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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIV (1969 / Heft 106)

selbst verantwortlichen Tätigkeit werden kann, 
wie es wohl kein anderer Stil erlaubt. Denn nicht 
einmal die hingeworfene Chiffre des Tachisten, 
die ja stets Transkription einer Augenblicks- 
stimmung ist und sein muß, ist in ebenso starkem 
und überzeugendem Sinne unvollendet, Impro- 
visation per definitionem, wie der stets revidier- 
bare Malakt des Surrealisten, Es leuchtet wohl 
ein, daß hier auch der Ansatz zu einem wesent- 
lichen Einwand gegen den Surrealismus läge. 
Schwebende Sockel, zerbrockelnde Figuren ä la 
Clerici, dergleichen kommt bei Tschinkel öfters 
vor. Es fragt sich, ob dieses Motiv eine Allegorie 
der Vergänglichkeit ist oder nicht etwa ein 
Concetto für das Schweben, was vermutlich für 
das kompositorisch bemerkenswerte Bild „Die 
Sfinx" (Abb. 7) sehr wesentlich, in geringerem 
Maße auch für „Schwer und leicht" (Abb. 6) 
gilt, eine sehr durchdachte Verzerrung von 
Raffaels "Grablegung". 
Surrealistischem Stil entspricht es, daß das Ge- 
schehen im Vordergrund in einen leeren, nur 
allegorisch abgegrenzten Raum gestellt wird 
(Abb. 376). Mehrmals sieht man bis an den 
Horizont reichende dominierende Fluchten, z.B. 
die Kisten der Strohpuppen-"Mannequins" in 
„Unhörbare Schüsse" (Abb. 4), auch Motiv- 
wiederholungen wie drei Kisten, drei Stroh- 
puppen, drei Würfel, drei Kronen. 
Die malerischen Qualitäten Tschinkels gibt die 
Schwarzweißreproduktion seiner Bilder freilich 
nur andeutungsweise wieder; das zeichnerische 
Können kann man an der konsequenten Dar- 
stellung der Verzerrungen (Abb. 6) oder an der 
virtuosen Beherrschung des liegenden Aktes 
(Abb, 4) ablesen. Tschinkel schafft die kom- 
pakte Oberfläche seiner surrealistischen Bilder 
mit zahllosen feinen Pinselstrichen, mit Unter- 
und Übermalungen, und genau hier ist das 
Moment zu suchen, da dem Maler das als 
kreative Freizügigkeit vorkommt, was der Be- 
trachter des fertigen Bildes für von Anfang an 
gesetzte Ordnung hält. Hier liegt die Freiheit, 
das nur durch sich selbst Bestimmte, der schein- 
bar so geordneten, kalkulierten surrealistischen 
Kunst. In koloristischer Hinsicht ging Tschinkels 
Entwicklung von einer relativen Lokalfarbigkeit 
zu changierenden, ..schillernden" reflexreichen 
Tönen im Sinne des Manierismus etwa des 
Prager rudolfinischen Künstlerkreises. 
Gleich eine Vielzahl allegorischer Motive vereint 
"Das Licht der Natur" (Abb. 8), ein Werk, in dem 
Tschinkels wissenschaftliche Beschäftigung mit 
Paracelsus fruchtbar wird. (1965 und 1966 pu- 
blizierte Tschinkel im Jahrbuch des Salzburger 
Museums „Carolino-Augusteum" eine größere 
kritische Arbeit zur Paracelsus-lkonographie.) 
Gerade an dem Paracelsus-Bild wird nach der 
Meinung Tschinkels sinnfällig, daß Ordnung 
durch Ubererfüllung zu einem a vielleicht be- 
freienden, vielleicht verwirrenden - Widerspruch 
werden kann. Paracelsus war in der Medizin 
seiner Zeit voraus, in der Philosophie und Theo- 
logie schwankte er zwischen tiefem Aber- 
glauben und radikaler Reformation. Mit anderen 
Worten, er versuchte die Vielfalt der Erscheinun- 
gen in eine Ordnung (aber aus vollig wider- 
sprüchlichen Elementen) zu bringen. Genau das 
vermag den Surrealisten zu inspirieren. 
Zu diesem letzterwähnten Bild kann man sich 
freilich verschieden stellen. Gemeinsam aber ist 
den Werken Tschinkels ein Zug: daß nämlich 
Ordnung durch Über-Erfüllung der Ordnung ad 
absurdum geführt werden kann. „Ordnung als 
Widerspruch" - es wäre dies in zugespitzter 
Form die Erkenntnis des Malers Augustin 
Tschinkel, die er den Betrachtern zu geben hat. 
Und die prägnanten Bilder, die er für diese 
warnende und weitreichende Einsicht findet, 
legitimieren ihn als Künstler. 
Augustin Tschinkel, Das Urteil des Mars, 1963 Ol 
Augustin Tschinkel, Schwer und leicht, 1961 (nach 
Flaffael). Ol 
Augustin Tschinkel, Die Sfinx, 196371967. Misch- 
techriik 
Augustin Tschinkel, Das Licht der Natur (Paracelsus), 
1964. Ol 
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