Die Wiederaufnahme historischen Formenguts zum
Ende einer Epoche, eine Art Historismus also, ist in den
verschiedensten Kulturen feststellbar. Der europäi-
sche Historismus als solches Phänomen ist uns ver-
traut; ähnliches läßt sich auch in Japan feststellen w-
fast zur gleichen Zeit. aber unabhängig. Das Ende der
Shogunherrschaftund weitreichende gesellschaftliche
Veränderungen gehen hinter einer Fassade kultureller
Vielfalt vor sich, in der das traditionelle Kunsthandwerk
seine letzte Hochblüte erreichte 7 oder sollte man
sagen: in der es stagnierte?
Als der letzte Shogun aus der Familie der Tokugawa
1868 abdankte und so den Weg zu einerÖffnung Japans
frei machte, hatte das künstlerische Schaffen in diesem
Lande eine über 250 Jahre dauernde ruhige Entwick-
lunghintersich.sehrlangeisoliertundohnefremdländi-
sche Einflüsse. Fördernd für diese Situation war dar-
über hinaus das - ebenfalls überJahrhunderte hinweg
gleichbleibende - Verhältnis zwischen Auftraggeber
undAuftragnehmer.AlsTokugawaleyasuoererstevon
15 Shogunen aus dieser Familie, 1603 die Herrschaft
übernahm. wurde sofort die gesellschaftliche Struktur
des Landes durch Gesetz festgelegt. Ein Militäradel -
die Samurai - bildeten die oberste, Kaufleute und
Handwerker die letzte, am wenigsten angesehene
Klasse.
Krieger ohne Krieg e wer sich nicht großer Taten rüh-
rnen kann, sucht sich in Kunst und Prunk zu verwirkli-
chen, wird zum Forderer von Theater und Literatur. In
dieser Zeit enstehen Rüstungen und Waffen, die ihrer
Kostbarkeit wegen nurtür Fiepräsentationszwecke und
Paraden geeignet waren oder als wertvolle Geschenke
von Fürst zu Fürst weitergereicht wurden. Japanische
Schwertfeger verwendeten oft Monate zur Fertigung
einer Klinge und genossen hohes Ansehen. Schwert-
1 Utagawa Kuniyoshi, um 1855. Farpholzscnriittaus der Serie
uBerühmte Krieger Chinas und Japaner. OMAK, lnv. K. l.
1264412
2 Wilhelm Burger. Ein Daimyo in Kriegsausrüstung. Fotoauf-
nahmevonderosterreichisch-ungarischen Expedition nach
Siam, China und Japan, 1868-1871
3 Ausschnitt aus dem Rollbild von Tatesuke (Abb 12); einer
der 16 Lehenslürslen der Tokugawa-Familie
stichblätter (tsubas) und Beimessergrlfte waren i
verschiedensten Metallegierungen und reichen
gearbeiten so prezios gestaltet. daß sie selbst beg
Samrnelobjekte wurden.
Dosen, Schachteln. Truhen sowie kleine Büchser
Anhängen (inros)wurden von Lackkünstlern in der
niertesten Techniken reich verziert.
Gewänder (kimonos) hatten die einfachste Form,
waren die Stoffmuster umso reicher gestaltet.
Wiederum charakteristisch für eine Spatzeit ma
langsame Veränderung der i-Auftraggeberscl
sein. Ab dem späten 18. Jahrhundert sind es die
leute und das Stadtbürgertum, die zu Reichtum un
fluß kamen. Während der unproduktive Kriege
zunehmend verarmt und in finanzielle Abhäng
gerät. versuchen gerade jene - der neue Geldar
sich mit solchen Kunstwerken zu umgeben. wiesi
her nur dem Erbadel vorbehalten waren, und d:
Lebensstil nachzuahmen.
Diese gesellschaftliche Veränderung macht sich
in allen Sparten des Kunsthandwerks bemei
Lackarbeiten, Keramiken, Schmuck sowie kos
Gewänder verraten uns nicht sofort den Besi
Schwerter, Rüstungen und Waffen hingegen wr
durch Metallobjekte ersetzt, in denen die ganze E
der hochentwickelten Schwertfegerkunst zum Tr
kommt. Der Farbholzschnitt hingegen ist schon
rein bürgerliche Kunst und soll die wertvollen Flolll
und Stellschirrne aus den adeligen Hauer
ersetzen.
Der Begriff ukyo-e - Bilder der vergänglichen W
wird sowohl für die Malerei wie für Drucke verwe
auch die Themen sind die gleichen: Heldengesc
ten, Schauspieler, "schöne Frauenii und Ansii
bekannter Landschaften. Gerade in letztgenan
4 AndoHiroshige,iiShibaderAtago-Bergxi721 Ansict
den iiHundert berühmten Ansichten von Edori, 1856-"
OMAK, lnv. K. l. 10522l7 7 Sammlung Exner