Eyck Teile der Stadtvedute der Holm-Madonna des
Louvre im Hintergrund der Kartäuser-Maria... Of-
fenbar hat der Maler einzelne Elemente jeweils zu
einem Ganzen verbunden und geniert sich keines-
wegs, jene Partie der boglgen Pfeilerbrücke mit
Turm ziemlich genau zu wiederholen."
Die Entwicklung einer eigenständigen Motiv- und
Formensprache verknüpft sich bei R. v. d. Weyden
eng mit dem Begriff der Grisaillemalerei. Zwar
greifen bereits Campin und Jan van Eyck auf die
se Form gemalter Steinarchitektur zurück, die
ihren Ursprung in der italienischen Malerei des
13. Jahrhunderts hat, nirgends ist diese Art der Ar-
chitekturdarbietung indessen so ausgeprägt wie
bei Rogier van der Weyden. Mit ihrer Hilfe gelingt
es scheinbar, die Flächenhaftigkeit des Tafelbil-
des aufzulösen und die Illusion von Räumlichkeit
zu schaffen. Ihren synthetisch anmutenden Cha-
rakter verdankt die Grisaillemalerei v. d. Weydens
1. der Minuziosität in der Darstellung,
2. der Mannigfaltigkeit gotischer Stilelemente in
ihrer Allcikation auf engstem Raum,
3. ihrer Umgestaltung zu einer differenzierten Rah-
menarchitektur,
4. der Verknüpfung der Bildarchitektur mit dem
Bildthema.
Alle erwähnten Charakteristika treffen im Ansatz
bereits auf die um 1432 gemalte Maria mit dem
Kinde zu, einem Frühwerk Rogiers. Die Architektur
konzentriert sich hier um die Figur der Maria in fre-
quentem Wechsel zwischen Plastik, Ornament
und Relief. Die reliefartig dargebotenen Szenen
sind ebenso wie die zentrale Figur der Maria von
einer Nische eingelaßt. Schon dadurch wird die
Beziehung zur Thematik des Bildes rein formal
deutlich.
Rogiers Einfluß auf die Architekturdarstellung
bleibt im Werk seiner Nachfolger lebendig. Dies
zeigt sich überzeugend in der Tafelmalerei von
Dirk Bouts und Petrus Christus. Erst mit Haris
Merriling tritt ein tiefgreifender Wandel ein. Seine
Altarbilder stellen uns einer Sakralarchitektur ge-
genüber, die aufgrund ihrer Kulissenhaftigkeit
und Komplexität stilistisch nur schwer einzuord-
nen ist. Zwar sind. wie z. B. im DonneAlrar, noch
gewisse Anklänge an gotische Stilformenß vor-
handen, jedoch deutet sich hier bereits die Zuwen-
dung zu neuen, phantasievollen Formen an, die
mit dem Aufkommen der Frlihrenaissance gene-
rell in verstärktem Maße zu beobachten ist.
Zur Rahmenfunktion der Architekturdarstellung
Das Phänomen des Rahmens tritt mit dem Fort-
schreiten der Tafelmalerei in vielfältiger Weise in
Erscheinung. Ursprünglich als trennende Zone
zwischen Bild und Betrachter konzipiert, gewin-
nen neben ästhetischen zunehmend ikonologi-
sche Aspekte an Bedeutung. Die Entwicklung el-
ner spezifischen Flahmenarchitektur in der flämi-
schen Malerei der Spätgotik basiert wesentlich
auf dem Oeuvre Rogier v. d. Weydens. Von ihm
sind die entscheidenden Impulse übertragen wor-
den auf Meister wie Petrus Christus, Dirk BouIsQ
u.a. Um das Wesen der Rahmenarchitektur bei
Rogier v. d. Weyden zu verstehen, müssen wir zu-
nächst dessen Rauminterpretaticn naher in den
Blick fassen. Flogier interpretiert den Raum seiner
Andachtsbilder als etwas in sich Abgeschlosse-
nes - als eine nach außen streng abgegrenzte sa-
krale Sphäre, die keine Einmischung des Prolanen
zulaßt. Der Flahmen gestattet es, diese Raumgren-
ze nach außen hin, d.h. gegenüber dem Betrach-
ter, transparent zu machen: durch die Abbildung
von Architektur hat er Bezug zur Welt des Betrach-
ters, durch die Verwendung christIich-ikono-
graphischer Motlve wird er gleichzeitig Bestand-
teil der sakralen Sphäre des Andachtsbildes. Die
se trennende und doch zugleich verbindende Wir-
kung (Ambivalenz) ist kennzeichnend für den Ar-
4 Rogier van der Weyden, "Der hl. Lukas malt die Mariarr
5 Dirk Bouts, YIDHS heilige Abendmahl". Tryptichon (Mit-
telteil)
. A
i.
il
{I
I
äl
il
II
"i!
6 Jan van Eyck, i-Maria in der KllChS"
8 Rogier van der Weyden, "Christus erscheint seiner
Mutter-r. MiralIores-Allar (rechter Flügel)
Anmerkungen 5-9
5 R. Genailie. Die flämische Malerei, Stuttgart 196i. S 140.
i Interessante stilistische Parallelen bestehen oiisrisicriiiicri zur trü-
risn Mass- wie auch zur Scheldegotik. Typisch lur den Baustil der
lruheri Maasgotik (l a. Jh i ist die Art das Tritoriums, das im Bereich
des Langhauses aus kleinen Spltlbdglgen Arkaturan besteht (Aus-
tuhrungsbelsplele in A .1. v. de Walle. Gotische Kunst II'I Belgien,
Wien und Munchen 1972, Äbb. 128 und Ähh. 150).
Domiriierarid ist der EiritluB der irunsn Scheldegotik (Region um
raurnan. so 1 a dis ll'l spitzen Bogen zulaufenden Arkaden des
Langhauses, die sich auf ein System von Burldelpfeilern stutzen
Charakteristisch liir den Baustil der Schaldegotik ist auch die Tri-
lorierigaisris, die sich vom Queriiaus iiber den cndr erstreckt; als
Ausfutirungsbeispiel Dletßl sich das Chorinnere der Kathedrale
von Tournai an, A. J. v de Walle, a.a 0., Abb IIB.
i T. Musner, Untersuchungen zu Hogier van der Weyden urid Jan van
Eyck. Stuttgart, O.J. s. 9er.
z.B. die Saulenkapitelle, die mit ihrem ainrainigsn Knospenorna-
man! stilistisch auf die Brahamer Gotik hindeuten.
' bei Dirk Bouts wird dis vorbildhatta Beziehung zu n. v d. Weyderi
besonders sugenfallig, so 1.2. in der Rahmenarchitektur des vier-
leiligeri Maddnna-Aitars (Madrid. Prado),
11