heftige Auseinandersetzungen über theoretische Fra-
gen gegeben hat.
Zu einemwichtigen Kontaktzwischenösterreichischen
Architekten undder iiStijlii-Gruppe kam es anlaßlich der
PariserKunstgewerbeaussteilungvon 1925. Die hollän-
dischen Künstlerwaren von ihrem Heimatland nicht no-
miniertworden undTheo van Doesburgorganisiertege-
gen diese Entscheidung eine internationale Protest-
aktion. Treffpunkt der Avantgarde war Kieslers "Raum-
stadtk,diedamaisderbedeutendste Beitragzurneopla-
stizistischen KunstwarVan Doesburg schriebineinem
Brief an Kurt Schwitters: iwBei der Eröffnung derSection
autrichienne wo Kiesler eine sehr schöne Raumge-
staltung gemacht hat, habe ich einliegenden Protest
hinterlegt und darauf Namen von wichtigen Persönlich-
keiten gesammeltnim Diese Resolution unterschrieben
von österreichischerSeite: Josef Hoffmann, Peter Beh-
rens, Adolf Loos, Friedrich Kiesler, Oskar Strnad und
Oswald Haerdtl, Weitere Unterschriften stammen von
Walter Gropius, Auguste Perret, Tristan Tzara, Hans
Arp, Kurt Schwitters, Cor van Esteren, Vilmar Huszar
und noch einigen anderen Künstlern und Architekten?
Kiesler gehörte der iiStijlK-Bewegung seit 1923 an. Er
nahm an dieser Kunst nicht nur durch die Übernahme
des neuen Formenvokabuiars teil, sondern er brachte
selbst wichtige Anregungen ein. Er hatdiejeweils gebo-
tenen Mittel in radikaler Weise für seine Ziele nutzbar
gemachtundgelangtedadurchzu Losungemdieinihrer
Zeit kaum überboten wurden. Dies giltvoraliem fürsei-
ne Idee von einer offenen, kontinuierlich fließenden
Raumästhetik. mit der er die statischen. beengenden
Raumbegrenzungen auflösen will. lrri Laute seines Le-
bens hat er dafür konstruktivistische (Raumbühne),
neoplastizistische (Ftaumstadt) und surrealistische
(Endloses Haus) Formen verarbeitet und jeweils Ergeb-
nisseerzielt,dievonhöchsterOriginalitätundIndividua-
lität zeugen. FürdieTrägerkonstruktionen inderWiener
Theatertechnik-Ausstellung und für die Pariser iiRaum-
stadtw setzte Kiesler das geometrische Vokabular der
Holländer ein; dabei orientierte er sich jedoch nicht an
der flächenbezogenen Kunst Mondrians und van Does-
burgs. sondern er vergrößerte die von Gerrit Thomas
Rietveld geprägte räumliche Organisation elementarer
Mittel zu monumentalen Environments (Abb. 3 bis 9).
Kieslers neoplastizistische Konstruktionen wurden
durch Bildberichte und Beschreibungen in den ver-
schiedensten Kunstzeitschriften international bekannt
und übten sicherlich auch aufdiesem Wege Einfluß auf
spätere Raumkonzepte aus. Mit dieser Frage hat sich
die Forschung noch kaum beschäftigt, obwohl es einige
formal sehr ähnliche Lösungen aus den dreißiger Jah-
ren und auch aus der Nachkriegszeit gibt. Dazu zählen
zum Beispiel die vreliefs sbatio-temporellesii des fran-
zösischen Künstlers Jean Gorin (Abb. 10). Nicht nurdie
Organisation der Flächen und Stäbe ist verwandt. son-
dern auch die Verwendung der Begriffe Raum und Zeit:
Kieslerspricht von derZeitstadt, irweil die Zeit der Maß-
stab ihrer Raumorganisation istir, und von der Raum-
stadt, iiweil sie frei im Raum schwebt, dem Terrain ent-
sprechend föderativ dezentralisiert istiny Ebenso wie
Gorins Reliefs als Verkleinerung der iiRaumstadtrr er-
scheinen, so sind wohl auch die wistrukturistischenirGe-
staitungen englischer, kanadischer und holländischer
Künstler der Nachkriegszeit mit Kieslers Arbeiten in
Wien und Paris verbunden?
Die Konstruktionen für die Theatertechnik-Ausstellung
wurden in der Wiener Tagespresse ausführlich be-
schrieben, doch fehlt jeder Hinweis auf das holländi-
sche Vorbild, wie dies für die Raumbühne in bezug auf
ihre russischen Ahnen geschehen ist. In Künstlerkrei-
sen dürfte aber über diesen Zusammenhang kaum Un-
klarheit geherrscht haben, denn Kiesler war nicht der
einzige, dersich damals gestaitend mitden Formprinzi-
pien der Holländer auseinandergesetzt hat. Vor allem
waren einige junge Wiener Architekten offensichtlich
von den neoplastizistischen Anregungen fasziniert. Da-
von zeugen Entwürfe und Zeichnungen utopischer Pro-
jekte, aber auch einige ausgeführte Arbeiten.
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Ein eindrucksvolles konstruktivistisches Raumkonzept
realisierte Oswald Haerdtl mit der Gestaltung einer Ar-
chitekturausstellung im vÖsterreichischen Museum für
Kunst und Industrien (Abb. 22). Er setzte im selben Jahr
wie Kiesler(1924)die holländischen Anregungen in eine
den Raum durch große horizontale und vertikale Platten
gliedernde Konstruktion um. Auch sie geht weit über ih-
re eigentliche Funktion als Träger von Ausstellungsob-
jekten hinaus und gewinnt eine eigenständige künstleri-
sche Bedeutung. Ihre Aktualität und ihf Stellenwert im
internationalen Geschehen laßt sich abschätzen, wenn
man sie mit der relativ konventionellen Präsentations-
weise der Architekturmodelle und Zeichnungen in der
berühmten vDe stillt-Ausstellung von 1923 in der Pari-
ser Galerie nL'Effort Moderner: vergleicht (Abb. 24).
Haerdtl gestaltete auch die österreichische Architek-
turabteilung auf der großen Pariser Kunstgewerbeaus-
stellung von 1925 nach diesem Prinzip (Abb. 23) und lei-
stete damit neben Kieslers irRaumstadt-i den zweiten
bedeutenden österreichischen Beitrag zur vNeuen Ge-
staltungu.
Daß Wiener Künstler gerade durch Ausstellungsgestal-
tungen wichtige Anregungen zur modernen Kunst bei-
trugen ist kein Zufall. Die Konzeption von Ausstellungen
als Ftaumerlebnis hat in dieser Stadt eine lange Tradi-
tion. Spätestens in der Secessions-Bewegung wurde
diese Formgelegenheit mit der Idee des Gesamtkunst-
werkes verbunden und hat wohl daher einen wesentli-
chen Teil ihrer Bedeutung für Österreich bezogen. Der
Ausstellungsbau bot schon um 1900 im engen Rahmen
des konservativen Wiener Milieus einen Freiraum für
unkonventionelle künstlerische Experimente, wofür Jo-
sef Hoffmanns nBeethoven-Ausstellungt- von 1902 das
bekannteste Beispiel ist? Die Faszination solcher Pro-
jekte lebtauch nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien wei-
ter; wohl nur aus dieser Tradition ist die hitzige Diskus-
sion um den geeigneten wRahmen-t für die langst über-
fällige Josef-Hoftmann-Ausstellung zu verstehen, die
das Projekt immer wieder verzögert.
Einer der überraschendsten Funde auf der Suche nach
konstruktivistischen Gestaltungen derZwischenkriegs-
zeit ist das Kongreßbad und der daran anschließende
Park in Ottakring. Dort setzte der Stadtbaudirektor der
Gemeinde Wien, Erich Leischner, zwischen 1927 und
1928 ein monumentales Denkmal neoplastizistischer
Formgestaltung. Vor dem Eingang des Bades stehen
zwei mehrere Meter hohe, aus armiertem Beton gefer-
tigte Fahnenmaste, die wohl zu den größten heute
bestehenden Objekten dieser Stilrichtung gehören
(Abb. 25). Obwohl es sich nicht um eine konsequente,
auf dem theoretischen Konzept der Holländer aufbau-
ende lnterpretation der ßStijlu-ldeen handelt. ist auch
hier die Vorbildungsfunktion Ftietvelds nicht zu überse-
hen (Abb. 9). Betritt man das Bad, entdeckt man, daßdie
gitterartigen Füllungen der ebenfalls in Beton ausge-
führten Geländer offensichtlich den schwarzweißen
Balkenkompositionen Theo van Doesburgs aus dem
Jahr 1918 nachempfunden sind (Abb. 26, 27). Auch die
aus vertikal inden Boden eingelassenen und parallel zu-
einander verschobenen rechteckigen Platten gebilde-
ten Eingänge in den Kongreßpark gehören zu den Über-
raschungen dieserAnlage (Abb. 28); sie ist ein überra-
gendes Zeugnis von der Präsenz des Neoplastizismus
in der sozialen Baubewegung Wiens. Ein weiteres
Denkmal dieser Art hat Leischner im Pfannenstielhof
(Wien 17., Kreuzgasse 87 - 89) hinterlassen. Dort ver-
leiht er einem als plastisches Objekt aufgefaßten Brun-
nen einenderartwahrzeichenhaften Charaktendaßsei-
ne Funktion als Wasserspender fast ein nebensächli-
ches Phänomen zu sein scheint. Auch hier bedient sich
Leischner eines geschichteten geometrischen "Plat-
tenstilstt, der in reduzierter Form auch an manchen Ge-
meindebauten der zwanziger Jahre vor allem in Ein-
gangsbereichen und an Ecksituationen zu finden ist.
Auch in frühen Zeichnungen des Architekten Ernst
Plischke tritt diese Formidee in Erscheinung: Um
1923124 hat er Entwürfe für ein wWohnhaus mit Terras-
sengartenw gezeichnet (Abb. 29). die ein charakteristi-
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