Dern österreichischen Biennalekommissör ist es
herkömmlicherweise freigestellt, die Auswahl der
Künstler zu treffen, er allein trägt für sein Konzept
die Verantwortung. Die Kommissärin für die heurige
Biennole und Verfasserin dieses Beitrags ging von
dem Gedanken aus, in Bildwerken visualisierbare
Reflexionen zur aktuellen Umwelt zum Programm
einer Ausstellung zu machen. Die Umwelt fordert
zur Korrektur heraus, sie nötigt zur Anpassung,
sie bietet zeitlos gültige Erkenntnisse an. Der
Künstler, der in der Lage und willens ist, über
die egozentrische Selbstinterpretation hinaus in
seinem Werk kritisch dazu Stellung zu beziehen
und diese in einer adäquaten Sehform zu realisieren,
wirkt strukturverändernd. Eine Vielzahl der Aspekte
in diesem Konzept empfiehlt eine Mehrzahl von
Künstlern, empfiehlt Polarisierung. Die gegebenen
Räumlichkeiten im Österreich-Pavillon begrenzen
diese Zahl auf maximal vier, drei Maler und einen
Bildhauer. Daß die Wahl der Künstler mit Rudolf
Hoflehner, Rudolf Kedl, Reimo S. Wukounig und
Wolfgang Walkensteiner auch verschiedene
Generationen berücksichtigt, kommt dabei der
Absicht, dem Lebensgefühl einer breiten Schicht
Ausdruck zu geben, mehr zufällig aber durchaus
legitim entgegen. Auf keinen Fall soll die iüngste
österreichische Künstlergeneration fehlen.
Eine Erscheinung, an der heute niemand vorbeisehen
kann, diskutiert auch in der österreichischen
Forschung (Siegmund Freud, Konrad Lorenz), ist
die Aggression. Als existentielles Faktum vermag
dies kaum ein anderer österreichischer Künstler in
seinem Werk so aufrüttelnd vor Augen zu führen
Nie Rudolf Hoflehner in seiner im Jahre 1967
einsetzenden Malerei. Sie steht auch gegenwärtig
m Mittelpunkt seines Schaffens. Materialisiert durch
eine nahezu stoffliche Wiedergabe in Farbe
Jnd Struktur manifestieren sich im menschlich-
ierischen Fleisch Metaphern eines brutalen
Existenzzwanges. Zeugungszwang und Sexualisie-
"ung stoßen den sinnlos wuchernden biologischen
Nerkstoff in eine fluchbeladene lndividuation;
ievalte und Tötungszwang lösen Gegengewalten
JUS. Nur ein spirituelles Prinzip kann die Totalität
tieses Vernichtungskampfes brechen. Knoten und
lerklammerungen bringen demnach ein mechani-
tches, technisches Element ins Spiel. Die Schnüre,
tie das Fleisch bändigen, in ertindungsreichen
Schlingen, gehen von unüberschaubaren Kraft-
rentren aus. Wer, was beherrscht diese? Die
Xntwort bleibt aus. In Hoflehners Bildern der
ahre 1975776 sind die Dramen dieser biologischen
Explosion in surreale Landschaftsräume verlegt.
"lach langen dämonische Arme nach dem
Erdfleisch, schon aber zwängen sich gelbe Sonnen-
cheiben aus den Talschluchten. Vielleicht
tberwinclet der Künstler mit ihnen einen ansonsten
ödlichen Pessimismus.
)er Bildhauer Rudolf Kedl setzt dem plasmatischen
"error Hoflehnerscher Visionen die sanfte
tggression pflanzlichen Wachstums entgegen. Eine
0m Archaischen ausgehende Formensprache -
wan denkt an die Papyrusbündelsäulen der 18.
haraonendynastie, oder auch an die attischen
tnthemien - prägt seine Stelen aus getriebenem
tuntntetall. Organische Bewegungsvorgänge, der
on Tag und Nacht bewirkte Wachstumsrhythmus,
las Entfalten von Kelchblättern und Blüten
berträgt der Künstler in eine symmetrische
tnordnung seiner plastischen Gebilde. Er sieht seine
Verke am liebsten mit gewachsener Parklandschaft
onfrantiert. Kedls Säulen setzen Signale. Sie sind
tbstraktionen eines tief im Menschen verankerten
trebens nach Einheit mit der Natur, nach
ieborgenheit des Seins in ihren Gesetzen. In seinen
eliefs reiht Kedl orchestral differenzierte
flanzliche Formen unmittelbar an menschliche
iguren, wobei er die Gruppe der isolierten
inzelgestalt verzieht, das Kollektive dem
tdividuum. Alle Details entsprechen dem Grund-
onzept einer Verbindung klassischer Harmonie
tit barocker Fülle. In der österreichischen Kunst der
elf kann die Stimme einer humanistischen
radition nicht überhört werden.
Rudolf Hoflehner, Rudolf Kedl, Reimo S. Wukounig, Wolfgang Walkensteiner
9 Sollte sich im Österreich-Pavillon der heurigen
Biennale auch so etwas wie ein Österreich-Image
abzeichnen, kann die Wahl der beiden iungen
Künstler stellvertretend für eine iunge Generation
aufgefaßt werden. Denn diese bezieht einerseits
eine absolut kritisch-polemische Stellung zur
Zivilisation von heute, anderseits sucht sie den
heilsamen Ausweg. Bei Reimo S. Wukounig bildet
erlebtes „Milieu" im engsten Sinne das Motiv der
Auseinandersetzung. Sein scharfer Beobachtungssinn
erspürt den Verletzungsfaktar einer Umwelt, die
den Schwächsten trifft, den Menschen zwischen
Kindheit und Jugend. Ergebnis ist der Zyklus
„Einatmen-Ausatmen", seine Zöglingbilder mit dem
unterspielten Leid in Körper und Mimik. Wukounigs
Anklage gegen Unterdrückung vermeidet die
groben Pointierungen, die ein tendenzöser Realismus
hier einsetzen würde. Seine Stilmittel bevorzugen
kühle Zurückhaltung, sind fern von plakativem
Exhibitionismus. Das Farbgewebe seiner Graphik
bildet eine fein strichlierte, geradezu ziselierte,
malerisch wirkende Bildhout, silbrig wie auf alten
Pastellen. ln Graphit gestaltet er Situationen,
Bestandaufnahmen exponierter menschlicher
Existenz, Krankheit, Verbrechen. Die ihm eigene
Sachlichkeit, eine Emotionen meidende, aber nicht
minder intensive Interpretation unserer unheilen
Welt eröffnet Wege in die Zukunft.
Dem figuralen Programm Wukounigs steht das
landschaftliche Wolfgang Walkensteiners gegen-
über. Als einer der begabtesten Schüler Prof.
Max Weilers bekennt er sich zur Nach-beat-
Generation. Zu Anfang seiner Entwicklung noch
wenig engagiert an traditioneller europäischer
Kultur, wendet er sich - typisch für seine Alters-
klasse - anläßlich eines Aufenthaltes in Afghanistan
und Pakistan der indischen Philosophie und Religion
zu, experimentiert mit den bewußtseinserweiternden
Hilfsmitteln, erkennt deren Wirkung und befreit
sich. Eine zunehmend kritische Betrachtung der
Lehren der Magier hinterläßt Spuren in den fossil-
haften Einschlüssen seiner Landschaftsmalerei, die
nunmehr im Zeichen einer bewußten Selbstfindung
vor der Natur steht. Vordringlich von der Farbe
bestimmte Kompositionen halten einen Schwebe-
zustand zwischen konkreter Malerei und illusioni-
stischem Landschaftsraum aufrecht. Dynamische
Strukturen charakterisieren eine scheinbar chaotische
Umwelt, gleichsam am Neubeginn einer den
Naturgesetzen entsprechenden Ordnung. Der
meditierende Betrachter erspäht sie nur langsam,
für den Maler bahnt sie sich in der Realität der
Farbe und ihren Gesetzen an. ln Walkensteiners
Bildern erkennen wir nach das echte Ringen um den
ästhetischen kolaristischen Aufbau, das Bemühen,
zwischen Anschauung und Gestaltung ein Ferment
persönlicher Mythologie einzuschalten, die als
einziges Medium der Selbstverwirklichung erkannt
wird. Lee Springschitz
1-4 Rudolf Hoflehner, Rudolf Kedl, Reimo S. Wukounig,
Wolfgang Walkensteiner
5 Rudolf Haflehner, „Die Übergabe", 1974. WVZ: 91.
Acryl, tso x 200 cm _
6 Rudolf Kedl, „Talus-Säule", 1771. Messing getrteben,
323 cm, und andere Plastiken
7 Reime S. Wukounig, Aus dem Zyklus „Einatmen-Aus-
atmen" - „Der bedröngte Zögling", 1975
8 Wolfgang Walkensteiner, Blick aus der Höhle, 1976.
EitemperalLeinen, 150 x 202 cm
9 Rudolf Hoflehner, „Studie für eine Landschaft, Vll",
1975. Großer Ausschnitt. WVZ: 106. Acr l, 72 x122 cm
0 Rudolf Kedl. „Wasserpflanze", 1972. Detail. Kupfer
getrieben, 360 cm
11 Reimo s. Wukounig, „Der verwirrte Zögling", 1975. Aus-
schnitt mit Mienenspiel
12 Wolfgang Walkensteiner, a Zarathustra, 1975. Großer
Ausschnitt. EitemperalLeinen
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