Tschinkel offenbar eigentümliche Art des Bild-
baues.
Fast alle figuralen Gemälde dieser Frühzeit, etwa
..Die Familie", bieten vollkommen zuständliche
Darstellungen von Menschen, ohne daß eine
Handlung oder Bewegung auch nur angedeutet
ist. Sogar ein scheinbar so selbstverständliches
Bewegungsmotiv wie eine Umarmung wird auf
der Zeichnung „Der verliebte Schneider" (1930),
wo der Schneider eine Stoffpuppe umarmt.
nicht zu einer Handlung, auch nicht zu einer
Momentaufnahme, sondern zu einer Stimmungs-
angabe, literarisch: einem .,stehenden Jetzt".
Das gleiche Motiv findet sich übrigens wieder
auf Tschinkels neuestem, noch unvollendetem
Bild, einem Selbstbildnis des Malers als Saug-
ling mit einer als Schneiderpuppe dargestellten
Mutter.
1945 mußte Tschinkel wie alle Deutschen Prag
verlassen, er ging zunächst nach Berlin. In den
fünfziger Jahren kam er für fast ein Jahrzehnt
nach Salzburg. Seit kurzem ist er anatomischer
Zeichner an der Universität Köln. Österreicher
war und ist Tschinkel, der geborene Prager,
nicht nur dem Reisepaß nach, sondern auch aus
Überzeugung - ein am ausgiebigen Erleben der
Fremde mehrfach bewahrtes Gefühl. Man sollte
aber die Einflüsse der biographischen Zäsur des
Jahres 1945 auf das Leben dieses Anno 1905
Geborenen nicht allzu stark einschätzen; die
künstlerische Bereitschaft, sich dem Surrealis-
mus anzuriähern, bestand wohl schon vorher.
Einige Ansätze dazu wurden hier aufzuzeigen
versucht.
Charakteristisch für den Surrealisten Tschinkel
ist, daß er selbst schon jahrelang fertige Bilder
wieder umzuarbeiten beginnt. S0 stattet er der-
zeit das vor 10 Jahren gemalte Bild „Die Brucke"
mit einem neuen Hintergrund aus. Wie bei
vielen surrealistischen Bildern bleibt auch hier
die sonst als unwiderlegliches Axiom geltende
Feststellung unbewiesen, der Surrealismus bilde
34
Traumwelten ab. Betrachtet man namlich die
strenge Zentralperspektive, in der diese zer-
brockelnde Brücke in den Horizont hinauslauft,
fällt einem dabei auf, daß die Skulpturen links
und rechts auf Anregungen der bekannten Vier-
Elemente-Gruppe des Salzburger Mirabellgar-
tens zurückgehen, dann wird zumindest als
Hypothese die Annahme möglich, daß es bei
einem Surrealismus solcher Prägung auf zwei
andere Ziele arikomme als auf Umsetzung von
Traumerlebnissen, Das eine Ziel ware inhalt-
licher Natur und bestünde darin, dem Künstler
die Wirklichkeit so sehr als Zitat in die Hand zu
geben, daß von der traditionellen, seit Aristoteles
behaupteten, aber auch noch in neuester Zeit
selbst von abstrakten Künstlern kaum reflektiert
unterstützten Abbildtheorie nicht mehr die Rede
sein kann. Das zweite Ziel ist formaler Natur,
es bedeutet, daß dem Maler der Vorgang des
Malens so sehr zu einer autonomen, nur sich
G