Dr. Adolf Lieben.
io
Kerzenfabrik (Liefing bei Wien) ausgeftellten feilen Glycerins, das man bis vor
Kurzem nur als Flüffigkeit kannte und das wahrlcheinlich nie früher in gleicher
Reinheit erhalten worden ilt. Anfang 1867 wurde zum elften Male die zufällige
Beobachtung gemacht (Crookes, Gladftone, Sarg), dafs Glycerin bei ftarker
Kälte kryftallifiren könne; Werner gab fpäter an, es fei ihm gelungen, durch
Einleiten von etwas Chlor in Glycerin und nachheriges längeres Ausfetzen an
die Kälte das Glycerin zum Kryftallifiren zu bringen, endlich 1871 nahm Kraut
ein Patent auf Reinigung des Glycerins durch Kryftallifation. Es mag wohl nur an
einem Gehalt des Glycerins an Waffer, vielleicht auch noch an anderen Verun
reinigungen gelegen haben, wenn an diefem fo lang bekannten Körper die Eigen
fchaft, ftarre Aggregatform annehmen zu können, unbekannt geblieben war. Künftig
wird beim Glycerin, ähnlich wie beim Phenol (Carbolfäure) oder beim Eiseffig
die ftarre Aggregatform bei Temperaturen unter circa 15 Grad als Beweis befon-
derer Reinheit betrachtet werden dürfen.
Auch das Dynamit darf als eine 1867 von A. Nobel gemachte Erfindung
hier erwähnt werden. Dynamit ift nichts Anderes als in poröfer Kiefelerde
(Kiefelguhr) aufgefaugtes Glycerin-Trinitrat (Nitroglycerin, Sprengöl) und ver
dankt feine explodirenden Eigenfchaften ausfchliefslich dem letzteren Körper,
von dem es 75 Percent zu enthalten pflegt; es hat aber vor ihm aufser der beque
meren feflen Form, auch noch den viel wefentlicheren Vortheil voraus, dafs fein
Transport und feine Handhabung überhaupt weit gefahrlofer find. *
Es ift erfreulich neben dem Körper, der oft für Werke furchtbarer Zer*
ftörung angewandt wird, von einem anderen Körper fprechen zu können, der
Schmerzen lindert und den Leidenden das koftbare Gefchenk des Schlafes bringt.
Es ift diefs das in den letzten Jahren viel genannte Chloralhydrat, eine weifse,
kryftallinifche, in Waffer fehr leicht lösliche Subftanz von durchdringendem, aber
nicht widerwärtigem Gerüche, die in der chemifchen Abtheilung des deutfchen
Reiches in mehreren Vitrinen zu fehen war. Das Chloral, wie das Chloralhydrat
wurden von Liebig 1832 entdeckt und feine Zufammenfetzung durch D um as
mit Genauigkeit feftgeftellt, doch ift die Theorie feiner Entftehung felbft heute
noch nicht in allen Punkten aufgeklärt. Durch erfchöpfende, zuletzt durch Erwärmen
unterftützte Einwirkung von Chlor auf abfoluten Alkohol bildet fich eine von
felbft erftarrende weifse Subftanz (nachneueren Unterfuchungen Chloralalkoholat),
die beim Erwärmen mit Schwefelfäure Chloral liefert. Das Chloral ift flüffig,
befitzt aber die Eigenfchaft, fich mit einer gewiffen Menge Waffer (1 Molecül
Waffer auf ein Molecül Chloral) zu feftem kryftallinifchem Chloralhydrat zu
verbinden.
Im Jahre 1869 zeigte O. Liebreich, dafs diefer den Chemikern längft
bekannte, aber bis dahin nur gelegentlich zum Behufe theoretifch-chemifcher
Unterfuchungen in den Laboratorien dargeftellte Körper eine für die Heilkunde
trefflich zu verwerthende, Chloroform ähnliche Wirkung auf den Organismus aus
übt. Selbft kleine Mengen davon erzeugen beim innerlichen Gebrauch Schlaf und
durch Variation der Dofen hat man es in der Hand, entweder nur Hypnofe, oder
Hypnofe mit Anästhefie hervorzurufen. Liebreich erklärte die Wirkung des
Chioralhydrates, indem er unter Hinweis auf die bekannte Eigenfchaft desfelben,
in Berührung mit Alkalien Chloroform zu geben, annahm, dafs beim innerlichen
Gebrauch diefelbe Spaltung allmälig unter dem Einflüße des alkalifchen Blutes
erfolge, fo dafs fucceffive kleine Mengen Chloroform im Blute gebildet werden.
Daraus ergibt fich auch, dafs die Wirkung durch eine verhältnifsmäfsig lange
Zeit vorhält. Die Aclion des Chloralhydrates wäre fo auf die des Chloroforms,
das dabei in einer von der gewöhnlichen verfchiedenen Weife zur Wirkung kommt,
zurückgeführt. Diefe Anficht, wenn auch nicht ftreng bewiefen. ift jedenfalls
* Für die Auskeilung 1873 flehe Dr. W. F. Gintl Bericht über Gruppe III, Section 5
Zündwaaren und Exploflvftoffe. Die Redaction.