Kurt Rossacher
Zu Gianlorenzo Berninis
Transfiguration
Ein Forschungsbericht
Im Jahre 1967 hat der Verfasser an dieser Stelle
ein ovales Tonrelief der Verklärung Christi als
Werk Berninis veröffentlicht und in Fotomontagen
als nicht ausgeführtes Modell für das fehlende
Zielbild in der Glorie über der Kathedra Petri im
Petersdom dargestellti. Als Beweis dafür wurden
vorwiegend morphologische Argumente und
Nachweise der Werkseinheit vorgelegt.
Die wissenschaftliche Resonanz war groß. Gerade
unter Berninispezialisten und ebenso unter Theo-
logen und lkonologen gab es Zustimmung, wäh-
rend unter dem Durchschnitt der Wissenschaftler
Verblüffung und teilweise sogar Ablehnung ein-
trat.
Am treffendsten formulierte die Berniniforscherin
Antonia NavaIRom das Problem: i-La ricostruzio-
ne e ardita ma persuasiva-t ("Die Rekonstruktion
ist kühn, aber überzeugend-M. Ja, sie erfordert
Kühnheit des Denkens und Kraft zu logischem
Schließen.
Rudolf Wittkower, Columbia UniversitylNew York3
(w... Ihre Rekonstruktion des Kathedra-Fensters
ist genial...-r), forderte zur weiteren Erforschung
der Quellen auf. Dabei gab es natürlich eine erste
Schwierigkeit, da der betreffende Band der vDe-
creta et resolutionesu im Archiv der Fabbrica San
Pietro verloren ist. Die vorhandenen Giustificazio-
ni (Handwerkerbelege) betreffen dabei nur ausge
führte Arbeiten, nicht aber Projekte und Modelle.
Es mußt jedoch festgehalten werden, daß schon
der Beschluß der Fabbrica von 1626, der erhalten
ist, eine nTraditio claviumrt vorsieht. Die vorgeleg-
te Rekonstruktion mit Hilfe des Ovalreliefs ergibt
wörtlich diese Schlüsselübergabe. In einer Amts-
zeremonle, flankiert von den Zeugen Moses und
Elias, die das Gesetz und die Propheten bedeuten,
schweben von der zentralen Figur des Erlösers
Schlüssel, Tiara und Kathedra nach unten.
Ein wichtiges Ereignis für die Beweisführung war
die endliche Entdeckung der ursprünglichen Her-
kunft des Reliefs: Es stammt aus dem Palazzo
Chigi-Saraceni in Siena, aus der Familie des Pap-
stes Alexander Vll. Chigi, des Bauherrn Berninis.
Mit dieser Quelle war die wichtigste Provenienz
gegeben. Die Bedeutung dieser Herkunft verstärk-
te sich noch dadurch, daß von den Chigi-Sara-
ceni bereits vor etwa 50 Jahren ein anderes wich-
tiges Tonmodeli verkauft wurde: Berninis Bozzet-
to des Stuhles, heute im Museum DetroitIUSA.
Beide Modelle, Stuhl und Ovalrelief, sind im glei-
chen Maßstab gehalten. Sie waren für ein einzi-
ges Altarwerk, den Altar der Kathedra Petri, be-
stimmt.
Ebenso wichtig war die Feststellung, daß auf dem
Brustteil der bedeutsamen "Dalmatica di Carlo
magnoii im Schatz von San Pietro - dem Krö-
nungsornat der Kaiser - dasselbe Bild, die Trans-
figuration, dargestellt ist. Sie trägt die Schrift ME-
TAMORPHOSIS, das griechische Wort für die Ver-
klärung am Tabor, die Transfiguration. Das Tabor-
bild ist damit als lnvestitionsbild des Papsttums
erwiesen. Damit ist der ikonclogische Beweis da-
für erbracht, daß das Ovalrelief in einzigartiger
Weise an diese Stelle paßt, ja gehört. Das Mosaik
der Metamorphose von Ravenna tritt damit geistig
als Zielbild an die Längsachse des Domes.
Diesen lkonologiebeweis hat der Verfasser an die-
ser Stelle 1971 veröffentlicht4.
Zur selben Zeit bezeichnete Hans Kauffmann in
seiner werksmonografischen Darstellung der Ka-
thedra erstmalig das leere Fenster in der Glorie
als i-Verklarungu, das heißt Transfiguraticn-S. Er
benennt damit das abstrakte Bild mit dem Namen
des figurativen Reliefs. Damit ist von einem ganz
verschiedenen Ausgangspunkt dasselbe Denkre-
sultat erreicht worden. Das abstrakte nonfigurati-
ve Bild heißt dasselbe wie die figurative Lösung.
Auch eine künstlerisch sehr nahestehende Nach-
wirkung, der Altar Giovanni Giulianis für die Kir-
che in Gaaden bei Wien mit der Transfiguration,
konnte veröffentlicht werdenß.
Angesichts des nahenden Berninijahres 1980 wur-
de 1979 im Salzburger Barockmuseum eine Aus-
stellung veranstaltet, in deren Katalog als Essay
die bisherigen Forschungen zur Glorie dargestellt
und anschließend Entwürfe des Seicento vorge-
stellt wurden. Bedeutende internationale Samm-
lungen haben sich mit Leihgaben an dieser Aus-
stellung, die unter der Patronanz von Kardinal
Paolo Marella, dem Präsidenten der Fabbrica San
Pietro, stand, beteiligt7.
Wissenschaftlich war es ein großer Gewinn, daß
Wilhelm Messerer im Katalog der Ausstellung mit
seinem Beitrag "Verklärung und Heiliger Geistrr
die Gleichwertigkeit und Austauschbarkeit der
beiden Bilder, dem Fenster mit der Taube und der
Transfiguration, aus den Schriftquellen nach-
wiesß.
Erstmals wurde in diesem Ausstellungskatalog
auch eine wichtige Quelle erforscht, das Tage-
buch des Chevaller de Chantelou, der während
Berninis Reise nach Paris 1665 dessen Aussprü-
che festhielt. Es ist eine Reihe von Aussprüchen
über die Kathedra Petri festgehalten. Er spricht
von seiner schwersten Aufgabe, die ihn nmehr
brauchte als Weib und Kind-i. Dies alles, während
der jetzige Altar mit dem offenen Fenster in Rom
so gut wie fertig war. König Ludwig XlV. wird zi-
tiert mit den Worten wHabt ihr schon gehört vom
Skandal der Kathedra Petri?-i. In Rom wird nach
Berninis Rückkehr aus Paris nur noch die Taube
ins Glasfenster gemalt. Zur großen figurativen Lö-
sung kam es nicht.
Eine weitere bedeutende Analogie zeigt der Salz-
burger Dom. Über seinem Giebel steht figurativ
die Transfiguration, die Metamorphose. Sie weist
zurück nach Rom, nach Ravenna. Dasselbe Bild
wie bei Bernini. - Publiziert an dieser Stelle
19789.
Nach den genannten Publikationen werden die
Beweise für die vorgelegte Rekonstruktion nach
folgenden Gesichtspunkten angeboten:
1. Morphologisch
2. Hinsichtlich der Werkseinheit
3. lkonologisch
4. Nach den Quellen
5. Nach der Provenienz
Die Idee bleibt weiterhin wiardita, ma persuasivau
- kühn, aber überzeugend. Ihr zu folgen erfordert
Mut und Denkkraft, Eindringen. Als Hauptbild des
Petersdomes sollte die Verklärung erscheinen, die
Metamorphose figurativ dargestellt durch die Ge-
stalten von Christus, Moses und Elias. Jedoch
auch das lichterfüllte leere Fenster mit der Taube
heißt Verklärung, Metamorphose - in einer non-
figurativen, abstrakten Lösung.
Noch weitere Forschungen werden folgen müs-
sen, um diesem künstlerisch und kulturhistorisch
einzigartigen Phänomen gerecht zu werden.
Kurt Rossacher
Zu Gianlorenzo Berninis
Transfiguration
Ein Forschungsbericht
Anmerkungen 1-9
' ROSSBCHGV Kurt, Das fehlende Zißlbild dSS Petersdomes-Bem
nis Gesamtprojekt lür die Kamedra Pehi. in: Alte und mudsrna
Kunst. Heft 9511967, s 2-21,
1 Anloniu Nnvn-Collini. 196a schriftlich.
. . . . . H N b ' ' h.
GISHIOVGFIIO Bermnl, me Verklärung, Modell füldle Glorle Qäfikßfkßff '3'ä„5';',;';',gmse d," Kmsmmmwk, um,
USS Pelßßdvmes. Sillbllfgßf Baroßkmuseum. ehemals ßomlnlsKonxeptl rSt Peter.in:Alleundmodernel(unsl.Heii
Fürst Chigi-Sarace n, Siena. H9lI97I. s. 2-13.
Kaufmann Hans. Gfovanni Lorenza Bemini. die hgürlichsn
Kompositionsn. Berlin 1970.
Rosacher KLM. Giovunni Giulianis Hachallav von Gaaden und
Glanlorenlo Born in: Alle und moderne Kunsl, Heft l35ll974.
S. 12vl 4.
Die MUIBIIIOVDPIUBG. Künsllerenlwürla das römischen Barock.
Aussmllungskalalog, Sulzhurger Burockmuseum 1979.
Wllhslm Mammr. Vorklirung und Halliger Geist. m: Dre Mata-
nmrpnoso. Ausstlllungskllllog. Snllburgor Burockmuseum
1979.
Rossachar Kun. Blick In du Fenster. Deutung der Sulzburger
Domlassado, 1n: Alle und moderne Kunst, um 15911918. S. 14.
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