Schwanzer
:hitektur von heute -
udenkmäler
1 morgen?
Bestreben unserer Zeit, Baudenkmäler als
rische Monumente zu würdigen, diese zu er-
n, zu pflegen und auch zu revitalisieren,
ieden im Heute lebenden Architekten pri-
erfreuen. Die Anregungen, die von diesen
nissen früherer Bauepochen an uns weiter-
ben wurden, waren und sind immer Vorbil-
ür die Aufgabenstellung der Gestaltung un-
Zeit. Das Erkennen historischer Schönheit
ir die Bewußtmachung der gestalterischen
e der Architektur auch für Gegenwarts-
aben von eminenter Bedeutung. Die Formu-
ig der Bauprogramme als Ausgangspunkt
Architektur kann so neue Aspekte erhalten.
Vorwurf an die Architekten, in der Gegen-
monotone, phantasielose Bauten zu errich-
'eflektiert doch auch auf den Auftraggeber,
auswechselbare, neutrale, typisierte Archi-
r verlangt und sozioökonomische Faktoren
den Begriff der Funktion mit dem Aspekt
slutzungsrelevanz mit optimaler Sparsamkeit
ndet. Bauen als ausschließlich ökonomisch
ündeter Zweck läßt den irrationalen Auf-
der Architektur degenerieren.
Jos Verständnis der für das Bauen öffent-
Verantwortlichen sind die technisch-wirt-
itlichen Faktoren im allgemeinen allein so
zeugend, daß das bauauslösende Argument
. bestimmten Nutzungsbedürfnisses die Bau-
ramme noch immer vorrangig beherrscht.
schaftlichkeitsnachweise entscheiden zuerst,
die Gestaltung wird von vornherein zum
teuernden" gestempelt und zum „Einsparen"
mmt. Was man Gebäuden von gestern zu-
it und gesetzlich schützt, wird dem Architek-
ler Gegenwart nicht mehr zur Aufgabe ge-
. Im Gegenteil, häufig muß die formale Ge-
mg eines Baues vom Architekten dem Bau-
l mühsam abgerungen werden. Dafi die
nheit unserer alten Bausubstanz als unwie-
ringlicher Wert im „Denkmalschutz]ahr" all-
ain bewußt gemacht wird, kann uns Archi-
n von heute nur recht sein. Der gesteigerte
sch zum Wiederbewohnbarmachen alter
tviertel und Gebäude geht allerdings oft
ur kritiklosen Verherrlichung des „Alten" an
ohne daß tatsächlich die heute geforderten
nqualitäten in den zu schützenden Objekten
äkonomischen Kosten erbracht werden kön-
Dies weist auf ein neues, starkes, emotio-
s Verlangen der Gesellschaft hin. Auf ein-
tritt die Bedeutung der Funktion und des
zens", iene Begriffe, die unsere heutigen
iufgaben gesellschaftspolitisch vorrangig be-
chen, zurück, wenn es um das Bewahren
rischer Bauwerke geht. Die Bemühungen
n sogar so weit, neue Nutzungsbegründun-
zu suchen und diesen alten Gemäuern ein-
dnen, um auch Verantwortlichkeit für die
ltungskosten zu schaffen. Plötzlich bestimmt
re Umwelt von vorgestern unser ietziges
n - ohne Rücksicht auf Kosten, die ihre Re-
arung und Erhaltung erfordert - entschei-
l mit.
r Politiker erhält Beifall von links und rechts,
i er sich für die Erhaltung alter, liebgewor-
ir Umgebung einsetzt. Viel schwieriger ist es
ch, Verständnis für die „Form" in der Ge-
vartsarchitektur zu gewinnen. Besonders in
ischen Kerngebieten ist die Unsicherheit,
arungen zuzulassen, groß. Immer sall Neues,
i überhaupt zugelassen, möglichst unauf-
fällig und untergeordnet angepaßt werden. Der
Architekt von heute soll geistig in Gehrock und
Schnallenschuhe schlüpfen, fünf bis zehn Fas-
sadenentwürfe entwickeln, die dann durch „Ko-
mitees" kritisiert und ausgewählt werden. Da-
mit ist für die architektonische Lösung letztlich
eine anonyme Gruppe verantwortlich. Der ur-
sprüngliche, persönliche Entwurf des Architekten
wurde verwässert und entkräftet. Wir laufen
Gefahr, daß ängstliche Frustration im kreativen
Schaffen, in der Formensprache und im Gestal-
ten Platz greift und die Identität der Leistung in
die Anonymität, d. h. in die Verantwortungs-
losigkeit, gedrängt wird. Welche Aussagekraft
kann dann unsere Zeit noch haben? Was wird
von ihr übrigbleiben? Karge Monotonie in Beton
oder neuer Eklektizismus?
Wir Architekten von heute können doch der Mu-
mifizierung unserer Städte nicht tatenlos zu-
sehen. Wir müssen uns doch unseres Auftrages
als Baukünstler des „Heute" bewußt sein. Wir
brauchen den „Denkmalschutz" generell als Mo-
bilisation des Bewußtmachens der Bougestaltung
als „historische" Aufgabe „unsererZeit", um eine
Krise der ldeenlasigkeit und des persönlichen
Mutes zu überwinden und der lnitiative zur
„Form" in der Gestaltung freie Bahn zu öffnen.
Die Furcht vor der Spitzhacke, die Unwertes zer-
stört, um Neuem Platz zu machen, muß dem Ver-
trauen zum Können unserer Gegenwartsarchi-
tekten weichen. Diese haben ein Recht, Zeugnisse
vom Heute für das Morgen zu schaffen, die ge-
nauso aussagekräftig sind wie die Beispiele der
Vergangenheit. Jede Epoche hat auch Substanz
geopfert, um Neues entstehen zu lassen. Die
Sehnsucht nach Schönheit darf nicht nur mit
Altem, Bewährtem gesättigt werden. Der Begriff
ihres Wertes ist zeitungebunden. Die Sehnsucht
nach Schönheit ist uns allen angeboren und ist
Ausdruck eines undefinierboren ästhetischen Ver-
langens. Architektur ist primär als Ausformung
eines Hohlraumes, der uns umgibt, zu sehen;
eines Raumes, den der schöpferische Mensch
nicht nur zu seinem physischen Schutz, sondern
auch aus emotionellen Gründen rings um den
eigenen Körper als Gestalt aufbaut. Mit diesem
Gebilde berührt er seinen Mitmenschen geistig
und formal. Seine über die Architektur ausge-
strahlte Mitteilung über Inhalt und Wollen sei-
ner Persönlichkeit bereichert oder reduziert die
Qualität unseres gemeinsamen Lebens. Identifi-
katian, Erkennbarkeit, Unterscheidung und Un-
verwechselbarkeit, „Schönheit" sind Eigenschaften
einer Architektur, die mehr als nur rationalen
Bedingungen gehorcht. Der Griff in die Bei-
spielsammlung der Vergangenheit und die Nach-
ahmung von vergangenem Gestaltungsgut in der
Gegenwartsaussage ist kein Ausweg. Leben
heißt, in die Zukunft schreiten. Daher muß die
Sorge um den Denkmalschutz sich auch um das
Margen bemühen, vor allem durch Schaffung
von Vertrauen in die Kraft der Künstler von
heute.
Die Jugend braucht neue Ziele und muß zu Lei-
stungen herausgefordert werden. Denkmalschutz
darf nicht zur Ausrede der Ratlosigkeit und der
Erschöpfung vor neuem Handeln werden. Wenn
die Flucht in die Revitalisierung alter Werte
Ausdruck eines Minderwertigkeitskomplexes ge-
genwärtiger Kreativität ist, so zeigt dies ein
alormierendes Schwächezeichen unserer Epoche.
Zu den Funktions- und Rationalisierungshyper-
trophien ökonomischer Zielbestimmungen in den
Bauprogrammen der Gegenwart steht die emo-
tionstriefende Bewahrung von Altem zum Schutz
wohlererbter, gewohnter, mit Respekt als heil
festgestellter Werte, ohne einer der heutigen
Zeit mehr entsprechenden ökonomischen Brauch-
barkeit im krassen Gegensatz gegenüber. Nichts
könnte deutlicher die kulturelle Schwäche unse-
rer Zeit manifestieren als diese Diskrepanz. Wo
sind die Bauaufgaben von kulturellen, staatli-
chen oder privaten Bauten mit eindeutigen for-
malen Forderungen? Gute Architektur hat einen
bestimmenden emotionellen Gehalt, der die ver-
standesmäßig nicht immer faßbare, umgreifende,
von einer bestimmten Welteinstellung herrüh-
rende, eine bestimmte Lebensform ankündigen-
de Stimmung wiedergibt. Diese Aussage an die
Benützer von Bauwerken zu übermitteln, kann
nur durch den Einsatz eines entsprechenden
Formpotentials gelingen. Der Zwang zur Form
ist ein menschliches Bedürfnis, Botschaften zu
geben und zu empfangen, die anders als durch
Formen unzureichend oder überhaupt nicht mit-
geteilt werden können. Da wir alle vorwiegend
durch Sprache gewohnt sind, miteinander zu
kommunizieren, bereitet uns die Weitergabe
von „Unaussprechlichem" Schwierigkeiten. Die
Musikist ein überzeugendes Beispiel für ein nicht-
sprachliches Kommunikationssystem. Analog da-
zu ist Architektur in der Lage ' Unaussprechliches
durch Artikulation des Rauriifs und der Gestalt
auszudrücken. Empfindunger werden ausgelöst,
die verbal nur schwer zu übermitteln sind. Ar-
chitektur als stummes Kommunikationsmittel
kann ihre Mitteilungsfähigkcit nur dann behal-
ten oder noch erweitern, VtEDfl sie als Mittel
ständig gebraucht wird. Auf Architektur in ihrer
ursprünglichen Bedeutung zu verzichten und nur
zu „bauen", würde im Begriff der Sprache be-
deuten, daß wir darauf verzichten, sie auch
poetisch zu gebrauchen. Wer gegen die Ver-
armung unserer Existenz eintritt, muß nicht nur
für die Erhaltung von architektonischen Werten
der Vergangenheit, sondern auch für deren Ent-
wicklung in der Gegenwart eintreten, will er
nicht der heutigen Zeit ihre Lebensäußerung ab-
sprechen. Bauen darf nicht nur zur Befriedigung
der Minimalbedürfnisse und des Nutzens in er-
ster Linie führen, sondern mufi in der Verantwor-
tung gegenüber unserer Epoche zur Schaffung
künstlerischen Erbes von übermorgen wiederent-
deckt werden. Wir dürfen nicht in die Vergan-
genheit blicken, um uns der Verantwortung zur
Äußerung in der Gegenwart zu entziehen. Die
Angst der Auftraggeber, dem Können unserer
Zeit freien Ausdruck zu lassen, muß dem Animo
zu künstlerischer Beflügelung unserer Architek-
ten weichen. Gerade im Denkmalschutziahr soll
uns dies bewußt werden.
Die Prosperität der Gegenwart sollte fähig sein,
die Kräfte zu mobilisiern und zu animieren, die
notwendig sind, dem letzten Viertel des zwan-
zigsten Jahrhunderts eine eigene, ihm adäquate
Prägung zu ermöglichen. Dafür muß auch das
Bemühen, Altes zu schützen, noch Kraft erübri-
gen, sonst ist auch dieses vergebens, denn es
wäre ohne Fortsetzung.
Et Unser Autor;
Architekt Prof. Dr. Karl Schwanzer
Seilergasse 16 i
1010 Wien