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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIX (1984 / Heft 195)

der Anatomie werden von Meister H. L. zur Steigerung 
eines gewollten wbarockena Empfindens eingesetzt, 
dem auch die Natur im üppigen Wachstum ihrer rah- 
menden Pflanzenvorhänge. wie etwa beim Breisacher 
Hochaltar. sich beifügt. Der hl. Johannes der Evangelist 
(Germanisches Nationalmuseum. Nürnberg, Abb. 6) 
versteckt seinen Körperganz hinterdem ein Eigenleben 
führenden. üppig gesiauchten und in Längs- und Quer- 
falten gelegten Gewand. Licht und Schatten bieten sich 
auf der Oberfläche einen ständigen Kampf. der dem 
seelischen Charakter des am meisten vom Tode seines 
Herren betroffenen Jüngers Christi zwischen Leid und 
Hingabe entspricht. 
Es bleibt hinzuweisen auf den im Werk eines großen 
deutschen Malers und Zeichners anzutreffenden NOR- 
DISMO, auf die Kunst Matthis Gotthard Neithards. 
genannt Grünewald. Ernst Holzinger hat grundlegend 
aufden Unterschied der beiden wichtigsten Komponen- 
ten der Malerei um 1500 im Werk von Dürer und Grüne- 
wald hingewiesenf Er lenkte den Blick auf die Ver- 
schiedenartigkeit der Gestaltung von Körper und Raum 
in beider Werk. 
Grünewald ist der Künstler, der den Raum selbst mehr 
interpretiert als den Körper im Raum. S0 meidet Grüne- 
wald Achsen. durchwühlt die Oberflächen seiner Figu- 
ren mit Nischen, Schluchten und Löchern. Es ist sein 
Anliegen, mit seinen Figuren und ihren stürmischen, 
ausgreifenden Bewegungen Raumillusion zu schaffen, 
mit ihrer Gestik in den Raum hinein agieren zu wollen. 
HiermitwillerihrenGefühlenAusdruckverleihen,ihrem 
Ausgeliefertsein einem Unendlichen gegenüber Ge- 
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stalt geben und ihre Aktionen und ihr Leben, wie es 
heiligen Figuren gemäß ist. ins Überirdische steigern. 
Grünewalds Heilige tragen wieder jenen Zug der Exal- 
tiertheitunddes SchwermutsderderZeitund den Men- 
schen entsprach, die in den Regionen Zentraleuropas 
wohnten, wo die Natur noch immer bedrohlich sein 
konnte. 
Grünewalds Werk in Beziehung zu setzen zu dem 
Begriff NORDISMO. ist eine ausführlichere Betrach- 
tung wert. Es sei hiernureine seinerZeichnungen para- 
digmatisch vorgestellt. die Studie zu einem Heiligen im 
Walde(Graphische Sammlung Albertina, Wien. Abb. 7). 
Die dargebotene. unwirtliche Öde der Landschaft mit 
dem zerrissenen Geäst der Baumgruppe, dem ärmli- 
chen großflächigen Gewand des Heiligen und seine 
demutsvolle Geste drücken gemeinsam mit der betont 
unharmonischen Linienführung und der wirkungsvol- 
len, kontrastreichen Licht- und Schattendarstellung 
eineStimmungaus,diedenSeelenzustanddesHeiligen 
beschreiben soll. 
Grünewalds Kunst, gewisse Kriterien des Donaustiles 
wie Eigenheiten der gleichzeitigen Skulptur schließen 
sich zu einer einheitlich definierbaren Kunstsprache 
zusammen. Der Zusammenklang formalanalytischer 
Betrachtungsweisen mit der Untersuchung histori- 
scher geistesgeschichtlicher wie psychologischer 
Gegebenheiten bei der Entstehung dieserWerke könn- 
ten ein Instrument entwickeln. das den vorgeschlage- 
nen BegriffNORDlSMO deutlicher machen kanmalses 
diese Skizze am Anfang einer Begriffsbildung ver- 
mochte, 
Derweg ist offen: Essolltenalso vGedankengängewent- 
wickell werden. vsrarr fertige Gedanken anzubielemr 
(Maries Sperber). 
7 Mathias Grünewald, Studie zu einem "Heiligen im WaIdeM. 
Zeichnung. Wien. Graphische Sammlung Albertina 
Anmerkung 7 
' Ernst Holzinger, Von Kbrperund Raum bei Durcr und Grunewald, m De 
artibus upusculaXL. Essays in honorof Erwin Panolsky. New York 196i. 
S. 235 ff
	        
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