Großformatige Ölskizzen deutscher und österreichi-
scher Freskanten des 18. Jahrhunderts gehören schon
lange zu den Seltenheiten auf dem internationalen
Kunstmarkt. Sammler und Museen schätzen sie glei-
cherweise hoch und gestehen ihnen den Rang von auto-
nomen Kunstwerken zu. Der Erwerb von Matthäus
Günthers Skizze für das Chorfresko der ehemaligen
Benediktinerkirche in Rott am Inn (Farbtafel) durch den
Kreis der Freunde und Förderer der Städtischen Kunst-
sammlungen Augsburg bedeutet daher einen außerge-
wöhnlichen Glücksfall. Die Deutsche Barockgalerie in
Augsburg, die das Bild als Leihgabe erhält. besitztdamit
den reichsten und repräsentativsten Bestand an Öl-
skizzen dieses fruchtbarsten Freskanten Süddeutsch-
lands im 18. Jahrhundert.
Das 87.5 x 82.5 cm messende. auf Leinwand gemalte
Bild war nach Angabe des Vorbesitzers in den fünfziger
Jahren auf einer Auktion in Brüssel als anonymer Mei-
ster versteigert wordenf Ob es sich zuvor mit der zwei-
ten, 127 X119 cm großen Ölskizze für Rott am Inn, die
das Bayerische Nationalmuseum München 1959 aus
dem Pariser Kunsthandel erwarb", in einem, vielleicht
französischen, Besitz befunden hatte. ließ sich nicht
eruieren. Immerhin deutet das Auftauchen zweier wei-
terer Ölskizzen im Pariser Kunsthandel" darauf hin.
däßeinnichtunbeträchtlicherTeildesGünthernachlas-
ses nach Frankreich verschlagen wurde.
Das nahezu quadratische Bild ist. von kleineren
Beschädigungen abgesehen. gut erhalten. An den Rän-
derniedoch wares übermaltbzw. neu gemalt, indem die
kreisrunde Komposition gegen die Ecken zu durch
braune und grüne Vordergrundstreifen um fast 5 cm
enzveitert wurde (Abb. 2). Die Ecken selbst waren durch
pseudobarocke, dunkel eingefärbte Gipsauflagen
kaschiert. Nach Abnahme des vergilbten Firnisses und
der Übermalungen durch den Gemälderestaurator der
Städtischen Kunstsammlungen, Herrn Bodo Beier,
stellte es sich heraus. daß die Farbe des 19. Jahrhun-
derts großteils in das originale Craouele eingedrungen
war. Auffallend ist die außerordentlich solide Grundie-
rung des Bildträgers. Auf die - nicht dubliene - Lein-
wandwurdezunächsteinedünne rote Bolusschichtauf-
getragen. Darüber liegt ein beträchtlich stärkerer,
hellgrauer Kreidegrund. der durch eine dünne braune
Farbschicht in lasierendem Auftrag abgeschlossen
wird. Auf die geglättete und farbundurchlässige Malflä-
che wurde zunächst mit dern Stift in leichten Umrissen
die Zeichnung aufgetragen, die, besonders unter den
hellen Lasuren, stellenweisesichtbarblieb (Abb. 3). Die
Eckzwickel wurden erst zum Abschluß der Arbeit mit
grauer Farbe gleichmäßig ausgemalt.
Dargestellt ist das Martyrium des hl. Marinus, der
zusammen mit dem hl. Anianus. seinem Neffen, als
Patron der Kirche von Rott verehrt wird. Der Legende
zufolge waren die beiden irischen Wandermönche von
Rom nach Bayern in die Gegend des lrschenbergs gezo-
gen, wo sie etwa 40 Jahrelang als Eremiten lebten, bis
sie anno 679 von den heidnischen Wenden aufgespürt
wurden. Diese plünderten die Klause des Marinus, fol-
terten ihn und warfen ihn in einen brennenden Scheiter-
haufen, während der krank darniederliegende Anianus
in seiner Hütte verschied. Die Gebeine der beiden Heili-
gen sollen später in Wilparting. danach in Rott beige-
setzt worden sein. Links sieht man die geöffnete Klause
des Heiligen und diesen selbst. von den halbnackten
oder gewappneten Soldaten niedergestreckt. die mit
Knüppeln und eisernen Haken auf ihn eindringen.
Rechts ragt der brennende Scheiterhaufen empor, von
muskulösen Männern angefeuen. während zwei
andere Holz herbeitragen. Der Tote liegt im schwarzen
Mönchshabit, das Kreuz in der Linken. wie schlafend in
den Flammen. Als ginge sie das Ganze nichts an. unter-
halten sich im Vordergrund ein stehender Stutzer mit
Spazierstock und Feder am Jägerhut und ein sitzender
Türke mit würdevollem Gesicht, Turban und Stock. Die
oberen Bildränder nehmen weitere Soldaten, Gehölz
und das Zeltlager in der Ferne ein. In der Mitte tragen
Engel den verklärten Märtyrer aufeinerWolke zum Him-
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mel empor. Einer hält Mitra und Krummstab, die Mari-
nus als Bischof ausweisen. Der Halbkreis der anschlie-
Benden Wolkenbänder ist mit weiteren jubelnden und
musizierenden Engeln besetzt, ein großer und zwei
kleine Engel schweben dem emporblickenden Märtyrer
mit Palme und Krone entgegen. Am oberen Bildrand
erscheint, zwischen den Bäumen versteckt. die Klause
des hl. Anianus.
Zwei unterschiedliche Gestaltungsprinzipien bestim-
men Aufbau und Komposition. Die drei Hauptmotive,
Klause, Scheiterhaufen und der verklärte Heilige. erge-
ben ein stumpfes Dreieck. das sich rechts vorn in der
Gruppeumden buntgekleidetenStutzermitspitzigerem
Winkel wiederholt. Einem dritten, noch steileren Drei-
eck läßt sich dieGestalt des Märtyrers samt den Engeln
in der Mitte einbeschreiben. Diesem statischen Gerüst
wirkt die unten in der Mitte ansetzende Schraubbewe-
gung der kurvigen Geländestreifen. der Flammen-
schwaden und Wolkenbänke entgegen. Ein ähnlicher
Kontrast herrscht in der Randzone zwischen der äuße-
ren Kreisform und den links und rechts oben einschnei-
denden verschobenen Geraden der Sand- und Fels-
bänkefürWaldundZeltlager.Bildeinwärtsführendeund
tiefenraumschließende Motive wechseln mit flächen-
aulteilenden, hell beleuchtete Partien mit verschatte-
ten. nah gesehene Gestalten und Gegenstände mitdun-
stig verschleierten. So entsteht ein von außen nach
innen, von vorn nach rückwärts, von oben nach unten
fließendes,ständigesSchwingenundWiegen,dasauch
im Zentrum des Bildes nicht zur Ruhe kommt und den-
noch die Komposition im Gleichgewicht hält.
Entscheidend beteiligt an diesem Eindruck ist die Far-
bigkeit. Sie hebt an mit dem bläulich, weißlich, schmut-
zig grau und blaß ockerfarbig schimmernden Erdfleck
vorn, aufden unvermittelt das leuchtende Rot. Blau und
Weiß des Stutzers mit der gebogenen Hutteder, der
größten Figurdes Bildes. folgt. Verwandt, doch düsterer
und branstiger. ist der rotflammende Scheiterhaufen
mit seinem dunklen Opfer. Sie bilden, medias in res füh-
rend. den dramatischen Höhepunkt der Farbkomposi-
tion. Die Marterszene links tritt an farbiger Bedeutung
bereits zurück. sie leitet über zur atmosphärischen
Weichheit des Fernen. Die zartesten Farben. bis zum
getönten Licht verblassend. weist die Bildmitte auf. Der
Vordergrund drängt sich am stärksten ins Gesicht mit
seiner kräftigen Modellierung. dem pastosen Farbauf-
trag und dem quirlenden Pinselduktus. Weißhöhung
und Braunschatten verstärken die Dinglichkeit. In den
entfernteren Partien genügen farbige Lasuren mit wei-
ßeroderrotlich-braunerZeichnung,umdieWirkung von
lichtdurchfluteten Räumen hervorzubringen und die
Bildgegenstände zu entmaterialisieren. Auch die Solda-
ten oder die Zeltedes Hintergrundes sind hell in hell, mit
viel Weiß und wenig Farbe gemalt. Für das Ornament
auf der Mitra des Heiligen verwendet der Maler sogar
das umgekehrte Verfahren, indem er das Muster mit
dem Pinselstiel aus der Farbe herauskratzt (Abb. 3).
Der Augsburger Kunst- und Freskomaler Matthäus
Günther(1705 -1788)standim ZenitseinesSchaffens,
als er den Auftrag erhielt, für Johann Michael Fischers
Kirchenneubau in Rott am Inn diedrei Kuppeln mit Fres-
ken zu schmücken und zwei Altarblätter zu malen. Den
Benediktinern war er mit seinen Arbeiten in den Kloster-
kirchen von Amorbach und Fiecht kein Unbekannter
mehr, mit den Augsburger Stukkatoren Franz Xaver
Feichtmayr und dessen Schwiegersohn Jakob Rauch
verband ihn, neben der Heimat Wessobrunn. die
gemeinsame Tätigkeit in zahlreichen Kirchen Schwa-
bens. Bayerns, Frankens und Tirols. sein Münchner
Namens, doch nicht Blutsvetter lgnaz Günther war erst
kurz zuvor mit Ihm, Feichtmayr und Rauch an der Reko-
koausstattung des Graflich Seinsheimischen Schlos-
ses Sünching beteiligt gewesen. Die irgypsarii simul et
architecti augustanir Feichtmayr und Rauch waren