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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVI (1971 / Heft 114)

Franz Unterkirchcr 
DAS HARRACH-MIS SALE 
Was heute noch _an mittelalterlichen Hand- 
schriften vorhanden ist, befindet sidi fast aus- 
sdiließlidi im Besitze öffentlidier Bibliotheken 
oder Museen. Die Handschriften in klöster- 
lichen oder anderen kirchlichen Bibliotheken 
sind nidit mehr in gottesdienstlidier Verwen- 
dung, audn wenn es sich um liturgische Büdier 
handelt. Die einzige Ausnahme bildet der 
„Codex Millenarius" in Kremsmünster, der bei 
besonderen Gelegenheiten nodi beim feierlichen 
Gottesdienst benützt wird. 
Außer diesen Handschriften, die in der biblio- 
thekarisdien und kunsthistorisdien Literatur 
längst bekannt sind, und die auch in Aus- 
stellungen der Öffentlichkeit gezeigt wurden, 
gibt es noch da und dort Handschriften in 
Privatbesitz. Abgesehen von den handschrift- 
lichen archivalischen Beständen sind in den 
Schlössern alter adeliger Familien noch einzelne 
handgeschriebene Bücher erhalten geblieben, die 
der Öffentlichkeit noch unbekannt sind. Es 
handelt sich dabei meist um Büdier, die mit 
der Familiengeschichte zusammenhängen, und 
die aus diesem Grund an dem Ort erhalten 
blieben, für den sie geschrieben oder erworben 
wurden. 
Zu diesen Büchern gehört ein Missale im Besitz 
der Grafen von Harrach, das wohl von 
einzelnen Genealogen des vorigen Jahrhunderts 
benützt wurde, das aber der Budi- und Kunst- 
geschichte bisher noch nidnt bekannt war. Dem 
jetzigen Besitzer, Grafen Ernst Leonhard 
Harradi, gebührt der Dank dafür, daß er die 
Erlaubnis dazu gab, dieses merkwürdige und 
wertvolle Buch der Öffentlidikeit vorzustellen. 
KODIKOLOGISCHE BESCHREIBUNG 
Das Missale umfaßt 341 Pergamentblätter im 
Ausmaß von 365 X 265 mm und als Vorsatz 
und Nachsatz je drei ebensogroße Papierblätter. 
An sieben Stellen sind Pergamentblätter ab- 
handen gekommen (vgl. unten). 
Der jetzige Buchblock setzt sich aus vier 
versd-iiedenen Teilen zusammen: 
An erster Stelle befindet sich der jüngste Teil, 
d. s. zwei Pergamentblätter mit Ahnenbildern. 
Die darauffolgenden sieben leeren Pergament- 
blätter dürften erst bei der Neubindung im 
I6. Jahrhundert eingeheftet worden sein, 
vielleicht mit dem Plan, darauf die genea- 
logisdien Darstellungen fortzusetzen. 
Den zweiten Teil bilden sechs Blätter mit dem 
Kalender und ein einzelnes Blatt mit dem Text 
der Salz- und Wasserweihe. 
Auf die ersten 16 Blätter folgt von fol. 17-72 
ein dritter Teil, der sich durch die Sdirift und 
die Lagenanordnung von den anderen Teilen 
untersdieidet. Es sind sieben regelmäßige 
Quaternionen. Ihre ursprünglidien Lagenzäh- 
lungen und „Reklamanten" (d. s. die ersten 
Worte der folgenden Lage auf dem letzten 
Blatt der vorhergehenden Lage) sind teilweise 
nodi vorhanden, teilweise aber vom Buchbinder 
weggeschnitten. 
Der vierte Teil, von fol. 73-341, ist aus 
Quinternionen zusammengesetzt, jedoch ohne 
jede Lagenbezeichnung. Das Blatt 76, das auf 
der Versoseite das Kreuzigungsbild trägt, ist 
als Einzelblatt eingeklebt. Das jetzige Blatt 108 
ist falsch eingebunden. Das jetzige Blatt 126 
ist von anderer Hand geschrieben und an 
Stelle des schon bei der Bindung fehlenden 
ursprünglichen Blattes eingeordnet; von der 
gleichen jüngeren Hand ist Blatt 339 
gesdirieben. Auf Grund des fehlenden Textes 
können die folgenden Lücken festgestellt 
werden: 
nach fol. 103 fehlt der Anfang der Kirch- 
weihmesse; nadn fol. 107 der Anfang der 
Nikolaus-Messe; nach fol. 136 der Anfang der 
Georgs-Messe; nach fol. 192 der Anfang der 
Messe zu Maria-Himmelfahrt; nach fol. 227 
der Anfang der Messe zu Allerheiligen; nadi 
fol. 236 der Anfang der Katharinen-Messe; 
nach fol. 238 der Anfang der Messe zum 
Commune Apostolorum. Diese Blätter dürften 
schon gefehlt haben, als das Buch neu gebunden 
wurde, da sich keine Beschädigungen beobachten 
lassen. Da das Missale keinerlei Paginierung 
besitzt, war die Kontrolle der Vollständigkeit 
schon von Anfang an sd1wierig. 
EINBAND 
Der Einband stammt aus dem Jahre 1583. Er 
besteht aus starken Holzdeckeln (392 X 280 
Millimeter), die mit rotem Leder überzogen 
sind. Sechs Doppelbünde teilen den Rücken in 
sieben Felder. Die Holzdecke] sind nach innen 
abgeschrägt. Die Vorderseite trägt den gleichen 
Schmuck wie die Hinterseite. Die Deckelfläche 
wird durch mehrere ineinandergescharhtelte 
Rahmen gegliedert; die Rahmen werden durch 
ornamentale Rollen gebildet; der äußerste 
Rahmen ist auf seiner Innenseite mit vier aus 
Bandwerk gebildeten Edtstücken besetzt. Die 
Leisten zwischen den Rahmen tragen kleine 
Blatt- und Rosettenstempel. Auch die inneren 
Schrägleisten der Deckel sind mit einem Fileten- 
muster verziert. Ebenso zeigen die Rückenfelder 
Stempelverzierungen. Das kleine Mittelfeld 
der Dedrelflächen trägt einen Plattendrudt 
(103 X 68 mm) mit der Darstellung des 
Crucifixus, links davon die Eherne Schlange, 
rechts die Opferung Isaaks. Links und rechts 
vom Fuße des Kreuzes die Buchstaben G E. Die 
gleiche Platte findet sich auf dem Einband der 
Inkunabel 476 der Deutschen Staatsbibliothek 
in Berlin'. - Alle Deckelverzierungen sind in 
Golddrudr angebracht, der stark verblaßt ist. 
Die verzierten Messingschließen tragen die 
Jahrzahl 1583. Die Sdmittflächen des Buch- 
blodres sind vergoldet und mit punzierten 
Ornamenten versehen. - Leider hat der 
Budibinder bei vielen Blättern die gemalten 
Ranken angesd-mitten. 
Am Rüdsen oben ist ein kleiner Zettel an- 
geklebt, der die Bibliotheksnummer trägt: V1 
Rohrau. 
Als Vor- und Nachsatz wurde beim Binden je 
eine Papierbinio angebracht, deren erstes bzw. 
letztes Blatt auf die Innenseite der Dedxel 
geklebt wurde, während die anderen drei 
Blätter leer blieben. Das Papier trägt als Wasser- 
zeichen den Doppeladler mit dem Wappen von 
Memmingen, Briquet Nr. 941. Die bei Briquet 
angeführten Belegstücke stammen aus der Zeit 
von 15510-15832. 
Das dritte Vorsatzblatt trägt auf seiner Verso- 
seite links oben mit Bleistift „N"691", darüber 
ein kleines Papierzetteldien mit der Zahl 720. 
Der Band wird in einer versperrbaren Holz- 
kassette aufbewahrt, die innen mit Filz 
ausgeschlagen ist.
	        
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