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BEISPIEL EINER STADTREGÜLIERUNG
gerundete Platzwirkung zu stände kommen, wenn jeder
Architekt selbstgefällig nur darauf ausgeht, die Werke
seiner Nachbarn in Schatten zu stellen und nach Möglich
keit um ihre Wirkung zu bringen. Derlei muß das En
semble eines Platzes gerade so zerstören, wie im Drama
die Wirkung einer großen Szene vernichtet wird, wenn
die Träger der zweiten und dritten Rollen vordringlich
die ersten sein wollen und die Energie des Direktors
oder Regisseurs fehlt, der sie auf ihren Platz zurück
verweist. Da wäre die starke Hand eines gleichsam bau
technischen Regisseurs schon bei der Konsenserteilung
dringend nötig, und zwar um so dringlicher, als ein Fehler
auf dem Gebiete des Bauwesens nachträglich meist nicht
mehr beseitigt werden kann.
In dem vorliegenden Falle ist jedoch eine Sanierung
möglich, und zwar infolge des zweiten Hauptfehlers dieses
sogenannten Platzes, nämlich: seiner ungeheuren Größe.
Diese endlose Raumleere leistet ihr möglichstes, um die
Wirkung des herrlichen Kirchenbaues auf ein Minimum
herabzudrücken. Man denke sich die Votivkirche an Stelle
von Notre Dame in Paris oder an Stelle des Stephansdomes
zu Wien. Welche Wirkung! Man denke sich umgekehrt
den Stephansdom an Stelle der Votivkirche auf diesem
formlosen, öden Platzmonstrum stehen. Seine Wirkung
würde da ungemein zusammenschrumpfen. Nur die Auf
stellung und die ganz ungeschickte Parzellierung sind hier
Schuld daran, daß man oft hören kann: Die Votivkirche sei zu
klein geraten, sie sehe wie ein Modell aus und nehme sich be
sonders von der Seite sonderbar aus. Beides ist richtig, aber
die Ursache dieser unbefriedigenden Wirkung liegt nicht in
dem meisterhaft durchgeführten Bau, sondern im Platz. Es
wurde ja schon früher hinlänglich dargetan, daß ein gotischer
Kirchenbau die volle Freilegung und vor allem eine gänzlich
freie Seitenansicht aus großer Entfernung nicht verträgt.
Hiemit sind die Ursachen des Übels bloßgelegt. Eine
Sanierung ist jetzt nicht mehr schwer anzugeben. Es