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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXI (1976 / Heft 145)

 
4 Lina Laos. Friedell drohte mit Selbstmord für 
den Fall, daß sie seinen Heiratsantrag ablehnte. 
Sie lehnte ab 
5 Memoirenschreiberin Lina Loos, 1950: „Er hat 
leider nicht geheiratet, dieser Feigling" 
Anmerkungen 9-13 
'Die Judastragödie, in vier Bühnenbildern und einem 
Epilog, WienlPragfLeipzig 1920. (Umschlagzeichnung, Fi- 
gurinen und Dekarationsskizzen von Julius ZimpeLl 
Die Uraufführun füllt tn die Direktianszeit von Max 
Paulsen (1. 3. 19 2 bis 31. 7. 1923); vor Paulsen lag die 
Direktion bei Anton Wildgans (1. 2. 1921 bis 31. 7. 1922 , 
nach ihm bei Franz Herterich (l. 8. 1923 bis 30. 6. 1930. 
"Haage (Peter Haage, Der Partylöwe, der nur Bücher 
fraß. Egon Friedell und sein Kreis, Hamburg und Düssel- 
dorf 1971, S. 74) spricht in diesem Zusammenhang von 
einem „Bühnenessav" und fährt dann fort: „Ein Christus- 
darsteller hätte das Schauspiel vermutlich hart an den 
Rand der Oberammergauer Passionsspiele gebracht. Frie- 
dells Prablemstück aber sollte von einem Helden leben, 
der nicht auftritt, und sich an einem Konflikt entzünden, 
der ebenfalls nicht auftritt, sondern in einer einsamen 
Seele seine Lösung findet (das mußte Theaterleuten no- 
türltch fast unlösbare Probleme aufgeben") 
"Friedell persönlich interpretierte die Auferstehung an- 
ders. - Für ihn stand fest, daß das Genie auch über den 
Tod hinaus nichts van seiner Ausstrahlungskraft, Schöp- 
fergabe und Fruchtbarkeit tür die Allgemeinheit verliert, 
Haages Kritik (a. a. O., S. 75]: „Fazit der Freunde: 
Blasse Hauptfiguren, Gedankenträger, aber keine Men- 
schen, zuvtel Episoden und Randfiguren, die Hand- 
lung in Gesprüchsfetzen zersplittern. Einige fanden, das 
sei schon fast Kino. . ." 
" Egon Friedell, Das Jesusproblem. Mit einem Vorwart von 
Hermann Bohr, WienlBerlinlLeipziglMünchen 1921, S. 14. 
" „Reichte ein iurtger Schiller oder Goethe von heute dieses 
aus Gymnasialentwürfen, germanistischen und philosophi- 
schert Universitäts-Seminarstudien, Faust-, Buddhm, Chri- 
stus- und Judas-Dramenfragmenten iedes begabten Zög- 
lings deutscher Bildung sowie aus Gedankensplittern rei- 
ferer Jahre kaleidoskopisch-ktnematographisch zusammen- 
geklitterte Sammelsurium von Szenen aus der Bibllschen 
Geschichte dem Burgtheater ein, der zweite oder dritte 
Dramaturg - zum ersten oder gar zum Direktor käme eine 
„Judastragödie" gar nicht! - klappte das Werk bei der 
zehnten Seite, wenn seine Geduld überhaupt so weit 
vordrdnge, energisch zu und ließe es an den Absender 
zurückgehen!" (Kritik in der „Deutsch-Usterreichischen 
Tageszeitung"; in: Friedell-Brevier. Aus Schriften und 
Nachlaß ausgewählt von Walther Schneider, Wien 1947, 
s. 414-415.) 
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gessen. 
Nur dieses eine Drama hat Friedell geschrieben. 
Es fehlen auch Hinweise oder Äußerungen, die 
darauf hindeuten könnten, er habe weitere dra- 
matische Entwürfe geplant. Kurz nach Kriegs- 
ausbruch hatte er mit der Arbeit an seiner 
„Judastragödie" begonnen, die er übrigens Lina 
Laos widmete. Erst 1920 ist dieses Theaterstück 
endgültig abgeschlossen worden. 
Zu iener Zeit also, da die allgemeine Kriegsbe- 
geisterung große Teile Europas in einen Taumel- 
zustand riß, beschäftigte sich Friedell mit dem 
Problem, daß vielfach gerade dieienigen, die 
sich Realisten nennen, mit Scheuklappen ausge- 
stattet sind, daß sie sich hemmungslos von Emo- 
tionen treiben lassen und blind ins Chaos laufen. 
Eben diese Problematik wollte er in dramati- 
scher Form auf die Bühne bringen. Er wählte 
keinen geringeren als Jesus für die Hauptperson 
des Stückes. Allerdings tritt dieser Hauptheld 
nicht persönlich auf. Er spiegelt sich aber in allen 
anderen Akteuren, ob sie ihn nun lieben oder 
verdammen. 
Friedell legte ein Sprechstückm vor, das nicht 
straff aufgebaut ist, das auch streckenweise un- 
theatralisch wirkt. Selbst die Figur des Judas 
erscheint einseitig (und vielleicht auch zu unge- 
lenk). Friedells Judas ist nicht ein charakterloser 
Verbrecher und Verräter im platt-herkömmlichen 
Sinn. Er hat vielmehr eine so große Verante 
wortung zu tragen, doß er ihrer Schwere unter- 
liegen muß. Judas tritt als Realpolitiker auf. Er 
fühlt sich als Führer des iüdischen Nationalismus; 
deshalb kann er in dem schon so lange prophe- 
zeiten Messias nur eine Persönlichkeit verstehen, 
die zum Aufstand gegen die römische Besat- 
zungsmacht aufruft. Mit der Waffe in der Hand 
muß der Messias die Massen gegen die Okku- 
patoren führen: die Vaterfigur als Freiheitsheld. 
Es darf da keinen Verzicht auf Terror aus dem 
Untergrund geben, keine Skrupel vor allgemei- 
ner Verunsicherung. Aus diesem Grund muß 
Judas auch eingreifen, als er die Parolen des 
angeblichen Messias hört; „Mein Reich ist nicht 
von dieser Welt." Ein solcher Schwöchling, der 
das drückende römische Joch erduldet und pre- 
digt, auch alle anderen sollen es ertragen, ist 
gefährlich, da er nicht auf dem Baden der Tat- 
sachen bleibt, die Massen im Stich lößt und in 
die lrre führt. Das ist kein Freiheitskampf; das ist 
schon fast ein Kollaborateur, den Judas der Be- 
satzungsmacht ausliefern muß, da ihm keine 
andere Wahl mehr bleibt. Und als der Druck des 
 
 
6 Egon Friedell, der Erfolgsautor: Mont 
weite Gamaschen 
Anmerkungen 14-19 
lt Ebd., S. 413 l„Chemnitzer Tagesbote"l: „Ein 
in der Geschichte des Theaters bedeutete dii 
Uraufführung... Das Publikum falgte den e 
den Geschehnissen auf der Bühne mit atemlc 
nung und in tiefer Ergritrenheit. Es war ein 
des Wiener Burgtheoters." 
'5 Ebd., S. 403-413. 
" Ebd., 5. 401i. „Er ist Logiker und muß eine 
abscheuen, die, Arme im Geiste selig sprechen 
Letzten die Ersten werden lassend, alle Kuusc 
sprengen droht, mit denen die Erde an dan tt 
schmiedet tst. Judas ist Materialist." 
17 Ebd., 5.409. 
"Dem varherbestimmten, unabcinderlichen tragi 
schick kann man nicht ausweichen (man kann 
falls erkennen und annehmen). 
" „Keiner unter den Christglüubi en konnte 
sein als Egon Friedell, solche Be reiung der J 
aus dem Schmachbezirk, in den die Legende stt 
vorzunehmen. Friedell ist ein Beiaher Jesu, al 
sozusagen ständiger Mitarbeiter am Neuen 
Wer nun Friedells Oblektlvität, Weitblick, 
Nachsicht kennt, den überrascht es nicht, o 
Schriftsteller, bei aller Parteinahme für Jesus, 
Tendenz hat, sich auch mit Judas zu verhalte 
ist des Segnens froh, aber der große Fonds 
und Witz, der ihm eigen, zwingt ihn doch in 
des karnbattanten Durchschauers. Er ist ein Skep 
der große Fonds an Menschenlieber der i 
zwingt thn, doch rundheturn zu beiahen. Ats 
solchen Krättepaares ergibt sish die eigenttiml 
fertige Fechterposition, die er in seinen Sch 
nimmt. An der Spitze der scharfen Klingt 
schlagt, wimpelt weiß die Fahne, mit de 
Gegner sich ergibt, und auch sein bösartiges 
ist mit herzlichem Ja gefüttert." (Patgar ll 
Brevier, S. 409-410.] 
In der „Judastragödie" sieht Patgctr „viel 
Besseres als ein Drama, n mlich eine uusl 
Unterhaltung über gewichtige oegenstande, 
statfliche, van Geist und Laune glitzernd geäd 
halturtg, voll guter weltlicher Anekdoten mit 1 
Pointe. Hohe Intelligenz, der der Segen et 
Warte ertttraufelt, bietet hier retctttichert Ersatz 
Polgar spricht von Friedells „evangelischen 
(S. 410-4131. „Friedells Scharfsinn ist für den 
Mythos nicht zerstdrertde Sdure, sondern ' 
ihn schmackhaft macht. Friedell ariginr 
geschichtlich überlieferten Figuren. . . ."
	        
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