EINLEITUNG
Die Qualität des österreichischen Kunstglases aus den ersten Jahrzehnten des zwan
zigsten Jahrhunderts ist in künstlerischer und technischer Hinsicht unbestritten. Dafür
waren mehrere Faktoren und Konstellationen maßgebend, nicht zuletzt das enge Zu
sammenwirken der böhmischen Glasproduzenten mit den künstlerischen Kräften im
ganzen Land, besonders in Wien. Die Tätigkeit der „Glasverleger“ (E. Bakalowits Söhne
und J. & L. Lobmeyr, Wien) bildete die Klammer für die regional getrennten Bereiche,
unterstützt durch den hohen Ausbildungsstand einschlägiger Kunstgewerbeschulen
(Wien und Prag) sowie der Fachschulen für die Glasindustrie (Haida und Steinschönau).
Wiewohl bedeutende Glashütten auch außerhalb Nordböhmens zum besonderen Ruf
des österreichischen Kunstglases wesentlich beitrugen (als wohl berühmtestes Beispiel
sei hier Joh. Lötz Witwe in Klostermühle bei Unterreichenstein genannt), konzentrierten
sich Glasproduktion und -Veredlung auf den Haida-Steinschönauer Bezirk. Über das
„böhmische Schleiferland“ wissen zeitgenössische Autoren (Lode-Schwiedland 1907,
S. 377-344) anschaulich zu berichten:
„Die Glashütten, welche Rohglas hersteilen, sind über verschiedene Bezirke Böhmens
verstreut. Die Veredlung ihrer Erzeugnisse ist dagegen lokalisiert: die Hohlglasraffinerie
liegt geschlossen in der Gegend um Haida, die Kurzwarenerzeugung aus Glas in jener
von Gablonz.
Die Handelszentren im Haida-Steinschönauer Bezirke sind die Städtchen Haida
(3200 Einwohner) und Steinschönau (5200 Einwohner). Um diese Orte herum gruppie
ren sich im Kreise etwa zwanzig Ortschaften, in denen die von Verlegern abhängigen
Schleifer, Kugler, Einbohrer, Graveure, Ätzer, Maler, Versilberer, Gürtler, Holzschnitzer
und Glasmanschettenerzeuger, zum Teile nach Orten geschieden, hausen. Zunächst
übernehmen die Schleifer die rohen Glasstücke vom Verleger und liefern sie bearbeitet
zur Prüfung und Verrechnung an ihn zurück oder, wenn ihre Vollendung sehr dringt, un
mittelbar an andere verlegte Arbeiter weiter: an Graveure, Ätzer, Maler, Versilberer
usw., durch deren Mitwirkung die Jahrmarkts-, sowie die besseren Erzeugnisse der
Haida-Steinschönauer .Glasindustrie' entstehen ... In Haida, dessen schmucke Häus
chen Wohlhabenheit verraten, dürften 30 Glasverleger bestehen. Manche beschäftigen
im Handelsbetriebe bloß Familienangehörige, andere dagegen eine große Zahl von kauf
männischem und Magazinspersonal... Im nahen Steinschönau bestehen 26 Verleger,
etwa ebensoviele in den sonstigen umliegenden Orten ... Die Gesamtzahl der von den
(etwa 90) Verlegern abhängigen Arbeiter sämtlicher Glasveredlungsgewerbe im Bezirke
wird auf 3800 geschätzt.
Etwa 250 Schleiferbetriebe gruppieren sich vorwiegend in den Orten Nieder- und Ober-
Preschkau, Hillemühl, Röhrsdorf, Morgenthau und Langenau, entlang von Wasserläufen,
deren Betriebskraft sie nutzen. Im ganzen dürften sich der Schleiferei gegen 450 Perso
nen widmen, wozu etwa 130 Trägerinnen kommen ..
Heinrich Strehblow, langjähriger Direktor der Fachschule von Haida, berichtet im Jahre
1927 (Strehblow 1927, S. 8-11):
„Die allererste Entwicklung der Verzierung von Glasgefässen in Nordböhmen, im heuti
gen Glasindustriegebiete der Städte Haida und Steinschönau reicht wohl bis ins sech
zehnte Jahrhundert zurück; aber erst im siebzehnten Jahrhundert, nach dem dreissig-
jährigen Kriege kam dieses Veredlungsgewerbe zur Wirkung und das verzierte böhmi
sche Glas zur Bedeutung. Wie auch in anderen Ländern hing auch hier die Glaser
schmelzung in erster Linie vom Vorhandensein der nötigen Holzmenge und dann von
den vorhandenen Rohstoffen, also vom Glasgemenge ab. Und mit den damals vorhan
denen Mitteln konnte nur ein Alkalikalkglas erschmolzen werden, eine sehr streng flüs-
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