MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XXI (1976 / Heft 145)

Dern österreichischen Biennalekommissör ist es 
herkömmlicherweise freigestellt, die Auswahl der 
Künstler zu treffen, er allein trägt für sein Konzept 
die Verantwortung. Die Kommissärin für die heurige 
Biennole und Verfasserin dieses Beitrags ging von 
dem Gedanken aus, in Bildwerken visualisierbare 
Reflexionen zur aktuellen Umwelt zum Programm 
einer Ausstellung zu machen. Die Umwelt fordert 
zur Korrektur heraus, sie nötigt zur Anpassung, 
sie bietet zeitlos gültige Erkenntnisse an. Der 
Künstler, der in der Lage und willens ist, über 
die egozentrische Selbstinterpretation hinaus in 
seinem Werk kritisch dazu Stellung zu beziehen 
und diese in einer adäquaten Sehform zu realisieren, 
wirkt strukturverändernd. Eine Vielzahl der Aspekte 
in diesem Konzept empfiehlt eine Mehrzahl von 
Künstlern, empfiehlt Polarisierung. Die gegebenen 
Räumlichkeiten im Österreich-Pavillon begrenzen 
diese Zahl auf maximal vier, drei Maler und einen 
Bildhauer. Daß die Wahl der Künstler mit Rudolf 
Hoflehner, Rudolf Kedl, Reimo S. Wukounig und 
Wolfgang Walkensteiner auch verschiedene 
Generationen berücksichtigt, kommt dabei der 
Absicht, dem Lebensgefühl einer breiten Schicht 
Ausdruck zu geben, mehr zufällig aber durchaus 
legitim entgegen. Auf keinen Fall soll die iüngste 
österreichische Künstlergeneration fehlen. 
Eine Erscheinung, an der heute niemand vorbeisehen 
kann, diskutiert auch in der österreichischen 
Forschung (Siegmund Freud, Konrad Lorenz), ist 
die Aggression. Als existentielles Faktum vermag 
dies kaum ein anderer österreichischer Künstler in 
seinem Werk so aufrüttelnd vor Augen zu führen 
Nie Rudolf Hoflehner in seiner im Jahre 1967 
einsetzenden Malerei. Sie steht auch gegenwärtig 
m Mittelpunkt seines Schaffens. Materialisiert durch 
eine nahezu stoffliche Wiedergabe in Farbe 
Jnd Struktur manifestieren sich im menschlich- 
ierischen Fleisch Metaphern eines brutalen 
Existenzzwanges. Zeugungszwang und Sexualisie- 
"ung stoßen den sinnlos wuchernden biologischen 
Nerkstoff in eine fluchbeladene lndividuation; 
ievalte und Tötungszwang lösen Gegengewalten 
JUS. Nur ein spirituelles Prinzip kann die Totalität 
tieses Vernichtungskampfes brechen. Knoten und 
lerklammerungen bringen demnach ein mechani- 
tches, technisches Element ins Spiel. Die Schnüre, 
tie das Fleisch bändigen, in ertindungsreichen 
Schlingen, gehen von unüberschaubaren Kraft- 
rentren aus. Wer, was beherrscht diese? Die 
Xntwort bleibt aus. In Hoflehners Bildern der 
ahre 1975776 sind die Dramen dieser biologischen 
Explosion in surreale Landschaftsräume verlegt. 
"lach langen dämonische Arme nach dem 
Erdfleisch, schon aber zwängen sich gelbe Sonnen- 
cheiben aus den Talschluchten. Vielleicht 
tberwinclet der Künstler mit ihnen einen ansonsten 
ödlichen Pessimismus. 
)er Bildhauer Rudolf Kedl setzt dem plasmatischen 
"error Hoflehnerscher Visionen die sanfte 
tggression pflanzlichen Wachstums entgegen. Eine 
0m Archaischen ausgehende Formensprache - 
wan denkt an die Papyrusbündelsäulen der 18. 
haraonendynastie, oder auch an die attischen 
tnthemien - prägt seine Stelen aus getriebenem 
tuntntetall. Organische Bewegungsvorgänge, der 
on Tag und Nacht bewirkte Wachstumsrhythmus, 
las Entfalten von Kelchblättern und Blüten 
berträgt der Künstler in eine symmetrische 
tnordnung seiner plastischen Gebilde. Er sieht seine 
Verke am liebsten mit gewachsener Parklandschaft 
onfrantiert. Kedls Säulen setzen Signale. Sie sind 
tbstraktionen eines tief im Menschen verankerten 
trebens nach Einheit mit der Natur, nach 
ieborgenheit des Seins in ihren Gesetzen. In seinen 
eliefs reiht Kedl orchestral differenzierte 
flanzliche Formen unmittelbar an menschliche 
iguren, wobei er die Gruppe der isolierten 
inzelgestalt verzieht, das Kollektive dem 
tdividuum. Alle Details entsprechen dem Grund- 
onzept einer Verbindung klassischer Harmonie 
tit barocker Fülle. In der österreichischen Kunst der 
elf kann die Stimme einer humanistischen 
radition nicht überhört werden. 
Rudolf Hoflehner, Rudolf Kedl, Reimo S. Wukounig, Wolfgang Walkensteiner 
9 Sollte sich im Österreich-Pavillon der heurigen 
Biennale auch so etwas wie ein Österreich-Image 
abzeichnen, kann die Wahl der beiden iungen 
Künstler stellvertretend für eine iunge Generation 
aufgefaßt werden. Denn diese bezieht einerseits 
eine absolut kritisch-polemische Stellung zur 
Zivilisation von heute, anderseits sucht sie den 
heilsamen Ausweg. Bei Reimo S. Wukounig bildet 
erlebtes „Milieu" im engsten Sinne das Motiv der 
Auseinandersetzung. Sein scharfer Beobachtungssinn 
erspürt den Verletzungsfaktar einer Umwelt, die 
den Schwächsten trifft, den Menschen zwischen 
Kindheit und Jugend. Ergebnis ist der Zyklus 
„Einatmen-Ausatmen", seine Zöglingbilder mit dem 
unterspielten Leid in Körper und Mimik. Wukounigs 
Anklage gegen Unterdrückung vermeidet die 
groben Pointierungen, die ein tendenzöser Realismus 
hier einsetzen würde. Seine Stilmittel bevorzugen 
kühle Zurückhaltung, sind fern von plakativem 
Exhibitionismus. Das Farbgewebe seiner Graphik 
bildet eine fein strichlierte, geradezu ziselierte, 
malerisch wirkende Bildhout, silbrig wie auf alten 
Pastellen. ln Graphit gestaltet er Situationen, 
Bestandaufnahmen exponierter menschlicher 
Existenz, Krankheit, Verbrechen. Die ihm eigene 
Sachlichkeit, eine Emotionen meidende, aber nicht 
minder intensive Interpretation unserer unheilen 
Welt eröffnet Wege in die Zukunft. 
Dem figuralen Programm Wukounigs steht das 
landschaftliche Wolfgang Walkensteiners gegen- 
über. Als einer der begabtesten Schüler Prof. 
Max Weilers bekennt er sich zur Nach-beat- 
Generation. Zu Anfang seiner Entwicklung noch 
wenig engagiert an traditioneller europäischer 
Kultur, wendet er sich - typisch für seine Alters- 
klasse - anläßlich eines Aufenthaltes in Afghanistan 
und Pakistan der indischen Philosophie und Religion 
zu, experimentiert mit den bewußtseinserweiternden 
Hilfsmitteln, erkennt deren Wirkung und befreit 
sich. Eine zunehmend kritische Betrachtung der 
Lehren der Magier hinterläßt Spuren in den fossil- 
haften Einschlüssen seiner Landschaftsmalerei, die 
nunmehr im Zeichen einer bewußten Selbstfindung 
vor der Natur steht. Vordringlich von der Farbe 
bestimmte Kompositionen halten einen Schwebe- 
zustand zwischen konkreter Malerei und illusioni- 
stischem Landschaftsraum aufrecht. Dynamische 
Strukturen charakterisieren eine scheinbar chaotische 
Umwelt, gleichsam am Neubeginn einer den 
Naturgesetzen entsprechenden Ordnung. Der 
meditierende Betrachter erspäht sie nur langsam, 
für den Maler bahnt sie sich in der Realität der 
Farbe und ihren Gesetzen an. ln Walkensteiners 
Bildern erkennen wir nach das echte Ringen um den 
ästhetischen kolaristischen Aufbau, das Bemühen, 
zwischen Anschauung und Gestaltung ein Ferment 
persönlicher Mythologie einzuschalten, die als 
einziges Medium der Selbstverwirklichung erkannt 
wird. Lee Springschitz 
1-4 Rudolf Hoflehner, Rudolf Kedl, Reimo S. Wukounig, 
Wolfgang Walkensteiner 
5 Rudolf Haflehner, „Die Übergabe", 1974. WVZ: 91. 
Acryl, tso x 200 cm _ 
6 Rudolf Kedl, „Talus-Säule", 1771. Messing getrteben, 
323 cm, und andere Plastiken 
7 Reime S. Wukounig, Aus dem Zyklus „Einatmen-Aus- 
atmen" - „Der bedröngte Zögling", 1975 
8 Wolfgang Walkensteiner, Blick aus der Höhle, 1976. 
EitemperalLeinen, 150 x 202 cm 
9 Rudolf Hoflehner, „Studie für eine Landschaft, Vll", 
1975. Großer Ausschnitt. WVZ: 106. Acr l, 72 x122 cm 
0 Rudolf Kedl. „Wasserpflanze", 1972. Detail. Kupfer 
getrieben, 360 cm 
11 Reimo s. Wukounig, „Der verwirrte Zögling", 1975. Aus- 
schnitt mit Mienenspiel 
12 Wolfgang Walkensteiner, a Zarathustra, 1975. Großer 
Ausschnitt. EitemperalLeinen 
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