LEISCHING
vxtfälxrlzzlngen
4.
Im März 1903 flatterte nun in Paris
die Fälsehungsaifäre auf, wodurch
wir völlig gerechtfertigt wurden,
wenn wir einer Entschuldigung be-
durft hätten. Aber auch die Auf-
deckung des Sehwindels war in
Paris mit einer Fülle von unhaltbaren
Behauptungen verbunden. So be-
zichtigte sich aus falschem Ehrgeiz
zunächst der Maler Elina (der eigent-
lich Mayence hieß), daß er den Ent-
wurf zur „Tiara" angefertigt habe,
die er aber sonderbarerweise als
„goldene Krone der Semiramis"
bezeichnete. Später behauptete er im
„Matin", das Gipsmodell der „Tiara"
für einen bekannten Pariser Sammler
hergestellt, aber als nach diesem
Modell das Werk vergessen und als
Fund von Olbia ausgegeben worden
sei, eingesehen habe, unbewußt einem
Fälscher aufgesessen zu sein. Vor
dem Untersuchungsrichter erzählte
Elina, der es mit der Wahrheit nicht
genau nahm, der Sammler Sp. habe
die Goldkrone bei ihm bestellt; 1888
sei in der Rue de Norvins eine
Antiquitätenfabrik gegründet wor-
den, deren Hauptmitarbeiter er wur-
de. In dieser Eigenschaft habe er von
jenem Sammler Zeichnungen und
den Auftrag erhalten, die „Tiara"
mit Hilfe eines Goldschmieds anzu-
fertigen. Sie habe ein Gewicht von
458 g gehabt und sei mit 4500 Frcs.(l)
bezahlt worden. An einer bestimmten
Stelle habe er eine Lötung „nach
moderner Art" vorgenommen und
auf dem Beine einer ziselierten Figur
mit unauslöschlicher Tinte einen
Strich angebracht. Sehr erstaunt sei
er gewesen, bei der Auktion jener
Sammlung die Krone nicht gesehen
zu haben. Später will er von den
Funden in Olbia gehört haben, zu
deren Prüfung von Alphonse Rotb-
schild eine Expedition nach der Krim
entsendet wurde, wobei die Krone
zutage gekommen sei; sein in Paris
angefettigtes Werk sei also vorher
durch jenen Besteller nach der Krim
geschickt und von dort als altes
Kunstwerk nach Paris zurückgebracht
worden. Dieser Elina war jedenfalls
ein ruhmsüchtiger Schwätzer, der auf
jede Gefahr hin von sich reden
machen wollte; die Pariser Archäo-
logen erklärten seine Behauptungen
für einen „Montmartre-Scherz", und
während die einen weiterhin an die
Echtheit der „Tiara" glaubten, wur-
den andere doch allmählich zweifelnd,
nachdem der russische Gelehrte Stern
auf dem Rigaer Museumskongreß die
Unechtheit überzeugend behauptet
und die Goldschmiede und Ziseleurc
Hoehmann und Rouchoumowsky als
vermutliche Verfertiger genannt hat-
te. Ganz Paris interessierte sich nun
leidenschaftlich für die Sache, und
immer neue Mitteilungen darüber
tauchten auf; für die Zeitungen war
es eine Sensation ersten Ranges. Es
wurden unter anderem Abbildungen
aus dem Werke „Galerie mytholo-
gique" von Millin hervorgeholt,
welche als Vorlagen gedient haben
sollen. Der Archäologe Salomon
Reinach wurde als Wortführer jener
Gruppe von Kunstfreunden ange-
nagelr, welche die Direktion des
Louvre zum Ankauf der „Tiara"
bestimmt hatten, während sein Bruder
Theodor Reinach zwar auch weiter-
hin für die Echtheit des umstrittenen
Werkes eintrat, aber immerhin auf
das Vorhandensein von Fälscher-
werkstätten in Paris wie auch in
Athen, Neapel und insbesondere in
Südrußland hinwies. Es kam hervor,
daß der Wiener Geleitsmann jener
bei uns erschienenen Russen nach
ihrer Ankunft in Paris (durch
Laferriere) an den Präsidenten des
Staatsrates und von diesem an
Villefosse empfohlen worden war,
welcher die „Tiara" dem Conseil
der Conservatoren mit der auch von
den Kustoden Portier und Migeon
befürworteten Echtheitsetklärung
vorgelegt hatte, von denen mit Zu-
stimmung des Unterrichtsministers
(Combes?) der Ankauf um 100.000
Francs (l) beschlossen wurde; Theo-
dor Reinach und Corroyer (.3) hatten
das Geld vorgestreckt. Nun aber
erklärte ein Goldschmied namens
Lifschitz, welcher lange in Odessa
gelebt hatte, irn „Matin", daß er
das Entstehen der Arbeit um 1895
bei dem russischen Ziseleur Rouchou-
mowsky und auch dessen Vorlagen
oft gesehen habe. Im März 1909 trat
auch die in Paris lebende, mit
Rouehoumowsky befreundete Pia-
nistin Nageborg-Malkine für dessen
Autorschaft und seine ehrliche Arbeit
ein, worauf Villefosse sich bereit
erklärte, den Fall neuerlich zu prüfen,
und der Unterrichtsminister Chaumie
den Conservator ermächtigte, gege-
benenfalls die „Tiara" einstweilig
aus den Sammlungen zu entfernen,
wo sie in der „Galerie d'Apollon"
auf einem Ehrenplatz aufgestellt
war und große Massen von Be-
sichtigern anzog.
Nun gingen in Paris die Ereignisse
ihren raschen Lauf. Nach der Ent-
fernung der „Tiar-a" aus dem Aus-
stellungssaale ordnete der Unter-
richtsminister die sofortige Einleitung
einer wissenschaftlichen und straf-
rechtlichen Untersuchung an. Zu-
nächst wurden der Goldarbeitcr Lif-
schitz und Mme. Malkine ver-
nommen, deren Erklärungen die
Wendung hervorgerufen hatten.
Auch die Berufung Rouchoumow-
skys aus Odessa nach Paris wurde
erwogen, um festzustellen, aus wel-
chem Grunde er inzwischen erklärt
habe, daß er keine Antiquitäten
herstelle, und gegen einen Artikel
des Professors v. Stern in der „Revue
philosopbique" aufgetreten sei. Seine
Pariser Freunde behaupteten, daß er
diese Ableugnung für nötig erachtet
habe, um seine Belangung durch die
russischen Gerichte zu verhindern,
zumal einer der Brüder Hochmann
(das waren die in Wien und Paris
erschienenen Russen) verhaftet wor-
den sei. Wieviel in dieser Sache
gelogen wurde, ging daraus hervor,
daß dem „Matin" im Zusammenhang
mit jenen Äußerungen die Nachricht
zukam, Direktor Murray vom British
Museum habe erklärt, das von
Hochmann erfolgte briefliche An-
gebot der „Tiarz-i" abgelehnt zu
haben, weil ihm bekannt gewesen
sei, daß dieser Russe Handel mit
falschen Antiquitäten treibe. Eine
solche Antwort auf ein schriftliches
Angebot wird ein Museumsdirektor
natürlich nic geben, und sie war ja
auch durch den Wortlaut des an uns
gekommenen Londoner Telegramms
widerlegt, das nie hätte einlaufen
können, wenn die „Tiara" dort
nicht vorgewiesen worden wäre.
Daß Hochmann oft in London war,
ging daraus hervor, daß er gleich-
zeitig oder etwas später dem Lon-
doner Juwelier Spink eine Menge
Antiquitäten abgab, welche dieser
zu enormen Preisen an Pierpont-
Morgan verkaufte und die von dem
amerikanischen Mäzen dem Metro-
politan-Museum geschenkt wurden,
das aber in große Verlegenheit
geriet, weil alle Stücke als Fäl-
schungen erkannt wurden. Übrigens
verwies im Laufe der internationalen
Auseinandersetzungen Murray auch
darauf, daß der im Zusammenhang
mit der Affäre genannte Pariser
Sammler Sp., als die „Tiara" aus
Rußland angeboten wurde, nicht
mehr am Leben gewesen sei; Elina
habe auch in diesem Punkte die
Unwahrheit gesagt. Die Pariser
Blätter fügten dieser Nachricht bei,
daß E. aus Paris verschwunden sei.
Bald aber tauchte er wieder auf und
gestand, daß er geilunkert habe. Nun
aber kam doch das Zugeständnis
Rouchoumowskys, daß er, wie der
„Figaro" meldete, die „Tiar-a" auf
Bestellung eines Herrn aus Kertsch
(am Asow'schen Meer) gemacht habe
und bereit sei, für 1200 Frcs. Reise-
geld nach Paris zu kommen, um den
Beweis seiner Autorschaft zu er-
bringen. Salomon Reinach verharrte
zwar auf seiner Meinung von der
Echtheit des Stückes, erklärte sich
aber dafür, R. zum Beweise seiner
Behauptung kommen zu lassen.
Gleichzeitig meldete die Berliner
„Morgenzeitung" aus Odessa, der
nach Paris gereiste R. sei als „schuld-
loscr Urheber" der Krone ermittelt
und habe eine Schilderung seines
Ateliers und der hohen Kunst-
fertigkeit seiner mit ihm arbeitenden
Kinder gegeben. Eines seiner Haupt-
werke war, außer der von dem
Otschakower Kunstspekulanten
Hochmann bei ihm bestellten „Kro-
ne", deren Bestimmung er nicht
erfuhr und deren lnschriften von
einem genialen, herabgekommenen
russischen Gelehrten geliefert wurden,
ein silberner Sarkophag mit einem
Relief: „Zug des Todes". Aus Paris
wurde später gemeldet, der vom
Unterrichtsminister ernannte wissen-
schaftliehe Untersuchungsrichtcr,
Professor Clermont-Ganneau, er-
klärte, daß an der Autorschaft
Rouchoumowskys nicht mehr Zu
zweifeln Sei. (wird forrgexelzt)
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