Johannes Ramharter
Thomas Schwanthaler
Ein Literaturüberblick
Die Kunst des 17. Jahrhunderts erfreut sich offenbar,
von wenigen Ausnahmen abgesehen. keines besonde-
ren Interesses. wDerjenigedersich in einem dergroßen
Handbücher der Kunstgeschichte über die deutsche
Bildnerei derersten Hälfte des XVll. Jahrhunderts unter-
richten will, vernimmt in den eineinhalb bis zwei Seiten,
weiche diesem Thema gewidmet sind, einige wenige
deutsche Künstlernamen und mehrere fremde und
schließlich das zusammenfassende Urteil, daß es eine
selbständige deutsche Bildhauerkunst dieser Zeit nicht
gegeben habe?
Diese Worte schrieb Guby im Jahre 1918, und an dieser
Situation hat sich trotz zweier großer Oberüsterreichi-
scher Landesausstellungen wenig geändert. Nureinige
wenige Monographien süddeutsch-dsterreichischer
Bildhauerwu rden gedruckt, die meisten Arbeiten zu die-
sem Thema sind weithin über die verschiedensten Zeit-
schriften verstreut und nur nach langem Suchen auf-
findbar. Die einzige monographische Arbeit über
Thomas Schwanthaler. eine Dissertation von Waltrude
Oberwalder.wurdenie gedruckt.ja noch schlimmer, sie
ist selbst am Kunsthistorischen Institut der Universität
Wien im Moment nicht auffindbar.
Aus diesem Grund soll hierein kurzer Überblick überdie
bisher erschienenen Arbeiten über diesen bedeuten-
den Flieder Bildhauer versucht werden.
Wertvolle Impulse hat die Schwanthaler-Forschung
immerwiederaus derFtiederHeimatforschung empfan-
gen. Bereits 1 91 Ofand in Ried eineAusstellung überdie-
sen Künstler statt. in mehreren Artikeln in der. leider
schwer zugänglichen. Flieder Zeitschrift wHeimat-
kundeu brachten Franz Berger und W. Gärtner zahlrei-
che Materialien an die Öffentlichkeit, später war es
dann Max Baubbck, dem es immerwieder gelang, durch
neue Archivalien dieSchwanthaler-Forschung zu berei-
chern, Somit ist das Bild vorn Leben dieses Bildhauers
um einiges klarer und lebendiger als das manches sei-
ner berühmteren Zeitgenossen. Diese Tatsache fand
auch in der belletristischen Behandlung Thomas
Schwanthalers ihren Niederschlag.
Die erste stilistische Untersuchung des Schaffens Tho-
mas Schwanthalers brachte RudolfGuby 1919. ein Jahr
nach seinem grundlegenden Artikel über den Salzbur-
ger Bildhauer Hans Waldburger. In seiner Arbeit betont
er vor allem die Kontinuität der heimischen Holzplastik
vom 15. Jahrhundert bis in die Zeit des Barock. Von der
etwas apodiktischen Behauptung ausgehend. Thomas
Schwanfhaler habe italienische Kunst aus eigener An-
schauung gewiß nicht gekannt, sucht Guby nach der
Herkunft des. diesem Künstler eigenen, "Bewegungs-
überschwangsu. Diese dynamische Bewegung in der
Draperie charakterisiertertolgendermaßen: ßBei ihnen
[den Figuren Thomas Schwanthalers] verläuft das
Gewand in schweren zügigen Falten. die sich meist an
die runden Körperformen schmiegen. Die Bewegtheit
erreicht der Künstler dadurch, daß er das Gewand von
den Rändern her aufkräuselt und umstülpt, daß er
Gewandzipfel und Scharpen spiralig dreht und wegflat-
tern läßt. daß er mitten in dem schweren Faltenfluß will-
kürlich eine Gewandpartie herausgreitt, die er im toll-
sten Linienspielzerkniffert und zerknüllt. Die Bewegung
seiner Figuren ist nicht im Innersten der Figuren
begründet, sie stehen gleichsam in einem tosenden
Sturm,derdasanliegsndeGewandanden Kdrperpreßt,
die freiflatternden Gewandteile durchwirbelt. der die
einzelnen willkürlich gewählten Faltenzüge gegenein-
anderpeitscht, so daß sie zerknüllt. sich windend und
überstülpend. gegeneinanderstoßenß Die Anregung
für diesen Stil kämen aus der spätgotischen Kunst des
zweiten und dritten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts.
Nebenbei bemerkt, finden wir auch in Gubys Aufsatz
eine starke Identifizierung mit dem Meister, einen Zug.
der sich auch in einigen anderen Arbeiten über Thomas
Schwanthaler findet. Es ist das Bild des ständig mit den
Schwierigkeiten des Alltagslebens kämpfenden Natur-
burschen. ein wenig streitlustig und verschwenderisch,
aber durchaus liebenswert. So findet man die für eine
stilistische Untersuchung überraschende Aussage,
wwir freuen uns förmlich, wenn sein knausriger Mattig-
hofener Schwager sich vor Gericht beklagt. daß
Schwanthaler die ihm geliehenen 15 Gulden am Lukas-
tag, dem Festtage der Bildhauer- und Malerzunft. mit
seinen Leuten in Küchen und Keller verzehrt und zuge-
bracht haberra. Von diesem eigenartigen Verhältnis zwi-
schen dem Künstler und seiner Nachwelt wird noch bei
der Behandlung der Schwanthaler-Romane die Ftede
sein.
In Fortsetzung des eben behandelten Artikels beschäf-
tigte Guby sich in seinem lnnviertelbuch mit Thomas
Schwanthaler. Er faßt das Werk des Rieder Meisters in
mehrere Gruppen zusammen. deren erste er mit dem
Hochaltar der Sebastianskirche in Andorf enden läßt,
ein Werk, das er zwischen 1665 und 1670 ensetzt. Her-
vorgehoben wird aus dieser Gruppe vor allem der
Floriani-Altar der Ftieder Stadtpfarrkirche. den Guby
wein Hauptwerk der expressionistischen Kunst der ka-
tholischen Gegenreformationszeitf nennt. l-
nicht Figur und Handlung des Heiligen an sich
stand der Darstellung, sondern das Wunderba
Höhepunkt im Schaffen Schwanthalers wird dar
zweiten Phase erreicht. in der Zeit zwischen 1(
1680. In diese Gruppe fallen insbesondere die ß
für Maria Plain, der Doppelaltar von St. Wolfgan
die Figuren des Hochalfars in St. Peter am H
Guby besonders hervorhebt? In diesen Janrer
"Darstellung...vollunerhörterDrarnatik.seiner
werden schlanker und eleganter, leichtbewegiii
jenederFrühzeit.derGewandstilverliertseineü
ßige Schwere und Wucht, eine überirdische Bes
spricht aus Antlitz und Gebärde seiner Heilige
dem Hochaltar von Mehrnbach um 1690 setzt dl
Phase im Schaffen Schwanthalers ein. Hierwer(
dem Einfluß berninesker Kunst ein immer große
der Gewandtläche vergoldet und daher werde
Flächen in reich bewegte. wellenartig sich kräi
Fältchen zerlegtnDieneueModebrachte inden
Stil des Meisters jene zittrige Unsicherheit,
besonders bei seinen Alterswerken beobachte
Die bislang einzige monographische Arbeit v1
wie oben bereits vermerkt, Waltrude Oberwalds
Während Guby noch Schwanthaler völlig isolie
hen hatte, bezog Oberwalder den Umraum in ihr
mit ein. Bei der sorgfältigen Analyse der eii
Werke weist sie immer wieder auf den Gegens
schen ruhigen, verinnerlichten und pathetisi
bewegten Figuren als Mittel dramatischer Er;
hin. Das gilt gerade für die Schalchener B
Gruppe von 1672. die sich ungeachtet ihrer .
lieblosen Aufstellung großer Beliebtheit erfreut
ln der Gestaltung der Gesichter seien immer wie
gleichen Grundtypen zu finden. die Thomas abv
Besonders gelte das für den Typus des bärtige
nes. der in den reizvollsten Varianten ausgehe
Floriani-Altar in Ftied von 1669 bis zum hl, Andri
Münsteuer aus 1686 immerwieder in seinem IA
zutreffen sei. Charakteristisch seien aber vor al
schwanthalerschen Ausprägungen des Engr
Nebenbei bemerkt stellen die Engelsfiguren z
vLeitfossilu für die Zuweisung der, im 17. Jahrl
leider kaum durch archivalische Notizen belei
Werke heimischer Schnitzkunst dar. Sie s
äußerst charakteristisches Werkstattgut, in gl
Maße bei Hans Waldburger wie auch bei '
Schwanthaler. Der Engelstyp Schwanthaler
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