersucht 
-r die Kunstwerke nicht nur In der bisher üblichen fachspezi- 
en Art der Ikonographie. sonderntendiert weitdaruberhin- 
indemer auch die seit den vierzigerJahren sich entwickeln- 
orschungsmethode der Ikonologie (Warburg. Panofsky. 
rnayr. Mrazek) heranzieht. um die Sprache der Kunst. die 
autungsstruktur aller jener künstlerischen Unternehmun- 
inter Karl Vl. auch In Ihrer politischen Relevanz zu erschlie- 
in Verfolgung dieses Zieles werden für ihn Position und Rol- 
-s Auftraggebers sowie dessen politische Intentionen. die 
er mit den Kunstwerken in Verbindung gebracht haben woll- 
)n allergrößter Bedeutung. Was fürSedImayr 1938 nureine 
meine Feststellung gewesen ist und was er selber in Verfol- 
I dieses Gedankens mit seinem Beitrag über die Interpreta- 
der Schauseite der Karlskirche 1956 darstellte. nämlich 
erstes und anregendes. aber vereinzelt gebliebenes Bei- 
für die einzuschlagende Forschungsrichtunga. wird von 
rohe in seiner Arbeit in der umfassendsten Weise verfolgt, 
n er die aus der Regierungszeit Karls VI. stammenden 
rtwerkevor allem naus der Sicht des sie bestimmendenAuf- 
iebers behandeIMMatsche). DerAutorteiltdieThese Sedi- 
's. daß sich i-in dem Auftreten dieses Stiles (Kaiserstil) und 
er Werke ein politischer Wille äußert, der sich die Möglich- 
der Kunst zunutze machtir. 
von diesen Voraussetzungen ausgehende wissenschaftli- 
Forschungsunternehmen Franz Matsches ist nun der ge- 
ene Versuch. die mit dem i-Kaiserstil des Wiener Holesir im 
immenhang stehende politische Problematik nachzuwei- 
Jfld auszuschöpfen. Er tut dies. indem er nicht nur die für 
Einzelfall gültigen zeitgenössischen kunsthistorischen 
ienwerke heranzieht. sondern gleicheniveise auch jene Be- 
ie hinterfragt, die im weitesten Sinne mit dem übergreifen- 
iegriff wPolitika abgedeckt werden können: die Quellen litera- 
ier und wissenschaftlicher Art aus den Bereichen Religion. 
JIIB. Ökonomie. Ethik. Mythologie. Poesie und Rhetorik. 
z Matsche gliedert seine Arbeit in drei Hauptteiie. die dem 
ntertitel angegebenen Schema von ikonographischer. iko- 
gisoher und programmatischer Behandlung folgen. im er- 
Abschnitt befaßt er sich mlt der Entstehung der Kunstwer- 
es wKaiserstiles des Wiener Hofesrr. den hauptsächlichen 
primären Quellen. die für die Deutung in Frage kommen. 
e mit den Auftraggebern und mit den Schöpfern der Werke. 
wird nicht nur die staatspolltlsche Konzeption und deren 
Ifesiationsfunktlon erläutertsondern aufdenAuftraggeber 
seine Mitarbeiter. aufdle Bedeutung dersohriftlich fixierten 
zepte und Deutungshilfen literarischer Art eingegangen. 
ühriich werden die Biographien des kaiserlichen General- 
IirektorsGundaokerGrafAlthann sowie der Konzeptvertas- 
(arl Gustav Heraeus und Konrad Adolph von Albrecht ver- 
und in ihrer Einflußnahme auf und ihrer Bedeutung für die 
beiden Hofarchitekten Johann Bernhard und Joseph Fischer 
von Erlach dargestellt. 
im anschließenden zweiten Teil unternimmt Matsche den Ver- 
such. aus den Quellen die staatspolitischen Ideen und ethi- 
schen Kategorien zu rekonstruieren. die mit den unter Karl Vl. 
geschaffenen Kunstwerken in Beziehung gebracht werden kön- 
nen. Hierbei geht es um die Darstellung des nStaats- und Herr- 
scherideais Karls Vl.. um die für ihn verpflichtenden Herrscher- 
tugenden und deren Präsentation als Abbild eines wahren Für- 
stenrr. 
Ein besonderes Interesse verdient im weiteren die ausführliche 
Darstellung des habsburgischen Tugendideals und Tugendka- 
ncns. An die Spitze stellt Matsche die wPletas AUSÜiECGK und de- 
ren Zusammenhang mit Religion und Politik als das bestimmen- 
de Fundament des habsburgischen Gottesgnadentums und ih- 
rerAmtsheiligkeit. Diese Ideen fanden eine künstlerische Mani- 
festation in den der Dreifaltigkeits- und Christusverehrung ver- 
pflichtenden Kunstwerken. so z. B. in der Dreifaltigkeitssäule 
am Graben in Wien. in dem Bundesladen-Denkmal in Györ und 
dem Kreuzpartikel-Pacifioale Kaiser Karls Vl. 
 
Das folgende Kapitel ist der i-Pietas Marianar und dem Kult Ma- 
riens als Staatspatronin und Generelissima der Habsburger ge- 
widmeLwieerz. B. in der MariensäuleAm Hof in Wien sich mani- 
festiert. Matsche verfolgt aber auch die Bedeutung der Marien- 
heiligtümer. wie Maria Zell. und erweitert seine Darstellung 
auch um jenen mit dem hl. Haus Mariens in Verbindung stehen- 
den Loreto-Kult auf habsburgischem Staatsgebiet. 
Anschließend wird der Heillgenverehrung und dem Kult des Na- 
menspatrons nachgegangen. wie ersich in der Karl-Borromaus- 
Kirche. Josephssäule und Nepomukverehrung manifestiert so- 
wie im Kult der Landesheiiigen. Ein weiteres Kapitel behandelt 
die Gerechtigkeitunddie DarsteilungderxClementiaAustriaca-r 
oderder wösterreichischen Milde undSanftmutc. wie siesich vor 
allem in der nSalus Pubiicac auswirkte. dem Gemeinwohl. das 
die soziale Intention des habsburgischen Tugendkanons und 
dessen Zielvorstellung vom Gemeinwohl umfaßt. 
Ein vergleichsweise ebenso reichhaltiger und umfangreicher 
Abschnitt behandelt dann das vTypisierende und Typologische 
des habsburgischen Tugendkanonsir. wie er sich in Karl Vl. als 
eines habsburgischen Herrsoherideals manifestiert. DaB auf 
diesem Herrscherschon zu Lebzeiten alle Ideale und Tugenden 
kumuliert wurden. ist aus der peilt-historischen Situation der 
vfDomus Austriair nur zu verständlich. Auf dem Höhepunkt der 
politischen Machtentfaltung und nach den siegreichen Türken- 
kriegen und der territorialen Machterweiterung lagen national- 
patriotische Gedankengänge nahe. Matsche verfolgt hier so- 
wohl die universalgeschichtiiche Herrscher- undTugendtypolo- 
giesowieallejene Bezüge. die im barockenAllegorismus mit Hil- 
fe des nsensus allegoricusu möglich gewesen sind und durch 
Exemplum. Allusion und Allegation slnnvoll-phantasiereich 
durchgeführt wurden. Diese Typologie wird nicht nur durch die 
Vorläufer des Namens Karl bestimmt. sondern in erweiterter 
Weise durch Zusammenhänge mit Personen und Ereignissen 
aus der Welt der Bibel. aus der römisch-caesarischen Historie 
und der antiken Heiden- und Gottermythologie. so z. B. Karl Vl. 
als Herkules. als Apollo und Sol-Sonne. 
Der dritte und letzte Teil derArbeit Matsches gipfelt in der Dar- 
stellung der Gesamtkonzeption und übergeordneten Program- 
metik des in den Kunstwerken zur Anschauung gebrachten Re- 
gierungsprogramms Kaiser Karls Vl. Matsche zieht für seine In- 
terpretation nicht nur den Titelentwurf für den Codex Albrecht 
heran. der die meisten Konzepte der Bauwerke enthält. aber 
nicht mehr publiziertwerden konnte. sondern auch dieTitelkup- 
fer der Stlohwerke Pfeffel-Kleiners zur Bautätigkeit in v 
ter Karl Vl.. die die generelle Problematik in allegorlsche 
tion darstellen. Matsche kann aber eineweitere kaum br 
Quelle beibringen. die seine bisherigen Ergebnisse in al 
stätigt. Es ist dies der Traktat des Wiener Jesuiten Anton 
nAugustaCarolinaevirtutismonumentaitvomJahre1731 
mit zahlreichen Schautafeln versehene Arbeit erfaßt de 
ten Teil der von Karl VI. veranlaßten oder auf seine Initiz 
stande gebrachten baulichen Unternehmungen und ste 
unterprogrammatischen Gesichtspunkten vor. Hollerbi 
diese Weise eine zeitgenössische. ja offiziöse Deutung 
samlprogrammatischen Charakters dieser kaiserlicher 
tigkeit. Unterder programmatischen Formulierung iiDie 
Iichen Monumente der Carolinisohen Tugend oder die E 
ke. die von Carl VI. dem größten Kaiser und Vater des V. 
des. im gesamten Habsburgisch-osterreiohischem Geb 
allgemeinen Wohl errichtet worden sindir. wird der g 
Wirkungsbereich der Tugenden Karls Vl.. von den poli 
Taten bis zu den künstlerischen Unternehmungen gesc 
und zwar so. daß die letzteren. die i-Monumenteir oder dir 
ficia-r. als letzte Konsequenz der ersteren erscheinen. Hi 
zeichnet Karl VI. als wAedilis Augustusw und gruppiert 
Werke nach folgenden Sachgebieten: 
1. iiAedificia sacrair. Bauten für den Kultus bzw. für die i 
2. iiAedificla doctair. Bauten für Bildung. Wissensch 
Kunst 
S. i-Aedlflcla oeconomicair. Bauten für Wirtschaft. Han 
Verkehr 
4. iiAediflcia civilis oder civica-r. Bauten für Soziales und 
che Ordnung 
5. wAedificia bellica-r. Bauten für militärische Rüstung 
Friedenssicherung 
Hollers Schrift ist mitTitelkupfer und Schautafeln illustr 
sich auf die jeweiligen nAedificia-r beziehen. Matsche g 
genaue Inhaltsangabe und muß sich durch Höllers Arbi 
lem. was er bisher über die Kunst im Dienste der Sta 
Karls VI. ausführte. bestätigt sehen. Holler demonstri 
grundlegenden und alles beherrschenden Stellenwert d: 
scheri Bedeutung und Funktion der Bau- und Kunstur 
mungen Karls VI. vDiese sind prinzipiell von staatspoll 
Ideen. Intentionen undAmbilionen bestimmtaufdleihre 
hung. die Auswahl der Objekte, ihre Gestaltung und Deki 
die Thematik und lkonographie ihrer bildlichen Aus: 
durch Malerei und Skulptur zurückzuführen sind. Alle Wt 
terliegen a priori einer politischen Motivation und Prog 
tik. undzwar in einersystematischen und umfassenden l 
tion. die die gesamte Reihe dieser Werke als Programi 
scher Kunst determiniert. wie es in dieser entschiedei 
schlüssigen Art vorher nirgends zu beobachten ist. Bei 
wurde die Staatsauffassung des Monarchen statt durc 
sche Literatur durch die in Funktion und Gestaltung e 
chend gewählten Bauwerke, Denkmäler und andere l 
derbildenden Kunst sichtbargemacht. . Die Kunstwei 
den nicht zur Vermittlung der ideale seiner Politik einges 
stehen als die Werke und Ergebnisse des verwirklichten 
Herrschertums und des "guten Regimentesrr Karls Vl.. 
die Politik selbst. Das Phänomen. das dabei als besont 
merkenswert . .. wneuartig erscheint, ist der umfasser 
geradezu instrumentale Einsatz der Kunst im Dienstede 
des Monarchen als Propaganda und als Tatir. (Matsche. 
Franz Matsche. der sich mit dieserArbeit in Heidelberg 
tierte und der heute Professor in Münster ist. breitet se 
fassenden Untersuchungen und ungemein interessant 
schungsergebnisse aufeinem Umfang von 590 Buchsei 
Ein wissenschaftlicher Apparat. bestehend aus 1600 
kungen. die mitunterzu kleinen Essays ausgeweitet sini 
ten Bibliographie und 165 Abbildungen. komplettiert die 
schungsergebntsse und macht seine Arbeit zu einer Fur 
für alle an der Kunst der Barcckzeit Interessierten. 
Alles in allem läßl sich von Franz Matsches Werk sagen 
dem Autor vollauf gelungen ist. an Hand der Rekonstruk 
für Karl VI. maßgeblichen Tugendkanons sowie seine 
ethik im Bezug zu seinen Kunstunternehmungen diesr 
serstill als ein anschaulich gemachtes Regierungsprc 
vorzustellen. dasgleichzeitig ein integraler Bestandteili 
tischen Praxis des Kaisers gewesen ist. Matsches Ar 
weist sich somit als ein bewunderungswürdigar Beitrag 
blematik des ivKaiserstils des Wiener Hofes"; sie ist t 
i-Summet. deren Ergebnisse weit über die fachspezifisr 
ziplin hinausreichen und daher auch bei den Nachbar 
nen. bei Theologie. Neue Geschichte und Sozialethlk. 
Interesse verdienen. 
Franz Matsche. Die Kunst im Dienste der Staatsidee Kaiser 
1. Halbbd-XVlll 1428 Seiten. 2. HalbbdxVlll (429- 590 und 165i 
gen. Beiträge z. Kunstgeschichte. BD. 16Il + 2 
Walter de Gruyter 8. Co 1981. Ganzleinen 7 DM 318.-
	        
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