Kanzelkorbes gestaltet. In lebhafter Gestik sind
hier zwei sitzende Patriarchengestalten darge-
stellt (Abb. 4, 5). Mit Hilfe eines Spruchbandes
und der darauf befindlichen Aufschrift (links):
QUIESCIT AGERE I PERVERSE ISA . 1 . V . 16 .
(: „Waschet, reiniget euch, tut euere bösen
Gedanken von meinen Augen, höret ouf,verkehrt
zu handeln")" bzw. einer Schrifttafel (rechts):
FACITE IUDICIUM I ET IUSTITIAM I JERE 22 -
V 3 (I So spricht der Herr: Übet Recht und
Gerechtigkeit, errettet den Unterdrückten aus der
Hand der Gewalttätigen; betrübet nicht Fremd-
linge, Waisen und Witwen, verübet nicht Drudr
und Unrecht an ihnen; und vergießet kein
unschuldig Blut an diesem Orte") '5 lassen die
als Pendants aufgefaßten, sehr räumlich kom-
ponierten Gestalten sich als die alttestament-
lichen Propheten Jesaias (links) und Jeremias
(rechts) identifizieren". In der Mitte des Kanzel-
korbes ist in Gestalt von zwei auf einer Volute
postierten Engelkindern und einem dreifenstrigen
und dreitürigen Tempietto ein plastisches „Bild"
dargestellt (Abb. 6). Dieser Tempietto darf als
das Symbol der Ekklesia" gedeutet werden,
wobei die drei Fenster bzw. die drei Türen auf
die Trinität hinweisen". Zu Füßen des Engel-
kindes mit dem Ekklesia-Symbol liegen kirch-
liche Kleidungsstücke (u. a. eine Stolaä). In der
Gestik der beiden Engelkinder spiegelt sich das
Verhältnis von Prediger und Zuhörer wider. Der
rechte Kinderengel hat die rechte Hand zum
Segensgestus erhoben. Sein Gefährte hört ihm
aufmerksam zu und legt im Adorationsgestus die
Linke beteuernd auf die Brust. Zwischen der
Gruppe in der Mittelachse und den seitlichen
Prophetengestalten ist in einer tiefer liegenden
Schicht [e ein Relief angebracht. Kartuschen in
Hochovalform umrahmen die gemäldeartigen
Reliefs (ie: ca. H 90 x B 65 cm), die an die
leicht konkav ausschwingenden Seitenwände des
Kanzelkorbes angelehnt sind. Durch die ge-
nauestens überlegte Anordnung der vollplastisch
ausgeführten Seitenfiguren und der ebenfalls
vollrund geschnitzten Kinderengelgruppe in der
Mitte bzw. durch die dazwischen liegenden Re-
Iieffelder läßt sich mühelos das dem Kanzelkorb
zugrunde liegende Kampositionsschema erken-
nen. Es hat drei deutlich markierte Ansichtsseiten.
In unmittelbarer Nachbarschaft der links außen
angebrachten Figur des Propheten Jesaias ist
aufdem linken Relief die Bußpredigt desVorläufers
Jesu, Johannes des Täufers, dargestellt, von der
bei Matth. 3, 7 und Luk. 3, 7-14 berichtet wird "'.
Das von großem atmosphärischem Reiz erfüllte
Relief besticht durch die Lebendigkeit der auf
ihm wiedergegebenen Szene: man beachte etwa
die Repoussoirfigur im Vordergrund: eine zu
dem Täufer hinaufblickende, sitzende Frau, die
ihr Kind im Arm hat bzw. ein anderes Kind,
das im Begriff ist, einen hohen Baum zu erklet-
tern, der am rechten Rand dargestellt ist. Auf
dem rechten Relief zu seiten des Propheten
Jeremias ist thematisch die Szene gewählt, bei
der es um den Gottesauftrag an den Propheten
Jonas ging, der Weltstadt Ninive Buße zu predi-
gen (Jon. 1, 1 ff)". Beide Szenen aus dem
Alten und Neuen Testament basieren auf einer
lange zurückzuverfolgenden Bildtradition. So ist
etwa die Predigt Johannes des Töufers schon
Gegenstand der Fresken (13. Jh.) im Braun-
schweiger Dom bzw. an der Bronzetüre des A.
Pisano am Baptisterium in Florenz zu finden,
sind Szenen aus der Jonas-Erzühlung bereits im
Mittelalter an vielen italienischen Kanzeln dar-
gestellt". Ein deutlich erkennbarer Ansatz zur
Uberleitung von Kanzelkorb und Schalldeckel ist
sowohl durch die Anbringung von reliefiertem
ornamentalem Schmuck auf der Rückwand (Blu-
20
menfestons sowie Laub- und Bandelwerkdekar)
wie durch eine aufder linken Seite erscheinende,
geflügelte Gestalt eines schwebenden Engels
gegeben (Abb. 7). Die rhetorische Geste seiner
linken Hand folgt dem Blick, der nach links
unten gerichtet ist, so, als wolle er sich damit
direkt an den Zuschauer wenden. Als einziges
Attribut trägt der barhäuptige Engel in seiner
ausgestreckten Rechten ein Schwert, einen Bi-
denhänder, dessen Bewegungsrichtung der Ver-
tikalen derTürumrahmung der Kanzel entspricht.
Es ist der Engel des göttlichen Gerichts, auf
das schon die Textstelle des Propheten Jeremias
am Kanzelkorb hinweist. Von diesem Engel als
Schwertträger ist in dem visionären Brief des
Sohnes Gottes an die Gemeinde Pergamus in
der Apokalypse die Rede: „Das sagt, der da hat
das scharfe, zweischneidige Schwert" (Geh. Off.
2, 12). Entsprechend der sich in drei Hauptan-
sichtsseiten gliedernden Einteilung des Kanzel-
korbes (Abb. 8) ist auch der Schalldeckel dreifach
geschweift. Die einzige Stelle, wo statt der son-
stigen Vergoldung bei der Fassung eine Versil-
berung gewählt ist, findet sich bei der Taube des
Heiligen Geistes. Von einem vergoldeten Strah-
lenkranz umgeben, schwebt sie auf der Unter-
seite des Schalldeckels. Als Bekrönungsfigur er-
scheint auf dem Schalldeckel die Gestalt Johan-
nes des Evangelisten. Mit dem Blick nach oben
gerichtet und in ekstatischer Gebärde, die Arme
weit ausbreitend, kniet er auf Wolken. Unter
ihm schwebt ein großer Engel, der zu ihm hin-
aufsieht. Zur Rechten der Evangelistenfigur kniet,
ebenfalls auf Wolken, ein Engelkind mit einem
geöffneten Buch. Auf Christus bezieht sich die
darin angebrachte Inschrift: DEUS I ERAT I
VER I BUM Jahani (: Joh. 1, 1: „Am Anfange
war das Wort, und das Wort war bei Gott und
Gott war das Wort")". Über dieser Gruppe
schwebt das Auge Gottes im Dreieck, umgeben
von einem Strahlenkranz und einem Wolkenkreis
mit Engelkindern und geflügelten Engelköpf-
chen. Zu erwähnen sind noch zwei besonders
gut geschnitzte, im Blick alternierende Engels-
köpfe mit Blumen im Haar. Beiderseits von Or-
namentdekor eingerahmt, füllen sie die beiden
Zwickel des geschweiften Schalldeckels.
Im Mittelpunkt der einzigartigen lkonographie
der Laxenburger Kanzel steht das Wort. Unter
dem Auge Gottes verkündet der Evangelist Jo-
hannes, daß das Wort (z Christus) von Gott
ausgeht, wobei in Gestalt des Engels mit dem
doppelschneidigen Schwert mahnend an das
göttliche Gericht erinnert wird. Das Wort Gottes
wird im Alten Testament durch die Propheten
Jesaias, Jeremias und Jonas bzw. im Neuen
Testament durch Johannes den Täufer, den Vor-
läufer Christi, verkündet. Das Wort Gottes ist
in Christus Fleisch geworden. Die Offenbarung
Christi wird von der Kirche (Ekklesia-Symbol in
Gestalt des „Tempietto") weitergegeben. Das
von Christus gegebene Wort wird an Ort und
Stelle von dem realen Priester in der durch die
Kinderengelgruppe allegorisierten Predigt auf
der Kanzel verkündet, deren Realitätscharakter
damit besonders betont ist.
Unwillkürlich legt man sich die Frage vor, wer
die Konzeption dieses singulären Kanzelpro-
gramms erdacht hat. Es ist theologisch derart
sinnvoll ineinandergefügt, daß das der Kanzel
zugrunde liegende Programm mit der Disposi-
tion einer Kanzelpredigt förmlich identisch ist.
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist der Autor des
Kanzelprogromms und ihr Auftraggeber ein
und dieselbe Person. Der Auftraggeber für den
Bildhauer Straub war der bereits eingangs er-
wähnte amtierende Prälat des Schwarzspanier-
klosters de Monte Serrato: Anton Vogl von
Krallern". In der Trauerrede, die der Barnabit
Don Pius Manzador auf ihn im Jahre 1751 hielt
und die im gleichen Jahre in Wien gedruckt
wurde, rühmte dieser Geistliche besonders die
großen Verdienste, die der Verstorbene sich um
den Bau der Kirche und des Klosters erworben
hatte.
Als typusmäßiges Vorbild für die Laxenburger
Kanzel bietet sich im Wiener Kunstkreis vor
allem eine Kanzel an, deren auffallende Ver-
wandtschaft mit dem etwas iüngeren Werk
Straubs bisher noch nicht erkannt ist. Diese
ebenfalls ganz vergoldete Kanzel, deren Korb
gleichfalls mit zwei sitzenden Patriarchenfiguren
(Petrus und Paulus) sowie mit Reliefs ausgestattet
ist und deren Bekrönungsfigur eine von zwei
schwebenden Engeln umgebene Ekklesia ist, be-
findet sich in der Pfarrkirche St. Martin in der
unteren Stadt Klosterneuburg (einst dem gleich-
namigen Augustinerchorherrenstift inkorporiert).
Diese ausgezeichnete Kanzel erscheint, abgese-
hen von ihrem auffallend großen Format, für die
vergleichsweise schlicht ausgestattete kleine
Pfarrkirche fast etwas zu aufwendig. So ergibt
sich die naheliegende Frage, ob diese Kanzel
auch ursprünglich dort hingehörte oder ob sie,
auch darin dem Schicksal der Straub-Kanzel
vergleichbar, sich einst in einer anderen Kloster-
kirche in Wien befand, die durch Kaiser Jo-
seph Il. aufgehoben wurde. Es spricht vieles da-
für und - soweit wir sehen - bisher nichts da-
gegen, daß es sich dabei um die Kanzel handelt,
die sich ursprünglich in der im Jahre 1783 auf-
gehobenen Weißspanierklosterkirche Heilige
Dreifaltigkeit (Trinitarierkirche) in Wien Vlll, Al-
serstraße 17," befand, die der Schwarzspanier-
klosterkirche unmittelbar benachbart war. Ihrer
Ornamentik nach zu urteilen, ist die heute in
Klosterneuburg befindliche Kanzel in der zwei-
ten Hälfte der zwanziger Jahre entstanden, wo-
zu die Jahreszahl der Vollendung der Weiß-
spanierklosterkirche (1727) ausgezeichnet paßt.
Infolge der radikalen Durchführung der Josephi-
nischen Reform gingen bekanntlich unersetzliche
Archivalien verloren. So sind keine Urkunden
mehr erhalten geblieben, aus denen man etwas
über die Werkstatt erfahren könnte, der die
Ausführung der ietzt in Klosterneuburg befind-
lichen Kanzel zu verdanken ist. Mit einiger
Wahrscheinlichkeit ist sie dem mit J. B. Straub
gleichaltrigen Matthäus Donner (1704-1756), dem
Bruder von G. R. Donner, zuzuschreiben, wenn
sie nicht, was auch im Bereich der Möglichkeit
liegt, zu dem Kunstkreis (M. J. Gunst bzw. J. Ch.
Mader?) gehört, mit dem nach der Mitteilung
von J. K. v. Lippert (1772) der Bildhauer J. B.
Straub befreundet war. Der Vergleich der Klo-
sterneuburger mit der Laxenburger Kanzel zeigt,
daß die gesamte Formensprache des einige
Jahre älteren Werks erheblich strenger ist, ganz
abgesehen davon, daß auch ihre figurale Ge-
staltung wesentlich pathetischer erscheint. Zwi-
schen den einzelnen Figuren und dem Kanzele
gehäuse ist längst nicht die Homogenität der
Form vorhanden, die ein besonderes Kennzei-
chen der Straubschen Kanzel in Laxenburg ist.
Andererseits ist zu vermuten, daß durch die
Klosterneuburger Kanzel die thematische Vor-
aussetzung für die Konzeption des sich zu ihr
variant verhaltenden Programms der Kanzel in
Laxenburg gegeben war. Möglicherweise wurde
die Programmgestaltung der iiingeren Kanzel
zwischen den Geistlichen der beiden benachbar-
ten Klosterkirchen des Benediktinerordens abge-
sprochen. Wenn man von der lkonographie ab-
sieht, kommt also allenfalls der Typus der Klo-
sterneuburger Kanzel als Vorbild für Straub
in Betracht. Stilistisch haben jedenfalls beide