4 Lina Laos. Friedell drohte mit Selbstmord für
den Fall, daß sie seinen Heiratsantrag ablehnte.
Sie lehnte ab
5 Memoirenschreiberin Lina Loos, 1950: „Er hat
leider nicht geheiratet, dieser Feigling"
Anmerkungen 9-13
'Die Judastragödie, in vier Bühnenbildern und einem
Epilog, WienlPragfLeipzig 1920. (Umschlagzeichnung, Fi-
gurinen und Dekarationsskizzen von Julius ZimpeLl
Die Uraufführun füllt tn die Direktianszeit von Max
Paulsen (1. 3. 19 2 bis 31. 7. 1923); vor Paulsen lag die
Direktion bei Anton Wildgans (1. 2. 1921 bis 31. 7. 1922 ,
nach ihm bei Franz Herterich (l. 8. 1923 bis 30. 6. 1930.
"Haage (Peter Haage, Der Partylöwe, der nur Bücher
fraß. Egon Friedell und sein Kreis, Hamburg und Düssel-
dorf 1971, S. 74) spricht in diesem Zusammenhang von
einem „Bühnenessav" und fährt dann fort: „Ein Christus-
darsteller hätte das Schauspiel vermutlich hart an den
Rand der Oberammergauer Passionsspiele gebracht. Frie-
dells Prablemstück aber sollte von einem Helden leben,
der nicht auftritt, und sich an einem Konflikt entzünden,
der ebenfalls nicht auftritt, sondern in einer einsamen
Seele seine Lösung findet (das mußte Theaterleuten no-
türltch fast unlösbare Probleme aufgeben")
"Friedell persönlich interpretierte die Auferstehung an-
ders. - Für ihn stand fest, daß das Genie auch über den
Tod hinaus nichts van seiner Ausstrahlungskraft, Schöp-
fergabe und Fruchtbarkeit tür die Allgemeinheit verliert,
Haages Kritik (a. a. O., S. 75]: „Fazit der Freunde:
Blasse Hauptfiguren, Gedankenträger, aber keine Men-
schen, zuvtel Episoden und Randfiguren, die Hand-
lung in Gesprüchsfetzen zersplittern. Einige fanden, das
sei schon fast Kino. . ."
" Egon Friedell, Das Jesusproblem. Mit einem Vorwart von
Hermann Bohr, WienlBerlinlLeipziglMünchen 1921, S. 14.
" „Reichte ein iurtger Schiller oder Goethe von heute dieses
aus Gymnasialentwürfen, germanistischen und philosophi-
schert Universitäts-Seminarstudien, Faust-, Buddhm, Chri-
stus- und Judas-Dramenfragmenten iedes begabten Zög-
lings deutscher Bildung sowie aus Gedankensplittern rei-
ferer Jahre kaleidoskopisch-ktnematographisch zusammen-
geklitterte Sammelsurium von Szenen aus der Bibllschen
Geschichte dem Burgtheater ein, der zweite oder dritte
Dramaturg - zum ersten oder gar zum Direktor käme eine
„Judastragödie" gar nicht! - klappte das Werk bei der
zehnten Seite, wenn seine Geduld überhaupt so weit
vordrdnge, energisch zu und ließe es an den Absender
zurückgehen!" (Kritik in der „Deutsch-Usterreichischen
Tageszeitung"; in: Friedell-Brevier. Aus Schriften und
Nachlaß ausgewählt von Walther Schneider, Wien 1947,
s. 414-415.)
28
gessen.
Nur dieses eine Drama hat Friedell geschrieben.
Es fehlen auch Hinweise oder Äußerungen, die
darauf hindeuten könnten, er habe weitere dra-
matische Entwürfe geplant. Kurz nach Kriegs-
ausbruch hatte er mit der Arbeit an seiner
„Judastragödie" begonnen, die er übrigens Lina
Laos widmete. Erst 1920 ist dieses Theaterstück
endgültig abgeschlossen worden.
Zu iener Zeit also, da die allgemeine Kriegsbe-
geisterung große Teile Europas in einen Taumel-
zustand riß, beschäftigte sich Friedell mit dem
Problem, daß vielfach gerade dieienigen, die
sich Realisten nennen, mit Scheuklappen ausge-
stattet sind, daß sie sich hemmungslos von Emo-
tionen treiben lassen und blind ins Chaos laufen.
Eben diese Problematik wollte er in dramati-
scher Form auf die Bühne bringen. Er wählte
keinen geringeren als Jesus für die Hauptperson
des Stückes. Allerdings tritt dieser Hauptheld
nicht persönlich auf. Er spiegelt sich aber in allen
anderen Akteuren, ob sie ihn nun lieben oder
verdammen.
Friedell legte ein Sprechstückm vor, das nicht
straff aufgebaut ist, das auch streckenweise un-
theatralisch wirkt. Selbst die Figur des Judas
erscheint einseitig (und vielleicht auch zu unge-
lenk). Friedells Judas ist nicht ein charakterloser
Verbrecher und Verräter im platt-herkömmlichen
Sinn. Er hat vielmehr eine so große Verante
wortung zu tragen, doß er ihrer Schwere unter-
liegen muß. Judas tritt als Realpolitiker auf. Er
fühlt sich als Führer des iüdischen Nationalismus;
deshalb kann er in dem schon so lange prophe-
zeiten Messias nur eine Persönlichkeit verstehen,
die zum Aufstand gegen die römische Besat-
zungsmacht aufruft. Mit der Waffe in der Hand
muß der Messias die Massen gegen die Okku-
patoren führen: die Vaterfigur als Freiheitsheld.
Es darf da keinen Verzicht auf Terror aus dem
Untergrund geben, keine Skrupel vor allgemei-
ner Verunsicherung. Aus diesem Grund muß
Judas auch eingreifen, als er die Parolen des
angeblichen Messias hört; „Mein Reich ist nicht
von dieser Welt." Ein solcher Schwöchling, der
das drückende römische Joch erduldet und pre-
digt, auch alle anderen sollen es ertragen, ist
gefährlich, da er nicht auf dem Baden der Tat-
sachen bleibt, die Massen im Stich lößt und in
die lrre führt. Das ist kein Freiheitskampf; das ist
schon fast ein Kollaborateur, den Judas der Be-
satzungsmacht ausliefern muß, da ihm keine
andere Wahl mehr bleibt. Und als der Druck des
6 Egon Friedell, der Erfolgsautor: Mont
weite Gamaschen
Anmerkungen 14-19
lt Ebd., S. 413 l„Chemnitzer Tagesbote"l: „Ein
in der Geschichte des Theaters bedeutete dii
Uraufführung... Das Publikum falgte den e
den Geschehnissen auf der Bühne mit atemlc
nung und in tiefer Ergritrenheit. Es war ein
des Wiener Burgtheoters."
'5 Ebd., S. 403-413.
" Ebd., 5. 401i. „Er ist Logiker und muß eine
abscheuen, die, Arme im Geiste selig sprechen
Letzten die Ersten werden lassend, alle Kuusc
sprengen droht, mit denen die Erde an dan tt
schmiedet tst. Judas ist Materialist."
17 Ebd., 5.409.
"Dem varherbestimmten, unabcinderlichen tragi
schick kann man nicht ausweichen (man kann
falls erkennen und annehmen).
" „Keiner unter den Christglüubi en konnte
sein als Egon Friedell, solche Be reiung der J
aus dem Schmachbezirk, in den die Legende stt
vorzunehmen. Friedell ist ein Beiaher Jesu, al
sozusagen ständiger Mitarbeiter am Neuen
Wer nun Friedells Oblektlvität, Weitblick,
Nachsicht kennt, den überrascht es nicht, o
Schriftsteller, bei aller Parteinahme für Jesus,
Tendenz hat, sich auch mit Judas zu verhalte
ist des Segnens froh, aber der große Fonds
und Witz, der ihm eigen, zwingt ihn doch in
des karnbattanten Durchschauers. Er ist ein Skep
der große Fonds an Menschenlieber der i
zwingt thn, doch rundheturn zu beiahen. Ats
solchen Krättepaares ergibt sish die eigenttiml
fertige Fechterposition, die er in seinen Sch
nimmt. An der Spitze der scharfen Klingt
schlagt, wimpelt weiß die Fahne, mit de
Gegner sich ergibt, und auch sein bösartiges
ist mit herzlichem Ja gefüttert." (Patgar ll
Brevier, S. 409-410.]
In der „Judastragödie" sieht Patgctr „viel
Besseres als ein Drama, n mlich eine uusl
Unterhaltung über gewichtige oegenstande,
statfliche, van Geist und Laune glitzernd geäd
halturtg, voll guter weltlicher Anekdoten mit 1
Pointe. Hohe Intelligenz, der der Segen et
Warte ertttraufelt, bietet hier retctttichert Ersatz
Polgar spricht von Friedells „evangelischen
(S. 410-4131. „Friedells Scharfsinn ist für den
Mythos nicht zerstdrertde Sdure, sondern '
ihn schmackhaft macht. Friedell ariginr
geschichtlich überlieferten Figuren. . . ."