. Österreichisches Museum für angewandte Kunst
Sommer 73 - Saison der Außenstellen des
Museums
Es ist kein leichtes, das Stammhaus am Stubenring
mit seinem alliährlichen überdurchschnittlichen
Ausstellungsvalumen und die Sammlungen selber im
Normaldienst mit dem vorgesehenen Personal
zu versorgen. Hier werden oft außergewöhnliche
Leistungen vollbracht. Mit dem Anwachsen
der Aufgaben im Stammhaus kam fast gleidizeitig
auch der erweiterte Aufgabenkreis der neuer-
richteten Exposituren Kunstgewerbemuseum Schloß
Petronell, Schloßmuseum Riegersburg, teilweise
Schloß Grafenegg und Gobelsburg hinzu. Im Zuge
einer zeitgemäßen Neuorientierung und Aus-
richtung des Musealwesens setzte die ldee des
sogenannten Schlaßmuseums neue Maßstäbe. Diese
Exposituren sollten dem Publikum echt Neues
bieten. Der Städter, den es immer stärker über
Land zieht, sollte in geradezu idealer Form, inmitten
der Natur, mit Kunst konfrontiert werden. Eine
zwar schöne, auf Dauer iedoch sehr verpflichtende
Aufgabe, die vom Außenstehenden nur vage in
ihrer vollen Bedeutung ermessen werden kann.
Den „natürlichen Lohn" sollten stets Gunst und
Interesse des Publikums bilden. Heuer nun stehen
diese so prachtvoll eingerichteten und gut
betreuten Exposituren während ihrer hohen Zeit
im Sommer - der Saison - unter einem Unstern.
Die noch immer grassierende Tierseuche wirft
überallhin ihre verderblichen Schatten. Eine
Pressefahrt nach Schloß Riegersburg mußte abge-
sagt werden. Sie fiel der Seuche ebenso zum Opfer
wie zahlreiche ähnliche Veranstaltungen. Dennoch,
sowohl das schönste Barockschloß Niederöster-
reirhs, Schloß Riegersburg, Musterbeispiel eines
adeligen Landsitzes des I8. Jahrhunderts, wie auch
das Kunstgewerbemuseum Schlaß Petronell, eines
der bedeutendsten österreichischen Schlösser der
2. Hälfte des I7. Jahrhunderts, und die Wiener
Dependance, das idyllisch in Pätzleinsdorf
gelegene Geymüller-Schlößl, stehen den Besuchern
offen. Wenn die Existenz dieser Außenstellen,
mit viel Mühe und Idealismus aufgebaut, ihren
S" n haben soll, dann doch nur den in erster
Linie vorbestimmten, vorn Publikum geschätzt und
aufgesucht zu werden. In unseren Nostalgie-Zeit-
läufen muß es doch ein selbstverständliches
Vergnügen sein, in der geruhsamen Welt
vergangener Epochen zu verweilen, Freude an
Kunst zu haben - mit Ausblick auf einen Schloß-
erker oder träumerischen Schloßteich - und sich
dabei aus der Hektik des Alltags zu läsen
(Abb. 1-3).
Präsentation eines Bronzetischchens
Leihgabe der Credit-Anstalt, Wien
Altes Haus, Saal 6
Wien I, Stubenring 5
27. März 1973
Neuerliche Bereicherung erfuhren die MöbeIsamm-
lung und ihr unermüdlicher Leiter und Aktivator,
Dr. F. Windisch-Graetz, mit der Übergabe eines
Bronzetischchens aus dem Jahre U69 von
W. G. Martitz, das die CA Wien dem Museum als
Leihgabe zur Verfügung stellte. Der sich zum
vierten Male wiederholende AnlaB läßt uns vorerst
einen Blick in die Werkstatt des Restourators,
FOlnsp. F. Steiner, tun. Ihm oblag es, das in
desolatestem Zustand befindliche feuervergoldete
Bronzetisrhchen in besonders gründlicher Art zu
restaurieren. Das Objekt mußte total auseinander-
genommen werden und die Herstellungsphasen
W. G. Martitz' im einzelnen überdacht werden,
um sie im Restaurierungsprozeß von Grund auf
zu wiederholen. Hauptschwierigkeit verursachte
die unter dem durchbrachenen Tisdwskelett liegende
kupferversilberte Folienunterlage, die vollkommen
unbrauchbar war und durch eine neue, Stärke
0,005 mm, ersetzt werden mußte. Ebenso galt es,
die feuervergoldete Bronze, durch 200 Jahre der
Unbill der Zeit ausgesetzt, in langem, miihevollem
und speziell dosiertem Reinigungsprozeß von
Grund auf zu erneuern. Resultierend kann fest-
gestellt werden, daß der Restaurator hervorragende
Arbeit geleistet hat, die ähnlidien Arbeiten im
privaten Bereich wohl nicht nur ebenbürtig ist.
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Nun glänzte also das Tischchen, neu und museums-
reif gemacht, im gewohnten Ensemble vor der
illustren Festgemeinde, an der Spitze Frau
Bundesminister Dr. Hertha Firnberg, Vizekanzler
a. D. Dr. Bock, Handelsminister o. D. Dr. Mitterer,
und bekannter Prominenz aus der Industrie und
Hochfinanz sowie der zahlreichen Presse. Wie
immer legte Dr. Windisch-Graetz eingehend die
Geschichte des Möbels im historischen Rahmen dar,
und Generaldirektor Dr. Treichl von der CA
begegnete dem Dank des Direktors Hofrat Dr.
W. Mrazek mit einer ausführlichen Antwortrede,
in der abermals die Bedeutung öffentlichen
Mäzenatentums hervorgehoben wurde. Ein sich
feinsten leiblichen Genüssen offerierendes Buffet
beflügelte die Festgemeinde zu weiteren
Gesprächen rund um den Anlaß (Abb. 4-6).
Gertrud Tomasch
Iranische Impressionen - Bilder und Grafiken
Altes Haus, Eitelbergersaal + Galerie
Wien l, Stubenring 5
5. April bis 6. Mai 1973
In Gertrud Tomasch, die in Shiraz in Iran lebt,
vollzog sich der Wandel einer Künstlerin von der
angewandten Kunst - als Textilentwerferin - zur
freien Kunst. Als Hoffmann-Schülerin an der
Kunstgewerbeschule mit Auszeichnung diplomiert,
beginnt sie nach ihrem Studium, 1950, gleichfalls
unter Prof. J. Hoffmann ihre Tätigkeit an den
Künstlerwerkstätten in Wien. Ist bis 1956
freischaffend tätig, um dann über den großen Teich
nach Kanada zu gehen. Von 1958 an ist sie als
Frau des Univarsitätslehrers Prof. Tomasch an der
Universität Shiraz daselbst ansässig. Man spürt
in Gesprächen mit ihr die echte Liebe zur Wahl-
heimat, und diese ist es auch, die G. Tomasch
von neuem kreativ werden läßt. Unaussctiöpflidie
Quelle ist ihr die unmittelbare Umwelt. Landschaft
und Mensdien, Feste sowie der ironische Alltag.
Schafft sie einerseits äußerst disziplinierte subtile
Schworz-Weiß-Grafiken in Linoldrucken, so malt
sie sich mit echter künstlerischer Verve völlig
frei bis zu gekannten Landschaftsimpressionen
der iranischen Hochländer. In der Graphik, im
klassischen Schwarz-Weiß, ohne Farbzusätze, liegen
künstlerischer Einfall und Kraft. Befreit und
gebändigt von allen experimentellen Zwischen-
formen, öffnet hier ein Doppelweg gangbare
Perspektiven für die Zukunft. Gelegentliche
Exkurse in die Abstraktion bergen Gefahren in sich,
weil sie im Ergebnis in Grenzbezirke führen, in
denen der dekorative „Zufallspinsel" Oberhand
bekommt. Die kleine iranische Bildwelt, die
G. Tomasch zeigte, vermittelte in durchaus
persönlich-eigenständiger Weise das Geheimnis-
volle des Orients. Möge diese Sdiau der Künstlerin
Impulse für ihre weitere künstlerische Tätigkeit
geben (Abb. 7-9).
Schweizerische Gebrauchsgrafik
Stiftun Pro Helvetia
Altes aus, Säulenhof
Wien I, Stubenring 5
9. Mai bis 3. Juni 1973
Wenn uns heute eines iener wahrhaft großen
Plakate Toulouse-Lautrecs - ienes Mannes aus Albi,
der am Montmartre als der pariserischste Pariser
residierte und der nicht den Gegenstand als das
Wesentliche des Kunstwerkes ansah, sondern dem
der Ausdruck und das Empfinden, das dieses weckte,
als das Wichtigste schien, Grundforderung des
Plakates schlechthin also - vor Augen kommt,
meint man vor der reinsten Inkarnation dieses
Mediums zu stehen. Des Künstlers und Auftrag-
gebers vollendete Botschaft aus hochkünstlerischer
Hand in effektivster Ausführung. Ein Nonplusultra!
Kunst, angewandt und bestimmt für den Mann
von der Straße und von diesem optimal
angenommen. Totaler Überschlag in unser Zeitalter
der Computer und der Massenkommunikation in
allen Spielarten. Jene Sonderleistung der oben
erwähnten Kunst des Plokates nach wie vor als
der Hauptträger der grafischen Werbemedien
ist selten geworden. So selten wie der Humor
eines Savignac, die Brillanz eines Cassandre und
all der anderen Großen dieses Mediums. Plakat
und Gebrauchsgraphik im heutigen übertechnisierten
Zeitalter stehen in steter progressivster Wandlung.
Längst hat die „wohlgestaltete Organisierung
der Fläche" die Verve des Pinsels und die einfache
blitzgescheite Idee abgelöst. So müssen wir auch
und gerade hier vor der gewiß vorzüglichen
Schweizer Gebrauchsgraphik feststellen, daß eben
alles manchmal schon etwas zu glatt, zu ästhetisch,
ia, zum Teil schon etwas zu Stereotyp zu werden
beginnt. Wenngleich Gebrauchsgrafik made in
Suisse, in der Tat vom Zeitgeist effektuiert, nach
wie vor Spitze ist. Vergleichsweise könnte man
hier auch im propagierenden Sinn auf die
absoluten Spitzenleistungen der polnischen
Plakatkunst hinweisen. Plakate machen Welt und
Straßen bunter, doch hierzulande - trotz Plakat-
wertungsaktionen - treibt man's oft zu bunt.
Hier in Österreich! Anders nun doch in der Schweiz.
Dortzulande vermeint selbst das unbefangene
Auge einen deutlichen Grundzug zu erkennen,
den eines grafischen Gewissens und Bewußtseins,
der sich manifestiert vom grafisch akzeptablen
Aufdruck eines Kassenzettels oder Prospektes über
einprägsame Firmen- und Car-Beschriftungen bis zu
perfekter Kleingebrauchsgrafik und ausgewogenen
Sonderleistungen der Plakatkunst schlechthin.
Der Grafiker als Mittler und Sendbote zwischen
Auftraggeber und Konsumenten steht dartselbst in
unverrückbar bester Position. Hineingewachsen
auf gut geackertem Grund, schließt er das Dreieck
in optimalster Form. Vieles von dem hier Gesagten
prägt auch das Wesen der Ausstellung. Extrem
einfache Gliederung, straffste Selektion.
Alles macht ienen klaren Eindruck in der
Präsentation wie das Demonstrationsgut selber.
Dieses im Resümee: Exzellente Gebrauchsgrafik in
,Reinkultur' stärkstens ästhetisch akzentuiert, von
klaren Ordnungs- und Gestaltungsprinzipien
dominiert. Bekannt hohe helvetische Farbkultur.
Gelegentlich echte Spitze im Plakat wie bei
„Schweiz, Suisse, Sviza, Svizzera . . .", blauer Grund,
Hochgebirge aus weißen, in diversen Schraffen-
formatianen gebildeten Namenszügen. Prototyp
eines Fremdenverkehrsplakates. Ferner gute
ldeengrafik im kleinen, ab und zu Aufblitzen
modisch gewandeten Humors, die starke Klaue
eines Piatti, einzeln einen immer noch guten Leupin,
Signets und das eine oder andere wirklich
hervorragende Kunstplakot. Also doch glücklichere
Schweiz! Und ebenso glückliche Stiftung Pro
Helvetia, die solches Schaffen international bekannt
machen darf. Ob einschlägige Kreise Österreichs
die Exhibition überhaupt aufsuchen werden,
ab sie überhaupt wissen, daß diese hier stattfindet?
Vorerst war jedenfalls viel grafische Jugend
zu sehen, der man wünschen möge, das Wesen
des Gesunden und Positiven der Schau in ihr
späteres Wirken mitzuübernehmen. Und noch
einmal: Was hat man sich hierzulande von offizieller
Seite her schon bemüht, den Plokatwänden ein
stärkeres Profil zu geben? Die Plakatwertungsaktion
des Kulturamtes, seit Jahrzehnten aktiv, wertet
sie nodw immer, doch besser wurde manches nur
im einzelnen. Aber sonst? Ein Arm ohne Hand
Noch immer trieft dickes Ul in großen Tropfen
von den Salatplätschen die Litfaßsäulen herab oder
räkeln sich breitgegrätscht Monster-Beauties in
Serie. Und der Mann von der Straße, der Konsument,
will er es wirklich so? (Abb. lO-l2)
Leopold Netapil