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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIV (1969 / Heft 106)

Tschinkel offenbar eigentümliche Art des Bild- 
baues. 
Fast alle figuralen Gemälde dieser Frühzeit, etwa 
..Die Familie", bieten vollkommen zuständliche 
Darstellungen von Menschen, ohne daß eine 
Handlung oder Bewegung auch nur angedeutet 
ist. Sogar ein scheinbar so selbstverständliches 
Bewegungsmotiv wie eine Umarmung wird auf 
der Zeichnung „Der verliebte Schneider" (1930), 
wo der Schneider eine Stoffpuppe umarmt. 
nicht zu einer Handlung, auch nicht zu einer 
Momentaufnahme, sondern zu einer Stimmungs- 
angabe, literarisch: einem .,stehenden Jetzt". 
Das gleiche Motiv findet sich übrigens wieder 
auf Tschinkels neuestem, noch unvollendetem 
Bild, einem Selbstbildnis des Malers als Saug- 
ling mit einer als Schneiderpuppe dargestellten 
Mutter. 
1945 mußte Tschinkel wie alle Deutschen Prag 
verlassen, er ging zunächst nach Berlin. In den 
fünfziger Jahren kam er für fast ein Jahrzehnt 
nach Salzburg. Seit kurzem ist er anatomischer 
Zeichner an der Universität Köln. Österreicher 
war und ist Tschinkel, der geborene Prager, 
nicht nur dem Reisepaß nach, sondern auch aus 
Überzeugung - ein am ausgiebigen Erleben der 
Fremde mehrfach bewahrtes Gefühl. Man sollte 
aber die Einflüsse der biographischen Zäsur des 
Jahres 1945 auf das Leben dieses Anno 1905 
Geborenen nicht allzu stark einschätzen; die 
künstlerische Bereitschaft, sich dem Surrealis- 
mus anzuriähern, bestand wohl schon vorher. 
Einige Ansätze dazu wurden hier aufzuzeigen 
versucht. 
Charakteristisch für den Surrealisten Tschinkel 
ist, daß er selbst schon jahrelang fertige Bilder 
wieder umzuarbeiten beginnt. S0 stattet er der- 
zeit das vor 10 Jahren gemalte Bild „Die Brucke" 
mit einem neuen Hintergrund aus. Wie bei 
vielen surrealistischen Bildern bleibt auch hier 
die sonst als unwiderlegliches Axiom geltende 
Feststellung unbewiesen, der Surrealismus bilde 
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Traumwelten ab. Betrachtet man namlich die 
strenge Zentralperspektive, in der diese zer- 
brockelnde Brücke in den Horizont hinauslauft, 
fällt einem dabei auf, daß die Skulpturen links 
und rechts auf Anregungen der bekannten Vier- 
Elemente-Gruppe des Salzburger Mirabellgar- 
tens zurückgehen, dann wird zumindest als 
Hypothese die Annahme möglich, daß es bei 
einem Surrealismus solcher Prägung auf zwei 
andere Ziele arikomme als auf Umsetzung von 
Traumerlebnissen, Das eine Ziel ware inhalt- 
licher Natur und bestünde darin, dem Künstler 
die Wirklichkeit so sehr als Zitat in die Hand zu 
geben, daß von der traditionellen, seit Aristoteles 
behaupteten, aber auch noch in neuester Zeit 
selbst von abstrakten Künstlern kaum reflektiert 
unterstützten Abbildtheorie nicht mehr die Rede 
sein kann. Das zweite Ziel ist formaler Natur, 
es bedeutet, daß dem Maler der Vorgang des 
Malens so sehr zu einer autonomen, nur sich 
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