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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXX (1985 / Heft 198 und 199)

beweisen den wesentlichen Wunsch der Gläubigen, die 
unverhüllte Hostie möglichst nahe zu sehen. Dies mag 
dazu beigetragen haben, daß auch bei den großen Flur- 
umgangen, bei den Bittgängen und sogar beim Wetter- 
segen" die Eucharistie mitgetragen wurde. in der Mitte 
des 15. Jahrhunderts waren diese Gewohnheiten in 
Süddeutschland und Österreich so allgemein ge- 
bräuchlich geworden, daß manche Theologen gegen 
sie vergingen und sie abschaffen wollten: im Gefolge 
der Bestrebungen des Kardinallegaten Nikolaus von 
Kuess", der die Meinung vertrat, die Eucharistie sei vals 
Speise, nicht als Schaumittel eingesetzte worden", 
klagte der Bischof von Lavant in seinen Vorschlägen für 
das Salzburger Provinzialkonzil von 1456 sosehr über 
die Häufigkeit der Bittgänge und der Donnerstags- 
messenä, daß diese Kirchenversammlung es für rich- 
tig erachtete, vdiese wunderlichen, in Wahrheit sogar 
unzuträgiichen Gewohnheiten, . , . die untergroßerTeil- 
nahme des Volkes ohne Ehrerbietung und Andacht in 
lächerlicher Weise mit Geschrei und ungewöhnlichen 
Gesängen abgehalten werden, aufzugeben und zu til- 
genir". Abgesehen von solch einfältiger Diffamierung 
von Unerwünschtem beweist der in Anmerkung 53 
zitierteOriginaltextn. ..euntis velequitanlisnßgdaß bei 
den großen Bittgängen am 25. April und an den drei 
Tagen vor Christi Himmelfahrt der Priester, der dabei 
die Eucharistie in einer Bursa um den Halstrug, beritten 
gewesen sein konnte; in solchem Fall begleiteten ihn 
junge Männer aus der Pfarre ebenfalls zu Pferd? 
Diese Möglichkeit des Reitens bei manchen Bittgangen 
ist wohl die Erklärung für die oft weite Entfernung der 
Orte, aus denen -nachgewiesen in einem Einnahmen- 
verzeichnis von 149955 - im Spätmittelalter Bittgänge 
zur Salzburger Stadtpfarrkirche geführt wurden: Lam- 
prechtshausen, Berndorf, Bergheim, Köstendorf, See- 
kirchen, Höglwörth, Kuchl, Thalgau, Fridolfing, Tittmo- 
ning, Khay, Oslermieting, Waging, Petting, Otting, 
St. Georgen (an der Salzach), Halsbach, Vachendorf. 
Ehrnstett, Hallein. Laufen, Abtenau, (Ober-)Alm, Rad- 
stadt, St. Cyriak ( : Pfarrwerfen), St. Veit (im Pongau), 
Teisendorf, Anthering, Siezenheim, Saizburghofen, 
Lofer, Zeii (am See), Saalfelden, Piesendorf, Taxen- 
bach, Chieming und Grabenstätt, Die Geschichte der 
Bittgänge - allgemein und ausführlich hat darüber 
Emil Joseph Lengeiing informiert" - für den Bereich 
des Erzbistums und insbesondere derStadtSalzburg im 
Spätmittelalter harrt noch der Erforschung. 
Mit der Erwähnung der Donnerstagsmessen und der 
Bittgänge soll keineswegs gesagt werden. daß sie zu 
ihrem Vollzug eine umschreitbare Marienstatue oder 
eine - ebenso umschreitbare - Säule in der Mittel- 
achse der betreffenden Kirche voraussetzen. Sie sind 
nur Beispiele für liturgische Gegebenheiten, die zwar 
unsheutigen hHaChkOTlZiliHTeHil, imAn-Schaulichen des 
Kultischen so arm gewordenen Menschen sehr merk- 
würdig erscheinen mögen, die aber für die wZeit um 
1400" und ihren i-Erlebnisgehaltvr manches erklären 
können. Die Bittgänge von Chartres zum Beispiel waren 
weitum berühmt; neben wsigmair wurde auch stets ein 
Drache mitgeführt, der vdragonnierri war ein vom Dom- 
kapitel an Laien verliehenes Ehrenamt." Wenn nun bei 
den spätmittelalterlichen Bittgängen in die Salzburger 
Benediktinerabtei St. Peter zur nMaria Säulii ebenfalls 
ein ndracorr mitgeführt wurde", so ist dies nur ein Zei- 
chen mehr für die tiefe Verbundenheit der liturgischen 
Gewohnheiten im mittelalterlichen Salzburg mit denen 
im Gebiet des alten Gallien. 
Martin Hattinger, 1584 - 1615 Abt von St. Peter in Salz- 
burg", vermerkte in der von ihm verfaßlen und 
geschriebenen Chronik seines Klosters: nVom Jahre 
1590 an wurden in der Metropolitankirche [Salzburg] 
das Offizium divinum und alle kirchlichen Zeremonien, 
die von Anfang an der Gewohnheit und dem Ritus der 
deutschen und der gailikanischen Kirche ihrer Durch- 
führung nach folgten, nun gänzlich abgeschafft und 
nach dem römischen Brauch begonnnerm" Wenn 
acht Jahrhunderte nach der durch die Befehle Pippins 
und Karls des Großen bedingten (aberkaumtatsächlich 
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befolgten) Verdrängung der gailikanischen Liturgie 
durch die römische" einem Salzburger Prälaten noch 
voll bewußt ist, daß die liturgische Übung im Salzburger 
Dom durch Wesenszüge eben dieser gailikanischen 
Liturgie beeinflußtwar, so ist es selbstverständlichdaß 
diese Eigenlümlichkeiten nicht unwesentlicher Natur 
gewesen sein konnten. 
Nach einem von Yves Delaporte veröffentlichten wLiber 
ordinariusl" von Chartres fand hier im Chor der Kathe- 
drale nach der Ostervesper ein Reigentanz der Dom- 
herrn statt, der die siegreiche Auferstehung Christi fei- 
erte."Anaioges wurde 1413 durch Kapitelbeschluß für 
die Kathedrale von Sens festgesetzt, fürAuxerre ist aus 
dem Jahre 1396 sogar die Regel überliefert, nach der 
die Domherrn und andere Kathedralkleriker mit dem 
österlichen Reigentanz in (!) der Kathedrale ein Ball- 
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spiel" verbanden, Damit soll nun gar nicht gesagt wer- 
den, daß Salzburgs Domherrn nach der Ostervesper 
getanzt hätten, Aber aus vielen Einzelheiten eines solch 
reichen, ungemein sinnlich-dramatischen Festtagsle- 
bens kristallisierten sich die geistlichen Mysterien- und 
Volksschauspiele, alle die Advents-, Weihnachts-, Pas- 
sions-, Oster-, Emmaus-, Fronleichnams- und Marien- 
Spielefs 
Für die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts ist, zuerst 
wieder für den gailikanischen Raum. das Drei-Königen- 
Spiel nachgewiesen, das sich innerhalb der am Hochal- 
tar zelebrierten Eucharistieieier am Fest der Epiphanie 
entwickelte." im Kölner Dorn zum Beispiel wurde es 
durch Erzbischof Rainald von Dassel (1159-1167 
Erzbischoßeingefuhrt,wieunsGillesvonOrval in seiner 
um 1250ver1aßten Geschlchteder Bischöfe von Lüttich 
berichtet: wRainald setzte eine Festfeier zu Epiphanie 
ein und vermachte dazu zehn Gulden jährlich. Sie wird 
seitdem sehr feierlich begangen. Personen in königli- 
cher Kleidung Iwohl Domkanoniker"] stellen die Anbe- 
tung der Könige dar, der Stern schreitet vor ihnen her, 
alle Conventualkirchen versammeln sich, von den Gro- 
ßen der Stadt werden die [Reliquien der] heiligsten 
Könige auf den Schultern getragen, eine Messe wird 
gesungen und es geschieht viel Kurzwell jljß" Hugo 
Kehrer hatte schon 19085" darauf aufmerksam ge- 
macht, daß die dabei von den Königen dargebrachten 
Gaben nicht einfach auf dem (Hoch-)Aitar niedergelegt 
wurden, sondern daß als sichtbares Zeichen fürdie Ent- 
gegennahme eine Statue der Muttergottes mit Kind auf- 
gesteiltgewesen sein mußte. Die Bedenken von Renate 
Kroos, die mit dieser Statue gemeinte rrMailänder Ma- 
donna?" wäre "doch schwer in eine solche szenische 
Anbetung einzubeziehen-r", können an anderer Stelle 
zerstreut werden." Denn alle Anzeichen deuten darauf 
hin, daß diese Madonnenstatue in der Marienkapelle 
des Kölner Domes" nicht, wie bisher von allen For- 
schern angenommen wurde, an der Wand über der 
Mensa des Marienaltares, sondern freistehend unter 
dem für sie geschaffenen Baldachin auf einer Säule 
(oder einem Pfeiler) aufgestellt war. Daß mit dieser 
freien Aufstellung - die nMailänder Madonnair ist voll- 
rund gearbeitet - auch ihre Umschreitung, auch ihre 
Einbeziehung in ein szenisches vSpiela möglich war, 
versteht sich wohl von selbst. Eingeengt durch formen- 
geschichtlicheScheuklappen warenviele Forscherbis- 
heraufeiner(vergeblichen)Suche nach älteren Madon- 
nenstatuen als "Prototypen" für die Schönen Madon- 
nen. Bezieht man solche Suche jedoch auf die originale 
Aufstellung dieser Skulpturen, so scheint hier ein sol- 
cher wPrototyp-r gefunden zu sein. Kann aber eine Ma- 
donnenstatue als wMaria-Säul: frei in einem Kirchen- 
raum aufgestellt gewesen sein, kann dies, so darf man 
annehmen, in der Hauptachse dieses Raumes gesche- 
hen sein,sokannwohlaucheineindieMittelachseeiner 
Kirche gesetzte Säule, vdie die Kirche trägtr: und der ein 
Marienaltar iiangeheftetrt ist, Maria be-deuten. 
In der direkten Nachfolge der Mittelsäulenkonstruktion 
im Ostteil der Salzburger Stadtpfarrkirche (und der der 
gleichzeitig vorn selben Baumeister erbauten Heilig- 
Geist-Spitalkirohe in Landshut)" war man in dem 
Gebiet beiderseits der Salzach-lnn-Linie so weit ge- 
gangen, aus dem Prinzip der Verbindung von Schirm- 
gewölbe und Hailenkirche neue Sakralräume zu 
entwickeln, die völlig singular in der gesamten abend- 
ländischen Architektur sind und denen erst jüngst" 
Norbert Nußbaum eine für ihre formale Entstehung auf- 
schlußreicheArbeitgewidmethat.Essinddiesdiesoge- 
nannten Dreistützenbauten, deren gemeinsames 
Kennzeichen das Motiv eines in ein Hallenlanghaus ein- 
gestellten gleichseitigen Stützendreiecks ist: Während 
zwei der Freistützen parallel zur Langhauswestwand in 
den westlichen Teil des Kirchenschilfs gerückt sind, ist 
die dritte als Mittelstütze nach Osten geschoben, wden 
jenseits der westlichen Freistützen verbleibenden 
dominanten Raumteil des Langhauses um sich zentrie- 
rendi-Yö Man hat also - ähnlich wie der Einstützen- 
raum nichts anderes wie eine verselbständigte Raum- 
sphäre um einen vSchirm-r ist - gewissermaßen weinen 
Dreistrahl zu einem selbständigen Sakralbau erho- 
benu". Es handelt sich bei diesen wDreistützenbauten-i 
fast ausschließlich um Pfarrkirchen: Neben der Bürger- 
spitalskirche in Braunau am lnn (die doch auch einer 
i-Pfarreir diente) um die in Anger (Obb,), Berg (im Drau- 
tal), Burgkirchen am Wald (Obb.), Eggelsberg (O" 
Frankenburg (OÖ.), Hochburg (OÖ.), Laakirchen (O0 
St. Pantaleon (NÖ), Schnaitsee (Obb.), Tacherting 
(Obo) und Tettenweis (Ndb.). Zu der Ausführung eines 
Dreistützenraumes in Kärnten ist zu beachten, daß die 
Pfarre Berg bis zur Säkularisation stets Mensalpfarre 
des Salzburger Domkapitels war. Dies könnte eine 
erste Spur in der Frage nach dem theologischen Hinter- 
grund dieser auch liturgiegeschichtlich hochinteres- 
santen Bautengruppe sein: Slellte doch das spätmittel- 
alterliche Augustinerchorherrnstift des Salzburger 
Domklosters stets den Salzburger Stadtpfarrer, 
gehörte der spätgotische. im 18. Jahrhundert DEUSQS" 
 

	        
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