Das Bleiglas, eine englische Erfindung des 17. Jahrdts., ragt hervor durch seine Schwere und
Weichheit, absolute Durchsichtigkeit und den prachtvollen Glanz, der dann aufs Stärkste zur Gel
tung kommt, wenn durch Facettenschliff das Licht gebrochen wird. Auf diese Art werden Wirkun
gen erzielt, die vor Allem für das künstlerisch und athetisch (sic!, gemeint ist: ästhetisch) weniger
geschulte Publikum zweifellos sehr bestechend sind. Beweise hiefür finden sich in der gegenwärtig
im k. k. Oesterreichischen Museum stattfindenden Glas-Ausstellung (Objekte von Zahn, Schmid,
Harrach). Es sind hauptsächlich Dessertteller und Vasen, für Service kommt das Bleiglas weniger
in Betracht. Auch in Verbindung mit Überfang stellt sich das Bleiglas (vgl. die Ausstellungsobjekte
von Bakalowits) äusserst wirksam dar. Es ist eben ein ganz anderes Material als das Kaliglas, mit
eigenem Materialstile.
Ein Vergleich des Bleikristallglases mit dem Kalikristallglase, wie Lobmeyr, der altösterreichischen
Überlieferung getreu, es in seinen wundervollen, gegenwärtig von Hoffmann und Powolny so stark
beeinflusten, Formgebungen und scharfen Schliffen ausschließlich anwendet, lässt aber wol keinen
Zweifel darüber, dass auch nur eine wesentliche Einschränkung der Beschäftigung der geschulten
Glasschneider und -Kugler mit dem härteren, einzigartigen Kaliglase sehr beklagenswerte Folgen
haben würde. Ich muß nemlich auf Grund genauer Erhebungen darauf aufmerksam machen dass
ein Kaliglas-Arbeiter wol auch in Bleiglas arbeiten kann , ein Arbeiter der aber hauptsächlich
für das weichere Bleiglas geschult ist , schwer oder gar nicht zum Kristall- Kali-
Glase überzugehen in der Lage ist. Damit würden höchst wertvolle Fähigkeiten verkümmern oder
gar nicht mehr zur Entfaltung gelangen, und der heute ohnedies schon sehr verringerte Stand
technisch hervorragender, leistungsfähiger Glasschneider und Graveure würde sehr bald aus unse
rem Kunstleben verschwinden.
Ich bin jedoch nicht der Ansicht, dass man einer durch die wirtschaftlichen Verhältnisse bedingten,
angemessenen Erweiterung der Bleiglas-Erzeugung besondere Schwierigkeiten bereiten soll. Nur
vor Übertreibungen, die sich bitter rächen könnten, will ich warnen und verweise im Übrigen auf die
beiliegende kleine Ausstellungsschrift, in welcher ich betont habe dass es wichtig sei das Eine zu
tun und das Andere nicht zu lassen.
Hervorgehoben zu werden verdient dass jene österreichische Glasfabrik, welche vor Jahr und Tag
ganz zum Bleiglas übergegangen ist (Annatal) seit Langem steht; ferner dass nach Aussage einer
von mir befragten Fachmannes ein mittelgroßer Bleiglasofen so viel zu leisten im Stande ist, dass
ihm, um sich zu rentieren, Ware für 100.000 - 150.000 Kronen garantiert werden müßte. Es wäre
also zunächst zu erheben, welches Quantum an Bleiglas Seitens der Haida-Steinschönauer Raffi
neure unter Garantie von jener Hütte des Bezirkes bezogen würde, die sich auf diese Erzeugung
werfen sollte; erst dann kann man sagen ob dieser Vorgang rentabel oder ob es nicht empfehlens
wert wäre das Bleiglas aus einer hiefür bereits eingerichteten Hütte, die keiner Subvention be
dürfte, zu beziehen. Hiebei sei darauf aufmerksam gemacht dass das sogenannte Halbbleiglas, das
bei geringerer Hitze auf offenen Häfen herstellbar ist, gar nicht in Diskussion kommen kann.
Von größter Wichtigkeit ist die Beschaffung der entsprechenden Mengen von Minium zu mäßigen
Preise. Gegenwärtig dürften hier große Schwierigkeiten bestehen. Meines Wissens hat das Han
delsministerium die in dieser Sache Seitens des Ministeriums für öffentliche Arbeiten auf Grund
einer Anregung der in der Sitzung vom 29. April d. J. im k. k. Oesterreichischen Museum versam
melt gewesenen Glasindustriellen und Raffineure gestellte Anfrage noch gar nicht beantwortet.
Hievon hängt alles Weitere ab. Man kann nicht an eine Konkurrenzierung des Auslandes in Bleiglas
denken, wenn man Minium nicht in großen gesicherten Mengen zu ebensolchen oder billigeren
Preise erhalten kann, wie es den das Bleiglas seit Jahrzehnten verarbeitenden Auslandstaaten zu
gänglich ist.“
Der Verband der Nordböhmischen Glasindustriellen schrieb am 18. 5. 1915 an das k. k. Ministerium
für öffentliche Arbeiten:
„Eine übermächtige Konkurrenz in geschliffenen und gekugelten Schmuck- und Service-Gläsern,
sowie in Gläsern für Beleuchtungskörper der Steinschönau-Haidaer kunstgewerblichen Glasindu
strie ist bisher die der französischen und belgischen Glasindustrie in Baccarat und Val. St. Lam
bert, fast der gesamten reichsdeutschen und amerikanischen, sowie auch der englischen und
schwedischen, sowie norwegischen Firmen gewesen. Der schwerwiegendste Grund hiefür liegt in
der ausschließlichen Verwendung von Bleiglas in der ausländischen und der Verwendung von Ka
liglas in der heimischen Glasindustrie. Das Bleiglas ist schwer, klarer, klangvoller und hat vor allem
die hervorragende Eigenschaft, in den prismatisch geformten Schnitten das Licht in den Regenbo
genfarben zu brechen, welche Farbwirkung im Gegensatz zu den weiß oder farblos dunkel erschei
nenden Stellen dem fertigen Produkt einen ungemein erfreuenden Reiz gibt. Dem hier gebrauchten
Kaliglas, das schon im Gegensatz zum Bleiglas durch sein spezifisches leichtes Gewicht auffällt,
fehlen diese Eigenschaften fast vollständig; noch dazu färbt es sich im Lichte stehend nach weni
gen Jahren licht gelblichbraun und verliert so seinen Wert. Nach diesen Feststellungen erscheint
es klar, daß eine Konkurrenz mit dem Auslande immer schwieriger werden wird, ja die hiesige Indu-
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