beweisen den wesentlichen Wunsch der Gläubigen, die
unverhüllte Hostie möglichst nahe zu sehen. Dies mag
dazu beigetragen haben, daß auch bei den großen Flur-
umgangen, bei den Bittgängen und sogar beim Wetter-
segen" die Eucharistie mitgetragen wurde. in der Mitte
des 15. Jahrhunderts waren diese Gewohnheiten in
Süddeutschland und Österreich so allgemein ge-
bräuchlich geworden, daß manche Theologen gegen
sie vergingen und sie abschaffen wollten: im Gefolge
der Bestrebungen des Kardinallegaten Nikolaus von
Kuess", der die Meinung vertrat, die Eucharistie sei vals
Speise, nicht als Schaumittel eingesetzte worden",
klagte der Bischof von Lavant in seinen Vorschlägen für
das Salzburger Provinzialkonzil von 1456 sosehr über
die Häufigkeit der Bittgänge und der Donnerstags-
messenä, daß diese Kirchenversammlung es für rich-
tig erachtete, vdiese wunderlichen, in Wahrheit sogar
unzuträgiichen Gewohnheiten, . , . die untergroßerTeil-
nahme des Volkes ohne Ehrerbietung und Andacht in
lächerlicher Weise mit Geschrei und ungewöhnlichen
Gesängen abgehalten werden, aufzugeben und zu til-
genir". Abgesehen von solch einfältiger Diffamierung
von Unerwünschtem beweist der in Anmerkung 53
zitierteOriginaltextn. ..euntis velequitanlisnßgdaß bei
den großen Bittgängen am 25. April und an den drei
Tagen vor Christi Himmelfahrt der Priester, der dabei
die Eucharistie in einer Bursa um den Halstrug, beritten
gewesen sein konnte; in solchem Fall begleiteten ihn
junge Männer aus der Pfarre ebenfalls zu Pferd?
Diese Möglichkeit des Reitens bei manchen Bittgangen
ist wohl die Erklärung für die oft weite Entfernung der
Orte, aus denen -nachgewiesen in einem Einnahmen-
verzeichnis von 149955 - im Spätmittelalter Bittgänge
zur Salzburger Stadtpfarrkirche geführt wurden: Lam-
prechtshausen, Berndorf, Bergheim, Köstendorf, See-
kirchen, Höglwörth, Kuchl, Thalgau, Fridolfing, Tittmo-
ning, Khay, Oslermieting, Waging, Petting, Otting,
St. Georgen (an der Salzach), Halsbach, Vachendorf.
Ehrnstett, Hallein. Laufen, Abtenau, (Ober-)Alm, Rad-
stadt, St. Cyriak ( : Pfarrwerfen), St. Veit (im Pongau),
Teisendorf, Anthering, Siezenheim, Saizburghofen,
Lofer, Zeii (am See), Saalfelden, Piesendorf, Taxen-
bach, Chieming und Grabenstätt, Die Geschichte der
Bittgänge - allgemein und ausführlich hat darüber
Emil Joseph Lengeiing informiert" - für den Bereich
des Erzbistums und insbesondere derStadtSalzburg im
Spätmittelalter harrt noch der Erforschung.
Mit der Erwähnung der Donnerstagsmessen und der
Bittgänge soll keineswegs gesagt werden. daß sie zu
ihrem Vollzug eine umschreitbare Marienstatue oder
eine - ebenso umschreitbare - Säule in der Mittel-
achse der betreffenden Kirche voraussetzen. Sie sind
nur Beispiele für liturgische Gegebenheiten, die zwar
unsheutigen hHaChkOTlZiliHTeHil, imAn-Schaulichen des
Kultischen so arm gewordenen Menschen sehr merk-
würdig erscheinen mögen, die aber für die wZeit um
1400" und ihren i-Erlebnisgehaltvr manches erklären
können. Die Bittgänge von Chartres zum Beispiel waren
weitum berühmt; neben wsigmair wurde auch stets ein
Drache mitgeführt, der vdragonnierri war ein vom Dom-
kapitel an Laien verliehenes Ehrenamt." Wenn nun bei
den spätmittelalterlichen Bittgängen in die Salzburger
Benediktinerabtei St. Peter zur nMaria Säulii ebenfalls
ein ndracorr mitgeführt wurde", so ist dies nur ein Zei-
chen mehr für die tiefe Verbundenheit der liturgischen
Gewohnheiten im mittelalterlichen Salzburg mit denen
im Gebiet des alten Gallien.
Martin Hattinger, 1584 - 1615 Abt von St. Peter in Salz-
burg", vermerkte in der von ihm verfaßlen und
geschriebenen Chronik seines Klosters: nVom Jahre
1590 an wurden in der Metropolitankirche [Salzburg]
das Offizium divinum und alle kirchlichen Zeremonien,
die von Anfang an der Gewohnheit und dem Ritus der
deutschen und der gailikanischen Kirche ihrer Durch-
führung nach folgten, nun gänzlich abgeschafft und
nach dem römischen Brauch begonnnerm" Wenn
acht Jahrhunderte nach der durch die Befehle Pippins
und Karls des Großen bedingten (aberkaumtatsächlich
22
befolgten) Verdrängung der gailikanischen Liturgie
durch die römische" einem Salzburger Prälaten noch
voll bewußt ist, daß die liturgische Übung im Salzburger
Dom durch Wesenszüge eben dieser gailikanischen
Liturgie beeinflußtwar, so ist es selbstverständlichdaß
diese Eigenlümlichkeiten nicht unwesentlicher Natur
gewesen sein konnten.
Nach einem von Yves Delaporte veröffentlichten wLiber
ordinariusl" von Chartres fand hier im Chor der Kathe-
drale nach der Ostervesper ein Reigentanz der Dom-
herrn statt, der die siegreiche Auferstehung Christi fei-
erte."Anaioges wurde 1413 durch Kapitelbeschluß für
die Kathedrale von Sens festgesetzt, fürAuxerre ist aus
dem Jahre 1396 sogar die Regel überliefert, nach der
die Domherrn und andere Kathedralkleriker mit dem
österlichen Reigentanz in (!) der Kathedrale ein Ball-
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spiel" verbanden, Damit soll nun gar nicht gesagt wer-
den, daß Salzburgs Domherrn nach der Ostervesper
getanzt hätten, Aber aus vielen Einzelheiten eines solch
reichen, ungemein sinnlich-dramatischen Festtagsle-
bens kristallisierten sich die geistlichen Mysterien- und
Volksschauspiele, alle die Advents-, Weihnachts-, Pas-
sions-, Oster-, Emmaus-, Fronleichnams- und Marien-
Spielefs
Für die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts ist, zuerst
wieder für den gailikanischen Raum. das Drei-Königen-
Spiel nachgewiesen, das sich innerhalb der am Hochal-
tar zelebrierten Eucharistieieier am Fest der Epiphanie
entwickelte." im Kölner Dorn zum Beispiel wurde es
durch Erzbischof Rainald von Dassel (1159-1167
Erzbischoßeingefuhrt,wieunsGillesvonOrval in seiner
um 1250ver1aßten Geschlchteder Bischöfe von Lüttich
berichtet: wRainald setzte eine Festfeier zu Epiphanie
ein und vermachte dazu zehn Gulden jährlich. Sie wird
seitdem sehr feierlich begangen. Personen in königli-
cher Kleidung Iwohl Domkanoniker"] stellen die Anbe-
tung der Könige dar, der Stern schreitet vor ihnen her,
alle Conventualkirchen versammeln sich, von den Gro-
ßen der Stadt werden die [Reliquien der] heiligsten
Könige auf den Schultern getragen, eine Messe wird
gesungen und es geschieht viel Kurzwell jljß" Hugo
Kehrer hatte schon 19085" darauf aufmerksam ge-
macht, daß die dabei von den Königen dargebrachten
Gaben nicht einfach auf dem (Hoch-)Aitar niedergelegt
wurden, sondern daß als sichtbares Zeichen fürdie Ent-
gegennahme eine Statue der Muttergottes mit Kind auf-
gesteiltgewesen sein mußte. Die Bedenken von Renate
Kroos, die mit dieser Statue gemeinte rrMailänder Ma-
donna?" wäre "doch schwer in eine solche szenische
Anbetung einzubeziehen-r", können an anderer Stelle
zerstreut werden." Denn alle Anzeichen deuten darauf
hin, daß diese Madonnenstatue in der Marienkapelle
des Kölner Domes" nicht, wie bisher von allen For-
schern angenommen wurde, an der Wand über der
Mensa des Marienaltares, sondern freistehend unter
dem für sie geschaffenen Baldachin auf einer Säule
(oder einem Pfeiler) aufgestellt war. Daß mit dieser
freien Aufstellung - die nMailänder Madonnair ist voll-
rund gearbeitet - auch ihre Umschreitung, auch ihre
Einbeziehung in ein szenisches vSpiela möglich war,
versteht sich wohl von selbst. Eingeengt durch formen-
geschichtlicheScheuklappen warenviele Forscherbis-
heraufeiner(vergeblichen)Suche nach älteren Madon-
nenstatuen als "Prototypen" für die Schönen Madon-
nen. Bezieht man solche Suche jedoch auf die originale
Aufstellung dieser Skulpturen, so scheint hier ein sol-
cher wPrototyp-r gefunden zu sein. Kann aber eine Ma-
donnenstatue als wMaria-Säul: frei in einem Kirchen-
raum aufgestellt gewesen sein, kann dies, so darf man
annehmen, in der Hauptachse dieses Raumes gesche-
hen sein,sokannwohlaucheineindieMittelachseeiner
Kirche gesetzte Säule, vdie die Kirche trägtr: und der ein
Marienaltar iiangeheftetrt ist, Maria be-deuten.
In der direkten Nachfolge der Mittelsäulenkonstruktion
im Ostteil der Salzburger Stadtpfarrkirche (und der der
gleichzeitig vorn selben Baumeister erbauten Heilig-
Geist-Spitalkirohe in Landshut)" war man in dem
Gebiet beiderseits der Salzach-lnn-Linie so weit ge-
gangen, aus dem Prinzip der Verbindung von Schirm-
gewölbe und Hailenkirche neue Sakralräume zu
entwickeln, die völlig singular in der gesamten abend-
ländischen Architektur sind und denen erst jüngst"
Norbert Nußbaum eine für ihre formale Entstehung auf-
schlußreicheArbeitgewidmethat.Essinddiesdiesoge-
nannten Dreistützenbauten, deren gemeinsames
Kennzeichen das Motiv eines in ein Hallenlanghaus ein-
gestellten gleichseitigen Stützendreiecks ist: Während
zwei der Freistützen parallel zur Langhauswestwand in
den westlichen Teil des Kirchenschilfs gerückt sind, ist
die dritte als Mittelstütze nach Osten geschoben, wden
jenseits der westlichen Freistützen verbleibenden
dominanten Raumteil des Langhauses um sich zentrie-
rendi-Yö Man hat also - ähnlich wie der Einstützen-
raum nichts anderes wie eine verselbständigte Raum-
sphäre um einen vSchirm-r ist - gewissermaßen weinen
Dreistrahl zu einem selbständigen Sakralbau erho-
benu". Es handelt sich bei diesen wDreistützenbauten-i
fast ausschließlich um Pfarrkirchen: Neben der Bürger-
spitalskirche in Braunau am lnn (die doch auch einer
i-Pfarreir diente) um die in Anger (Obb,), Berg (im Drau-
tal), Burgkirchen am Wald (Obb.), Eggelsberg (O"
Frankenburg (OÖ.), Hochburg (OÖ.), Laakirchen (O0
St. Pantaleon (NÖ), Schnaitsee (Obb.), Tacherting
(Obo) und Tettenweis (Ndb.). Zu der Ausführung eines
Dreistützenraumes in Kärnten ist zu beachten, daß die
Pfarre Berg bis zur Säkularisation stets Mensalpfarre
des Salzburger Domkapitels war. Dies könnte eine
erste Spur in der Frage nach dem theologischen Hinter-
grund dieser auch liturgiegeschichtlich hochinteres-
santen Bautengruppe sein: Slellte doch das spätmittel-
alterliche Augustinerchorherrnstift des Salzburger
Domklosters stets den Salzburger Stadtpfarrer,
gehörte der spätgotische. im 18. Jahrhundert DEUSQS"