Hans Koepf
Problematik und legistische
Schwierigkeiten bei der
Wiedergewinnung
wertvoller historischer
Bausubstanz im Bereich
der Salzburger Altstadt
Grundsatzfragen
Wie alles im Leben ist die Stadt einem dauern-
den Wandel unterworfen. Bei ihrer Entstehung
oder Gründung, die nie zufällig und willkürlich
geschah, sondern fast immer topographischen,
geschichtlichen oder wirtschaftlichen Notwendig-
keiten entsprach, waren gewisse Charakteristika
zwar oft für Generationen vorgezeichnet. Sie
sind deshalb auch bis auf den heutigen Tag er-
halten geblieben. Andere Erscheinungen - vor
allem die „Nutztbauten" einer Stadt - haben sich
dagegen gewandelt, und dies sogar oft mehr-
fach im Laufe der Geschichte. Dies ist nur natür-
lich, haben sich doch die Lebensgewohnheiten,
die man oft ganz charakteristisch unter dem Be-
griff „Lebensstil" zusammenfaßt, ebenso gewan-
delt wie der Stil der Zeit selbst.
Als genutzte Architektur sind die Wohnbauten
am stärksten den veränderten Anforderungen
der Zeit und somit dauerndem Wandel unter-
worfen. Wohnbauten sind aber auch die am
stärksten genutzten und somit abgenutzten Bau-
ten einer Stadt. Die „Abnutzung" wird sich am
Ende auch in rein technischem Zerfall bemerk-
bar machen, wobei ober hier nicht allein der
„natürliche" Zerfall diagnostiziert werden kann,
sondern oft auch ein Zerfall vorliegt, der nur
durch menschliches Fehlverhalten, jahrelangen
„Raubbau" oder unsachgemäße Umbauten her-
vorgerufen wurde. Es ist einleuchtend, daß man
ein relativ bescheidenes Altstadthaus, in dem
ursprünglich nur eine „Großfamilie" wohnte,
nicht im Laufe weniger Jahrzehnte in ein Domi-
zil für zehn Familien umgestalten kann, ohne
daß der Wohnwert, aber auch die technische
Substanz schweren Schaden leiden. Dies ist
aber häufig geschehen.
Grundsätzlich wird immer angenommen, jeder
Umbau erhöhe den Gebrauchswert eines Ge-
bäudes. Nach dem oben Gesagten ist aber oft
genau das Gegenteil der Fall, was ia auch der
8
l Salzburg - Haus Kranzlmarkt 3. (An der West-
seite zeichnet sich unter Putz teilweise noch der
alle Zinnenkranz ab.)
2 Salzburg - Kranzlmarkt 3. Wiederherstellungs-
Vorschlag Koepf
3 Regensburg - Haus ln der Grieben 8. Dreifen-
stergruppen unter Entlastungsbogen (das linke
Fenster teilweise verbaut). Ähnlich war ursprüng-
lich die Dreifenstergruppe an der Nordseite des
Hauses Kranzlmarkt3 in Salzburg
Begriff „verbout" schon sprachlich eindeutig aus-
sagt. Daß aber eine „verbaute" Substanz auch
formal unschön ist, braucht nicht näher belegt
zu werden. So besteht die ebenso einfache wie
klassische Methode einer Sanierung meist darin,
wieder den ursprünglichen Bestand herauszu-
arbeiten und diesen dann einer neuen soch- und
zeitgerechten Nutzung zuzuführen. „Der Bau re-
stauriert sich selbst", pflegte der bekannte
Schweizer Denkmalpfleger Linus Birchler etwas
überspitzt zu sagen '.
Natürlich ist dabei Voraussetzung, daß die spä-
teren Einbauten oder Veränderungen selbst wie-
der keinen eigenen stilistischen Rang haben. In
der Denkmalpflege ist die Zeit der „Stilrenova-
tionen" der Epoche des Historismus, in der man
Barackaltäre in gotischen Kirchen durch neo-
gotische Schreine ersetzte, glücklicherweise über-
wunden. Eine weitere Voraussetzung ist, daB der
Altbestand absolut sidter nachweisbar und zu
großen Teilen noch im Bau an Ort und Stelle
(„in situ") vorhanden ist.
Die Salzburger Problematik
Bisher hat man angenommen, daß die Salz-
burger Bürgerhäuser auch in ihrer Grundsub-
stanz kaum mehr beachtenswerte Räume oder
Bauteile aus mittelalterlicher Zeit aufwiesen, ob-
wohl doch der Grundbestand der Salzburger
Bürgerstadt um Getreidegasse, Kranzlmarkt, Ju-
den-, Gold- und Brodgasse ohne Zweifel auf die
Zeit vor dem 16. Jahrhundert zurückgeht. Dabei
entdeckte bereits in der Zeit nach 1920 der ver-
dienstvolle Stadtbaumeister Franz Wagner an
einigen Salzburger Bürgerhätusern gotische Fen-
sterwände, die in einer Zeit, als es nach kein
Salzburger Altstadterhaltungsgesetz gab, auf-
gedeckt werden konnten und sogar sichtbar blei-
ben durften. Heute steht aber eine auf Grund
des Altstadterhaltungsgesetzes gebildete Sach-
verständigenkommission, deren Vorsitz ex lege
der Landesbaudirektor innehat, auf dem Stand-
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ü
7 NORDSEITE
punkt, daß eine Freilegung gotischer Bül
stanz eine „Störung des Stadtbildes" bedeute
Bauanalyse zweier bemerkenswert
Salzburger Altstadthäuser
Diese Problematik möge als eine weit über l
burgs Grenzen hinaus interessierende Grund
frage am Beispiel von einigen Salzburger
stadthöusern angeschnitten werden: Dem O
Kranzlmarkt 3 und dem Baublock Brodgasst
Alter Markt BIResidenzpIatz 2.
Genaue Beschreibungen und Bauanalysen d
Objekte, die den Rahmen dieser Untersuc
sprengen würden, sind bereits an anderer St
gegeben worden. Die zur Diskussion stehe
Objekte sind für zwei Epochen wie für
wichtige Bauträger des hohen und späten M
alters ganz besonders signifikant;
Das Objekt am Kranzlmarkt für die Salzbi
Ratsherren und Bürgermeister aus dem s;
14. Jahrhundert und der Baukomplex am ß
Markt für die Hofchargen der Fürstbischöfc
dem frühen "I6. Jahrhundert.
Stadtebaulich war die Stellung dieser be
Objekte besonders markant:
Das „Bürgermeisterhaus" stand neben dem
haus unmittelbar an der Salzach und bei
(früheren) Salzachbrücke,
das „Hofchargenhaus" unmittelbar gegen
dem (früher nach Norden zur Stadt gerichte
Hauptflügel der Residenz am äußersten
winkel der Bürgerstadt.
Das „Bürgermeisterhaus" (später nach s:
Besitzern im "I9. Jahrhundert auch „Duschl-H
genannt) stand unmittelbar neben dem „Ch
turm", dem Wohnhaus einer Familie Cheuz
einem turmöhnlichen Eckbaukörper, der l
noch im Rathausturm zu erkennen ist. B:
auf der Darstellung in „Schedels Weltchrr
aus dem Jahr 1493 ist dieser Turm als Vt
zeichen der Stadt deutlich zu erkennen.