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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIX (1984 / Heft 192 und 193)

ist sicherlich nicht ohne die allgemeine Kenntnis der ln- 
ventionen Frangois Duquesnoys und Alessandro Algar- 
dis (Geißelungsgruppe) bzw. deren Abwandlungen bei 
Georg Petel und David Heschlerd.Ä. denkbar, erinnert 
aber auch an Werke Francesco Terillis in Venedig." 
Besonders für die Hurdtersche Johannesfigur scheint 
weniger bei Giovanni Bolognaw als hier, etwa in den 
themengleichen Figuren aus Holz in Sant' Alvise und 
aus Bronze in der Chiesa del Redentore in Venedig". 
beide von F. Terilli. eine Quelle der Komposition zu lie- 
gen. - Sicherlich später als die Langenauer Kirchen- 
ausstattung entstanden, könnte die sehr weich model- 
lierteElfenbeinstatuetteeinesChristusvorderSäuleim 
Hessischen Landesmuseum, Darmstadtaz. die an ltalo- 
Flamisches erinnert, vielleicht Ulmer Herkunft sein. 
Schon Klaiber und Wortmann haben bei der den Schall- 
deckel der Langenauer Kanzel bekrönenden Figur Jo- 
hannes des Evangelisten (Abb. 5) an die Werkstatt J. U. 
Hurdters gedacht", was im Vergleich mit den Relief- 
figuren in Baltimore nur bestätigt wird und mindestens 
ebenso für die Sitzfigur des hl. Petrus im Gehäuse dar- 
unter gelten mag. Der den Kanzelkorb tragende Engel. 
dessen Typus an Münchener Bronzen Hubert Gerhards 
und seines Kreises denken läßt. könnte in der weichen 
Formgebung von Gesicht und Haar z. B. ebenfalls in der 
Werkstatt entstanden sein (Abb. 6). Sein Typ ist offen- 
sichtlich Vorbild u. a. für Johann Christian Braun (s, lll. 
Abb.) geworden. 
Es muß einer eigenen, die Bildwerke größeren Formats 
von allen Mitgliedern der Familien Heschler und Hurd- 
ter erfassenden Untersuchung vorbehalten bleiben, Jo- 
hann Ulrich Hurdters Holzskulpturen in ihrem Verhalt- 
nisz. B. zu dem einige Zeitvor 1 679fertiggestelltenAltar 
in Langenau zu bestimmen". welcher als Gesamtkcm- 
position. aberauch in Einzelheiten wie dem Auszugsbild 
von Matthias Campanus aus Ulm auf den einfacheren. 
1659 datierten Atlar der Evgl. Stadtptarrkirche in Gien- 
gen a.d. Brenz (Abb. 8) zurückgeht? die bekronende 
Figur des aulerstandenen Christus nimmt den Typus 
von Giovanni Bolognas Luccheser Statue aulu Die 
sehr schönen Engel in Langenau (Abb. 7) stehen der 
Kanzelfigur des hl. Johannes Ev. ebenda nahe, In ihnen 
scheint sich. übertragen ins große Format und in das 
Material Holz, der auf Körperbewegung und -torsion so- 
wie verschlungene, reich ondulierende Draperien 
orientierte Spätstil von David Heschlers d. Ä. Elfenbein- 
arbeiten (s. Teil I. Abb. 1,4) widerzuspiegeln. Die dage- 
gen eher steif und unbeweglich seitlich des Altars pla- 
zierten Statuen von Moses und Aaron erinnern etwas an 
die Männergestalten von Hurdters Kreuzabnahme 
(Abb. 2), derAaron zudem vor allem in der Art von Haar- 
und Bartbehandlung an den Stil David Heschlers d. Ä. 
lndiesem gesamten Zusammenhang und geradefürdie 
Taufdeckel- und Kanzelfiguren Hurdters und seiner 
Werkstatt (Abb. 3 l., 5 f.) scheint auch Sigmund Hesch- 
1er, Davids d.Ä. Vater und seit 1634 in Ulm, u. a. für die 
Vermittlung italienischer Einflüsse eine gewisse Rolle 
gespieltzu haben. Dieschon bald nach 161 B entstande- 
ne Holzgruppe des Christus als Sieger über den Teufel. 
ehemals in der Ulmer Dreifaltigkeitskirche (Abb. 8a)" 
scheint die nur wenig ältere Schöpfung Francesco Te- 
rillis in Venedig vorauszusetzenfe Im plastischen Stil, 
in der weichen Behandlung des Stoffes sind der zeit- 
liche Abstand und die künstlerisch unterschiedliche 
Auflassung von S. Heschler und J. U. Hurdter überaus 
deutlich. - Die Johannesfigur der Kanzel in lsny - of- 
fensichtlich zumindest in Sigmund Heschlers Umkreis 
entstanden - deutet in dieselbe Richtung"; sie bildet 
eine der Voraussetzungen für den Stil der Langenauer 
Kanzelbekrönung aus der Hurdterschen Werkstatt. 
Auch die Evangelisten an der Kanzel in lsny sind z.T. 
nicht ohne italienische Vorbilder des späten 16. Jahr- 
hunderts zu denken." - Die figurale und räumliche 
Freiheit der Hurdterschen Taulgruppe in Langenau 
(Abb. 3) wird deutlich im Vergleich zu Sigmund Hesch- 
lers unbeholfen wirkender Darstellung desselben The- 
mas an derselben Stelle von etwa 1645146 in St. Nikolai 
in Isny". die nach einer nach Ulm geschickten Visie- 
rung geliefert wurde (Abb. 9). 
Belangen und merkwürdig retrospektiv wirken nun die 
Assistenz-Figuren zu dem in der Kath. Pfarrkirche 
St. Martinus in Dietenheimllller, südlich Ulm, erhalte- 
nen Kruzifix von 1588l90 (7), die laut Inschrift auf der ln- 
nenseite des Standbretts von "Hans Ulrich Hurdter Ulm 
16801 gearbeitet wurden (Abb. 10). Beide Figuren stan- 
den früher unter dem Chorbogen." Der Gesichtstyp 
der Maria(Abb.10a)findetsichaufdem Kreuzabnahme- 
relief (Abb. 2), dessen last graphische Zeichnung des 
Gewandes sowie Gestik und Ausdruck von Händen und 
Gesichtern kehren in den Holzfiguren wieder. - Die 
nicht nurqualitative Entfernung von Vorbildern in derArt 
von Petels Augsburger Gruppe von 1631" und - in an- 
derer Weise 7 von Heschlers Bühler Kreuzigung (Teil 
l, Abb. 17) wird ebenso deutlich wie der stilistische und 
zeitliche Abstand zu Hurdters eigener Taulgruppe von 
1668l69(Abb. 3). - Wie ein zeitgenössischer Kruzifixus 
zu den Dietenheimer Figuren ausgesehen haben könn- 
te. zeigt der von R. Wortmann in der Klosterkirche zu 
Söflingen (Abb. 11) entdeckte. 28 cm hohe Elfenbein- 
corpus, dessen Typus auf Giovanni Bologna zurück- 
geht, dessen Faltenstil - im Gegensatz zu dem eher al- 
tertümlichen Gesicht - an David Heschler d. Ä. späte 
Werke (nach 1650151) erinnert." Von 1686 bis 1693 
wurde die Kirche umgebaut und mit reicher neuer Aus- 
stattung versehen, deren Künstlerzum großen Teil aus 
Ulm kamen.'5 
Von Johann Ulrich Hurdter selbstdagegen istder 36 cm 
hohe Corpus aus Buchsbaumholz von Typus des Cristo 
vivo imGermanischen Nationalmuseum, Nürnberg. mit 
drei Nägeln (Abb. 12)." Er trägt unter seinem rechten 
Fuß inTinte das Monogramm NVHGÜFI Ligatur). Eine Ver- 
bindung von Monogramm und Stil mit Hendrik Frans 
Verbruggen (1654 - 1724) in Antwerpen scheint mir 
ausgeschlossen zu sein." 
Bis in das Handschriftliche von weich sich ringelnden 
Locken. zart angedeutetem Bart, knochigen langen Fin- 
gern und Zehen und kleinteilig gemuldetem und gedeli- 
tem Tuch ist das Bildwerk den Christusdarstellungen in 
Langenau(Abb. 4)und Baltimore (Abb. 2)ähnlich,wenn- 
gleich sich in der Auflassung des Aktes im allgemeinen 
ein klassisches Vorbild, eher in der Art Duquesnoys als 
Algardis, durchzusetzen scheint," Eine zeitliche Ein- 
ordnung vor1700,zwischen 1670 und1690,scheintder 
Vergleich mit dem stark von seinen italienischen und 
deutschen Prototypen geprägten Relief von 1674 (Abb. 
17) und mit zwei noch unbekannten ausgesprochenen 
Alterswerken nahezulegen. 
Es sind dies zwei rückseitig am Sockel bzw. an derSäule 
signierte (Abb. 13a, 14a), 13,3 bzw. 13,4 cm hohe Elfen- 
beingrüppchen des Ecce Homo (Abb. 13) und des Chri- 
stus vor der Geißelsaule (Abb. 14) in den Musees Roy- 
aux d'Art et d'Histoire, Brüssel." Die Geißelungs- 
gruppe ist bezeichnetrrVH AET(alles in Ligatur) . 85a, die 
des Ecce Homo v1 716. VH. AET. (in Ligatur) . 85a. 
Das angegebene Lebensalter von 85 Jahren entsprä- 
che derAngabe vom 31. Juli 1715 irn Ulmer Ratsproto- 
koltabernichtdem Geburtsjahr, wenndieses1632war. 
als Hurdter am 15. Juni getauft wurde. Entweder Hurd- 
terwurdeschon 1631 geboren oderersignierteim noch 
laufenden 85. Lebensjahr. In jedem Fall sind die matt 
wirkenden Figuren auffallend summarisch und einfach 
behandelt, entbehren jedoch nicht einer gewissen Ein- 
dringlichkeil im Ausdruck. Die Formen der Gewänder 
z. B. sind wie Haltung und Gestik von großer Beschei- 
denheit - etwa im Vergleich mit der Taulgruppe von 
1668l69 (Abb. 3), dem Relief in Baltimore (Abb. 2) oder 
auch dem Nürnberger Gekreuzigten (Abb. 12). 
Ein in allerjüngster Zeit im Londoner Kunsthandel auf- 
getauchtes Elfenbeinrelief der Grablegung Christig", of- 
fenbar nach italienischen Vorlagen des 16. Jahrhun- 
derts, könnte ähnlich wie eine hochlormatige Geiße- 
lungsszene, 1978 in Londonm, von ulmischen Voraus- 
setzungen in der Art der zwei Brüsseler Gruppen und 
der Kreuzabnahme(Abb. 13 l., 2) ausgegangen sein. - 
Es wäre sicher hochinteressant zu wissen, wie ein von 
G.K. Nagler 1863 beschriebenes nSChÖflES kleines 
Schnitzwerk. welches Christus vorstellt. wie ihm die 
Mütterdie Kinderbringen.underdieHandautden Säug- 
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