Die Behauptung, daß Österreich in den zwanziger.
ren wesentliche Beiträge zum konstruktivlstiscl
und strukturellen Denken und Gestalten geleistet
rutt in Fachkreisen zumeist ungläubiges Staunen
vor. Ebenso wird die Behauptung. daß Wien damals
Zentrumderlnformationsvermittlungfürdieaktuell
künstlerischen Entwicklungen Europas war, mit S
sis aufgenommen. In den gängigen kunsthistorisc
Übersichten dominiert die Meinung, daß Österr
nach den bedeutenden Leistungen des Jugendstils
des Frühexpressionismus in der Zwischenkrieg:
keinen AnschluB an die neuesten künstlerischen"
denzen gefunden hat, und daß die wenigen Öste
cher. die daran Anteil hatten, im Ausland tätig wa
Diesem Klischee steht jedoch eine Aussage des Ai
tekten und Malers Friedrich Kieslerentgegen. In se
Erinnerungen an die künstlerischen Möglichkeite
seinerHeimatstadtwährendderzwanzigerJahrerr
er: iiEs war als würde Utopia Realität werdenß
Wie ist es möglich, muß man fragen, daß die Kuns
schichte von diesem Geschehen, aul das sich Kie
als international anerkannter Vertreter konstruktiv
scherGestaltungsideen bezieht, bis heute keine Ke
nis erhalten hat: Beruht etwa seine Aussage auf e
durch die lange Abwesenheit verklärten Erinnerun
Kieslerwandert 1926 in dievereinigten Staaten au:
oder ist die kunsthistorische Darstellung dieses .
raumes lückenhaft?
Es soll mit den folgenden Ausführungen keinesfalls
tradierte Bild vom künstlerischen Geschehen im ll
der zwanziger Jahre in sein Gegenteil verkehrt.
heißt, an die Stelle der expressionistischen und tig
len Vorherrschaft ein konstruktivistisches Übergevi
gesetzt werden; lür die Darstellung der kulturellen
deutung eines Landes ist das Hervorkehren der Vie
und Verschiedenartigkeit der geistigen und künst
schen Leistungen wichtiger. als eine zumeist an au
künstlerischen Zwecken orientierte Suche nach eii
einheitlichen nationalen Charakter. In diesem Sinn
der vorliegende Beitrag das vorhandene Bild von
österreichischen Kunst- und Geistesgeschichte
Zwischenkriegszeit um einige wichtige Phänomen:
reichern und zeigen, daß es in Wien eine lebendige
dichte Auseinandersetzung mit den verschiedenei
volutionaren künstlerischen und kunstlheoretisc
Strömungen dieserJahre gegeben hat. Die zahlreir
Zitate aus der Tagespresse, aus Katalogen und
theoretischen Abhandlungen wurden mit der Abs
ausgewählt, einen Einblick in die kritische Auseinar
setzung in den die Öffentlichkeit inlormierenden
dien zu gewähren, welchen ein entscheidender A
an der Rezeption des Neuen und Ungewohnten
kommt. Die hier erstmals aus dem Blickwinkel e
Konstruktivismusrezeption in Wien zusammenge:
ten Informationen sind problemlos aus Büchern, k
logen, Zeitungen und Archivalien zu gewinnen. Sie
sen den Schluß zu, daß Kiesler nicht so unrecht h:
wenn er, allen politischen, wirtschaftlichen und di
Vorurteile geprägten Schwierigkeiten zum Trotz, vo
ner für seine ldeen und Ziele günstigen Situa
spricht. Das Wiener Publikum war zwar konservativ
gestellt. doch ist es das auch heute noch; das betra
mals aber nicht nur seine Stellungnahme der geom
schen Kunst gegenüber, sondern es wurden ebenst
Werke Kokoschkas und Schönbergs abgelehnt. Es
für die neuen Wege in der Kunst wie überall so au(
Wien keine breite Resonanz, doch hat sich trotzde
diesem Milieu eine überraschend aktive und engagl
Gruppe von Künstlern, Kunsthistorikern, Beamten
Politikern unter großem persönlichem Einsatz unc
einigem Erfolg für die Vermittlung des aktuellen
schehens in der europäischen Kunstszene eingesi
Diese Personengruppe war eng mit der sozialdemc
tischen Bewegung Wiens verbunden, ein noch viz
wenig beachteterAspekt in der Kulturgeschichte dil
Stadt; sie schufwahrend einigerJahre ein geistiges
künstlerisches Klima, in dem sowohl durch umtani
che Ausstellungen die neuesten Tendenzen vermi