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Volltext: Lampengeblasenes Glas aus Wien

Schaffens verstehen, beurteilen wollen, müssen wir vor allem die besonderen Eigenschaften des 
betreffenden Materials und seine Bearbeitung kennen, denn aus den Eigenschaften des Materials 
ergibt sich die Art seiner Bearbeitung und damit die Form. 
Nehmen wir zunächst einmal die Vasen dieser Werkstätten vor, so sind das meist hohe, schlanke 
Gefäße, in denen man nur einige wenige Blüten aufzubewahren vermag. Es sind röhrenförmige 
Gebilde, die sich immer wieder zu kleinen kugelartigen Formen erweitern. Die breite, bauchige 
Vase mit der großen Öffnung zur Aufnahme eines ganzen Blumenstraußes, wie sie uns von kera 
mischen Arbeiten so geläufig ist, kommt verhältnismäßig nur selten vor. Damit ist aber nicht ge 
sagt, daß etwa weit ausladende Formen fehlen würden, nur gehen diese breiten, kugelförmigen 
Gebilde fast immer wieder nach oben zu in schmale, röhrenförmige Formen über. 
Wie ist das also zu erklären? Ist es nur der Formwille des Gestalters, der gerade aus irgend wel 
chen ästhetischen Gründen diese Art des Aufbaus bevorzugt, oder ist es das Material, das solche 
Formen bedingt? Die Bimini-Gläser werden im Gegensatz zu den alten venezianischen Gläsern 
nicht aus flüssiger Glasmasse mit der Glasbläserpfeife geblasen, sondern man bläst sie an der 
Lampe aus Glasröhren, wie sie die Glasfabrik liefert. Wird nun das Ende einer solchen Glasröhre 
über der Lampe durch Erhitzen geschlossen und bläst man nun hinein, so entstehen am erhitzten 
Teil kugelartigen Formen, deren Größe von der Stärke abhängt, mit der geblasen wird. Damit ver 
stehen wir nun schon, daß Röhren, zylindrisch oder konisch gebildet, sowie kugelartige Formen 
die Gestaltung beherrschen müssen. Betrachten wir nun die Vasen, so wird uns jede einzelne 
ihrer Formen klar, wir sehen nahezu, wie sie an der Lampe entstanden sind. Formen aber, die 
dermaßen deutlich die Art ihrer Entstehung und damit die Art ihres Materials zum Ausdruck brin 
gen, nennt man materialgerechte Formen. Die Materialgerechtheit war bekanntlich eine der 
Hauptbedingungen, die man neuerlich vom Kunstgewerbe forderte, als es vor zwei, drei Jahr 
zehnten wieder begann, schöpferisch zu werden. Die Schönheit dieser Vasen steht somit auf 
dem sicheren Grund des Materialgerechten, der künstlerische Wert dieser Vasen aber ruht im 
Wohlklang ihrer Formenverhältnisse. 
Neben den Vasen stellen die Bimini-Werkstätten auch Glasplastiken her. In zweierlei, völlig ver 
schiedenen Techniken werden sie angefertigt. Entweder sind es geblasene, also innen hohle Fi 
guren, wobei sich die Art ihrer Erzeugung nicht wesentlich von der Herstellung der eben bespro 
chenen Vasen unterscheidet, nur erfordern sie mehr Geschicklichkeit, mehr Feinarbeit des Blä 
sers. Oder aber es handelt sich um gezogene Figuren, die man über der Lampe durch Ziehen von 
vollen Glasstäben, also nicht durch Blasen von Glasröhren, anfertigt. Es ist dies eine völlig neue 
Technik, die von diesen Werkstätten erst geschaffen wurde, wie auch die Kunstglasbläserei über 
haupt für Wien neu ist, da es in dieser Stadt, mit Ausnahme eines im sechzehnten Jahrhunderts 
eingewanderten Italieners, der sich ein oder zwei Jahrzehnte in Wien aufhielt, noch niemals eine 
solche Werkstätte gegeben hat. Nun, bei beiden Arten von Glasplastiken müssen wir uns von 
vornherein klar sein, daß es sich da nicht um Figuren und Tiere handeln kann, die eine möglichst 
weitgehende Illusion der Wirklichkeit erstreben. Sie können und dürfen sie nicht erstreben, weil 
man das Glas gleichsam vergewaltigen müßte, wollte man mit ihm solche Kunststücke aufführen. 
Wieder müssen wir vor allem verlangen, daß sie das Wesen des Materials, aus dem sie gestaltet 
wurden, nicht verleugnen. Nun, wenn man diese schlankgliedrigen Figürchen betrachtet, so sieht 
man ohneweiters die kennzeichnende Form der ursprünglich weichen, träg-beweglichen und nun 
erstarrten Glasstabteilchen. Diese auf alle Naturnähe verzichtende Gestaltung entstand nicht aus 
einer Anlehnung an bestimmte moderne Plastiken, sondern einzig aus den Bedingungen der An 
fertigung. Die Herstellung, das Ziehen des Glases, beherrscht die Form; gezogen sehen alle 
diese Figuren aus. Damit aber sind sie befähigt, den Bewegungsrhythmus, der in einer lebhaft be 
wegten Gestalt lebt, zum Ausdruck zu bringen. Diese kleine lichte Geisterwelt erhebt nicht den 
Anspruch, für große Kunstwerke genommen zu werden, und dennoch ist die Melodie ihres For 
menflusses von einer ganz einzigartigen Schönheit. 
Dem Glas gegenüber, diesem durchsichtigen Material, das.sich so sehr für hauchzarte feinglled- 
rige Formen eignet, ist die Keramik, der gebrannte Ton, von irdischer Schwere. Aus einem wei 
chen feuchten Tonklumpen formt man die Keramik. Demgemäß wird die Keramik immer breite, 
schwere Formen bevorzugen. Die geometrisch genauen Umrißlinien der Glasarbeiten - es sei ge 
stattet, Gläser deshalb mit den Wachträumen eines Mathematikers zu vergleichen - können zwar 
bei Töpferarbeiten auf der Drehscheibe ebenfalls erreicht werden, aber nie erlangen sie die phan 
tastische Formenvielfalt und Formenbeweglichkeit des Glases. Im übrigen aber macht den Reiz 
der Keramik gerade die nicht ausgeglichene Form aus. Sieht man gleichsam den Arbeiten noch 
die Hand des Gestalters an, der den Tonklumpen knetet, drückt, hier Teile herausnimmt, dort wie 
der welche anfügt, dann kommt der Charakter der Keramik am deutlichsten zum Ausdruck. Die 
keramische Figur wird daher der Wirklichkeitsform näherkommen können, als die Glasplastik. Nie 
aber darf sie ihre Entstehung verleugnen. An den keramischen Arbeiten der Bimini-Werkstätten 
können wir sehen, wie sehr die Künstler, vom Wesen des Materials ausgehend, ihre Keramiken 
gestalten. 
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