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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVIII (1973 / Heft 128)

Jürgen Messensee, Hermann J. Painitz, Erwin Reiter - Österreich auf der 12. Biennale von Sao Paulo 
 
Die österreichische Kunstszene der letzten Jahre wurde in entscheidendemAusmaß durch die Leistungen 
ausgesprochener Einzelgänger geprägt. Man kann darin eine Bestätigung für die Subjektivität und Not- 
wendigkeit der eigenen freien künstlerischen Entscheidung und ihrer Entwicklung sehen. Zugleich weist 
dieser Umstand aber auch auf eine erfreuliche Unabhängigkeit maßgebender jüngerer österreichischer 
Künstler von internationalen Modetrends und Tendenzen hin. Bei den interessantesten Begabungen, wie 
sie in großer Verschiedenartigkeit vor allem innerhalb der Generation der Fünfundzwanzig- bis vierzigjährigen 
anzutreffen sind. dominiert die eigene Konzeption und eine zumeist sehr eigenwillige originäre bildnerische 
Umsetzung. Auf dieser Basis des Nichtepigonalen werden innerhalb der Malerei, Graphik, Objektkunst 
und Plastik in Osterreich Positionen bezogen, deren Summe zwar durchaus dem vielzitierten pluralistischen 
Bild heutiger Kunst entspricht, der internationalen Szene allerdings in herausragenden Leistungen eine 
Reihe bemerkenswerter, kaum oder gar nicht vergleichbarer künstlerischer Akzente beisteuert. 
Zu Außenseitern und künstlerischen Einzelgängern dieser Art zählen auch die Wiener Jürgen Messensee 
und Hermann J. Painitz sowie der Oberästerreicher Erwin Reiter, die Osterreich auf der 12. Biennale von 
Sao Paula mit Arbeiten neuen und neuesten Datums vorstellt. 
Jürgen Messensee 
Seit Beendigung seines Akodemiestudiums 1960 
arbeitet der 1936 geborene Wiener Maler und 
Zeichner Jürgen Messensee intensiv und 
selbstkritisch an der Erschließung und Erprobung 
zeitgemäßer Ausdrucksmöglichkeiten einer 
gegenstandsgebundenen Kunst. Thematischer 
Ausgangs- und Kristallisationspunkt seiner Arbeiten 
sind zumeist Kopf und menschliche Figur, 
gelegentlich aber auch Requisiten eines lnterieurs. 
Messensee sieht in diesen Gegenständen allerdings 
nicht mehr als Ansätze, Vorgegebenheiten und 
begriffliche ldentifikationsmodelle, die erst durch 
den Prozeß inspirierter bildnerischer Umsetzung 
künstlerische Verbindlichkeit erhalten. Er entwickelte 
mit Konsequenz ein klar abgegrenztes Vokabular, 
das formale Strenge mit malerischer Vitalität 
harmonisch in Beziehung setzt. Sein stark 
abstrahierender expressiver Stil bezieht seinen 
besonderen Reiz aus der Balance zwischen rein 
malerischen und primär zeichnerisch-graphischen 
Elementen. Auffallend ist dabei die klare Farm- und 
Raumvorstellung, für die ein in seiner Breite und 
Vehemenz stark schwankender Konturstrich ebenso 
charakteristisch ist wie seine formale Sicherheit 
verratender Einsatz. 
Messensees existentielle Gleichnisse provozieren in 
ihrer verschlüsselten Symbolik und den Andeutungen 
einer ganz und gar antiliterarischen, wenn 
auch dialektischen Thematik den Geist und die 
Phantasie des Betrachters. Sie bieten keine 
Patentlösungen an, erzählen nicht und bilden schon 
gar nicht ab, sondern aktivieren über die legitimen 
Möglichkeiten der sinnlichen Wahrnehmung 
und die ästhetischen Qualitäten vitaler Malerei 
unser Sehvermögen und lnterpretationsbedürtnis. 
Seine Bilder und Zeichnungen verraten Kraft 
und Elan, zugleich aber auch ungewöhnliche 
Sensibilität und einen verschwenderischen 
Nuoncenreichtum, wie er in derartiger Spontaneität 
innerhalb der heutigen Malerei selten ist. Die 
Grundhaltung des Künstlers ist flexibel und für neue 
Anstöße offen. Die Gefahr bloßer Variation 
und routinierten Wiederholens wird so durch 
permanent vorgenommene schöpferische Erneuerung 
gebannt. 
Hermann J. Painitz 
Mit voller Absicht wurden aus dem Gesamtwerk des 
Wiener Malers, Graphikers und Plastikers 
Hermann J. Painitz ausschließlich Beispiele seiner 
seit 1970 entstandenen „Statistischen Portraits" 
ausgewählt. Die Bilder und graphischen Blätter 
dieser Serie stellen in ihrer strengen Logik und 
Konsequenz einen für die Denkweise und das 
bildnerische Vorgehen des 1938 geborenen Künstlers 
bezeichnenden Beitrag dar. 
Zum Unterschied vom konventionellen Porträt, dem 
es um ein Fixieren charakteristischer Äußerlichkeiten 
und das dadurch ausgelöste künstlerische 
Vordringen zur porträtierten Person geht, wählt 
Painitz das Verhalten und die Tätigkeit des 
Menschen, die Ergebnisse einer politischen Wahl 
oder einen Auszug aus der Weltliteratur (Jonathan 
Swift) als Bildanlaß. 
Ausgangspunkt sind für ihn Statistiken, die von 
den Personen, die er porträtiert, für die Dauer 
vereinbarter Zeiträume unter gleichfalls detailliert 
abgesprochenen Gesichtspunkten angefertigt 
werden. In diesen Bildstatistiken wird zum Beispiel 
festgehalten, welcher Arbeit iemand nachgeht, 
was eine bestimmte Person in ihrer Freizeit macht, 
wie Tagesablauf und Stundenplan aussehen, 
wie bestimmte Körperfunktionen beschaffen sind 
und anderes mehr. Für die obiektiven Fakten 
dieser Zählungen werden vom Künstler optische 
Zeichen und Signale entwickelt, die zwar im Bild der 
Anzahl und Abfolge nach vorbestimmte Reihen 
ergeben, in ihren bildnerischen und ästhetischen 
Wertigkeiten allerdings der freien Entscheidung 
und dem persönlichen gestalterischen Vermögen 
ihres Urhebers unterliegen. Bei Hermann J. Painitz 
treffen somit schöpferische Willkür (in zumeist 
sehr rationeller, bildökonomischer Form) und 
statistisch ermittelte Fakten als gleichwertige und 
gleichwichtige Faktoren seiner Darstellungen 
zusammen. 
Erwin Reiter 
Der 1933 in Julbach in Oberösterreich geborene 
Bildhauer Erwin Reiter absolvierte 1959 die 
Meisterklasse von Professor Fritz Wotruba an der 
Wiener Akademie der bildenden Künste. 
Ausgehend von kraftvollen, zumeist barock und 
vegetativ anmutenden Figurationen entwickelte er 
vor allem in den letzten fünf Jahren - begleitet 
von konstanter zeichnerischer Tätigkeit - einen 
einprägsamen Personalstil, der in gleicher 
Weise durch die Art seines formalen Vollzugs wie 
seine an eine freie und offene Symbolik gebundenen 
Deutungsmöglichkeiten überzeugt. 
Reiters nahezu abstrakte Plastiken aus Chromnickel- 
stahl, Bronze, Kupfer und Aluminium vereinen 
in ihrer räumlichen Dynamik, in ihrem ausgewogenen 
und doch spannungsreichen Verbunden- und 
Verschlungensein mäanderartiger, kurviger Elemente, 
zeitbezogenen und zeitgemäßen Ausdruck mit 
gewissen nachvollziehbaren Tendenzen des 
Archaischen. Bei aller Eleganz und material- 
abhängigen Exaktheit springt von ihnen gleichsam 
ein irrationaler Funke auf den Betrachter über, 
der sehr wesentlich in der Symbolik dieser Arbeiten, 
die zwischen den vermeintlichen Antipoden Engel 
und Astronaut eine kühne gedankliche Brücke 
schlagen, begründet ist. 
Erwin Reiter, den Bibelstellen über Engel und 
Erzengel ebenso faszinieren wie gut geschriebene, 
phantasieanregende Science-fiction-Romane, sieht 
im Weltraumfahrer unserer Zeit mehr als den 
mit detaillierten Aufträgen in den Kosmos 
oufgebrochenen Angesandten menschlicher Ratio. 
Der Astronaut personifiziert für den Künstler 
gleichsam das Schicksalhafte einer Epoche, indem 
er die Leistungs- und Erlebnisföhigkeit des 
Menschen im Technischen u n d Seelischen extrem 
beansprucht. Mit Recht charakterisiert daher auch 
der Theologe Kurt Lüthi Reiters Plastiken als 
„lmplikationen, die das Erleben neuer Dimensionen 
des Seelischen und Kosmischen zusammenschließen." 
Die Denkanstöße und Empfindungen, die sie in 
ihrer herben Schönheit und klaren Gliederung, 
in ihrer massiven Kompaktheit und überlegten, 
sensiblen Rhvthmisierung vermitteln, lohnen den 
Einsatz. Peter Baum
	        
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