Johanna Herzogenberg
MARIANISCHE GEOGRAPHIE
AN BÖHMISCHEN
WALLFAHRTSORTEN.
DER WEISSE BERG -
RIMAU IN SÜDBÖHMEN -
DER HEILIGE BERG
LITERATUR
Gumpenberg s. (Wilhelm) s], Atlas Marianus, Ingolstadt 1655,
München 1657, 1672. - Deutsche Ausgabe VDI! Aug. Sartorius,
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Sdiartenhofer Midzael, Die Mariensäiule n. Münduen, Mündicn
1970.
Die Gegenreformation knüpfte in Böhmen nach
dem Dreißigjährigen Krieg an vielen Orten an
die einst lebendige Marienverehrung an und
wußte von neuen Wundern der über die schwe-
ren Zeiten der Hussitenkriege und der nach-
folgenden utraquistisdien und protestantischen
Epoche geretteten Bilder und Figuren der
Madonna zu erzählen. Der uralte Kult der
Mutter mit dem Kind blühte ebenso wie jener
der Schmerzhaften Muttergottes wieder auf, und
es entstand eine Fülle von größeren und klei-
neren Wallfahrtsorten, so daß man im 18.
Jahrhundert Böhmen ein marianisches Land
nennen konnte. Die militärisch und politisch
entscheidende Schlacht auf dem Weißen Berg
bei Prag am 8. November 1620, nach der Fried-
rich von der Pfalz, der calvinistisclae „Winter-
könig", fluchtartig die Hauptstadt Prag und
das Königreich Böhmen verließ, hatte die
katholische Liga, so wurde gesagt, mit Hilfe
der Gottes-Mutter gewonnen. Das kleine spät-
gotische Christ-Geburt-Bild aus der Deutsch-
Ordens-Kommende Strakonitz, welches der
Karmeliter Dominicus a Jesu den Truppen
vorangetragen hatte, bekam den Namen „Maria
de Victoria", ebenso wie die ursprünglidi pro-
testantische Kirche, weld1e dieser Orden in der
Kleinen Stadt Prag (Kleinseite) erhielt. König,
Adel, Bürger, Einzelpersonen, Städte und Klö-
ster wetteiferten in ihrem Dank an die Ma-
donna und in der Erfindung immer neuer
Formen der Verehrung. Die aus den katholi-
schen, vor allem den habsburgischen Ländern
Süd- und Westeuropas einströmenden Frem-
den brachten Nachriditen von den Heiligtümern
in ihrer Heimat. Bestimmte Typen dieser Ma-
donnenbilder fanden besondere Verbreitung
und Förderung ihres Kultes, etwa „Maria-Hilf"
nach dem Innsbrudrer bzw. Passauer Bild oder
die Casa Santa von Loreto.
Was aber m. W. nur in Böhmen vorkam, war
die gleichzeitige Anrufung der Muttergottes
anderer z. T. weitentfernter Gnadenstätten an
einem Ort mit eigenem Gnadenbild und be-
sonderen Kultformen. An drei Beispielen mödite
ich diese marianische Geographie beschreiben,
die verschiedenen Sd1emata der Anordnung
darstellen und diese zu interpretieren versuchen.
Die großartigste und umfassendste Anhäufung
von Darstellungen und Anrufungen mariani-
scher Gnadenbilder befindet sich in dem Heilig-
tum, das zur dankbaren Erinnerung an jene
für Böhmen entscheidende Schlacht vom 8.
November 1620 errichtet worden ist, nämlich
am Weißen Berg bei Prag. Die Ortsbezeichnung
hat nichts mit einer übertragenen Bedeutung
zu tun - wie bei der Jasna Gora in Tschen-
stodiau -, sondern Weiß bezeichnet das Gestein
der Bergkuppe, die nach drei Seiten stark ab-
fällt und an der vierten den flachen Zugang
zur Prager Burg bildet, die etwa eine halbe
Wegstunde weiter östlich liegt. Hier hatte man
1622-1624 eine kleine Gedächtniskapelle er-
richtet, 1628 ein Servitenkloster geplant, das
aber wegen des Wassermangels an dieser Stelle
dann doch nicht gebaut wurde. - Im übrigen
blieb der Weiße Berg nach wie vor das Auf-
marschgelände für den aus dem Westen heran-
rückenden Feind, so etwa für die Sachsen 1639,
für die Schweden 1648, für die Bayern 1741
und auch für Friedridn von Preußen 1757.
Sdxließlich hat ein bayerisdzer Maurer, Midiael
Hagen aus Tegernsee, 1704 mit dem Bau der
Anlage begonnen, die wir heute als Werk von
Handwerkern und Bürgern bewundern. Weder
den großen Herren aus dem böhmisdien Adel
noch den verschiedenen Ordensgemeinschaften
war es gelungen, ein würdiges Gedächtnis zu
verwirklichen. Ihnen genügte die ursprünglich
von den Protestanten begonnene und nach der
Schlacht am Weißen Berge den Karmelitern
übergebene Kirche Maria de Victoria in der
Kleinen Stadt Prag. Wir können den Bauvor-
gang an den in die Steine eingemeißelten Daten
genau verfolgen: Kapelle 1704, Umgang und
Priesterhaus 1708. Die Felicians-Kapelle 1710,
die des heiligen Hilarius 1712. - Der schöne
Eingang an der Südseite trägt die Jahreszahl
1713 und über dem Marien-Emblem die stolze
Inschrift „Luna invent." Der Maler und Bau-
meister Christian Luna (T 1729) entwarf auch
den eindrucksvollen Kupferstich, der die ganze
Anlage zeigt. Er hatte sich seit 1705 der Planung
und Ausführung des Baues angenommen.
In den umlaufenden Ambiten sind in die Platzl-
gewölbe jeweils Gnadenbilder gemalt, die von
Engeln getragen werden. Sie schweben im Him-
melsraum der kreisrunden Kuppelbilder, die
am Rande eine umlaufende irdische Szenerie
aufweisen. Zu Füßen des Gnadenbildes wird
der Ort - Kirche oder Stadt - dargestellt,
in dem es sich befindet. Einzelne Bäume, vom
Bildrand aufwachsend, vermitteln Tiefe. Die
Darstellungen sind wiederholt übermalt, gehen
aber auf sehr qualitätvolle Vorlagen zurück -
erinnern wir uns daran: In den drei Kuppeln
der Wallfahrtskirche haben keine Geringeren
als Cosmas Damian Asam, Wenzel Lorenz
Reiner und Johann Adam Schöpf gemalt. Die
Umschrift in Tschechisch und Deutsch, letztere
heute weitgehend übermalt, nur im Norden
noch lesbar, heißt immer: Zazracny a milostnv
obraz Panny Marie v... Das gnadenreidie
Muttergottesbild in Bei den Ortsangaben
wird oft auch das Land genannt, dazu gelegent-
lich auch eine Jahreszahl, wohl die erste damals
überlieferte Erwähnung. Interessant ist, daß
man bei den Übermalungen bekanntgewordene
Veränderungen der jeweiligen Bauwerke be-
rüdtsiditigt. So werden etwa bei der Ansicht
von Regensburg die neuen Domtürme (1859-
1869 aufgeführt) dazugemalt. Insgesamt sind 47
Gnadenorte dargestellt. Ein Plan soll ihre Ab-
folge und die Beziehung zu den Darstellungen
aus dem Leben Jesu und Mariä, die an der
Umfassungsmauer des Heiligtums angebracht
sind, veransd1aulid1en.
Da nur am Weißen Berg in der Reihe der
Gnadenbilder auch soldie jenseits der Grenzen
der Länder der SL-Wenzels-Krone (Böhmen,
Mähren und Schlesien) vorkommen, sei hier
eine knappe statistische Zusammenfassung ge-
geben: Von den 47 Madonnen befinden sich
sechs in der Hauptstadt Prag, neun in Böhmen,
vier in Mähren, zwei in Schlesien, adit (l) in
Bayern, vier in Italien, je eine in Österreich,
Polen, Spanien und in der Schweiz. Es ist eine
eindrucksvolle Geographie, und wir werden
nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß die
Wohltäter und Stifter die Auswahl treffen
durften, so daß es nicht wunder nimmt, wenn
die berühmten bayerischen Wallfahrten von
Ötting (Alrötting), Etral, Landshut, Regens-
burg, Passau, Neukirchen, Chiemsee und auch
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