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Stadtentwicklung.
Rathaus, die Ordenskirchen der Deutschen Ritter und Malteser, endlich die Hofburgkapelle.
Zahlreiche andere mittelalterliche Kirchen mußten späteren Bauten den Platz räumen.
Von den Werken der profanen Baukunst des Mittelalters besteht in Wien kein ein
ziges mehr. Selbst der im 14. und 15. Jahrhundert hergestellte Umbau der babenbergischen
Herzogsburg, ein quadratischer, an den Ecken von Türmen flankierter Bau im Ausmaße des
heutigen Schweizerhofes, erlitt später so viele Veränderungen und Erweiterungen, daß von
ihm heute ebensowenig zu erkennen ist wie von dem im Jahre 1445 neugebauten Rathause
in der Wipplingerstraße. Die Wohnhäuser der Bürger erhoben sich, wie wir aus Beschreibungen
und Abbildungen wissen, in der Regel auf schmalen und tiefen Grundstücken mit einem bis
zwei Stockwerken über das Erdgeschoß und waren allenthalben mit Giebeln, Erkern, Türmen
und ,.Lauben“ (Bogenhallen) geschmückt. Da bis zum 15. Jahrhundert die Sitte herrschte, die
Fenster der bürgerlichen Wohnhäuser mit Tuch, Leinwand oder Pergament zu verschließen,
erwähnt Äneas Sylvias, der nachmalige Papst Pius II., in seiner berühmten Beschreibung Wiens
(Mitte des 15. Jahrhunderts) als besondere Merkwürdigkeit der Stadt: „Überall sind Fenster
von Glas.“ Seine weitere Bemerkung: „die Häuser sind von innen und außen bemalt“ läßt
darauf schließen, daß in Wien schon im Mittelalter nicht wie in Deutschland der Rohziegelbau,
sondern der Mörtelverputz der Fassaden in Übung war.
Von den vielen Wahrzeichen, die in jener Zeit meist als Schilder an den Häusern
angebracht wurden, haben sich nur wenige erhalten; von diesen seien erwähnt: die „Taufe
im Jordan“ (Judenplatz Nr. 2), der „Wappenengel“ (am Alten Rathaus), das „Wintermännchen“
(Tuchlauben Nr. 26), der „Basilisk“ (Schönlaterngasse Nr. 7), endlich der sagenumwobene
„Stock im Eisen“ (Stock-im-Eisen-Platz Nr. 3).
Von der Baupolizei im Mittelalter sind nur einzelne Bestimmungen auf uns gekommen.
Die Häuser konnten im ältesten Landrecht nur bis zur Höhe zweier Stockwerke erbaut werden.
Die Straßen wurden wohl durchwegs eng undunregelmäßig angelegt; für den Wagenverkehr
waren nur bestimmte Straßen und auch diese nur zu gewissen Stunden des Tages eingerichtet;
im übrigen waren sie aber auch noch im 15. Jahrhundert durch Ketten abgesperrt. In den
Straßen liefen Gräben zur Ableitung des Unrates, die nur teilweise mit Holz oder Steinen
überdeckt waren. Das Trinkwasser scheinen die Bürger Wiens im Mittelalter bloß aus
Brunnen bezogen zu haben; auf mehreren Plätzen standen kleine, öffentliche Radbrunnen.
III. Entwicklung in der neuen Zeit.
Die Türkenbelagerung vom Jahre 1529 hatte gezeigt, daß die bisherige Befestigung der
Innern Stadt nicht ausreiche; im Jahre 1532 erneuerte sich die Gefahr, und als 1541 der von
den Türken eroberte Teil Ungarns ein türkisches Paschalik geworden, war Wien eine Grenz
stadt, welche die osmanischen Heere in wenigen Tagemärschen erreichen konnten. Die
Umwandlung der Stadt, dieser „Vormauer der Christenheit“, in eine nach den Grundsätzen
der neuen Befestigungskunst angelegte Festung wurde jetzt so allgemein als ein Akt der Not
wehr empfunden, daß nicht nur die Prälaten, der Adel und die Städte der österreichischen
Lande, sondern auch die deutschen Reichsfürsten und Städte, das reiche Haus Fugger, selbst
die Pitti in Florenz freiwillige Beiträge zu den großen Kosten leisteten. Die Arbeiten für den
Bau der Festungswerke kamen aber nur langsam zur Ausführung, da mit den nur allmählich
fließenden Mitteln sowohl Wien als auch Raab und Komorn neu befestigt wurden. Noch lange
blieben neben den neuen Bastionen die alten Stadtmauern und Türme stehen, so daß noch
auf H. Lautensacks Ansicht der Stadt Wien vom Jahre 1558 (siehe Abb. 7, S. 52 und 53 1 )
den Mauern nur Erdwälle vorgebaut sind und selbst auf J. Houfnagels Vogelperspektive vom
Jahre 1609 (siehe Tafel IIP) an der Donauseite in der Gegend des Rotenturmtores noch die
alte Befestigung mit ihren Zinnenmauern, Palisaden und mittelalterlichen Türmen dargestellt
erscheint. Ja die gänzliche Fertigstellung der Festungswerke verzögerte sich bis in die zweite
Hälfte des 17. Jahrhunderts. Da dann diese Werke bis zurZeit der napoleonischen Invasionen
i) Das Bild von Hans Sebald Lautensack vom Jahre 1558 (im Städtischen Museum) stellt in einer Radierung das Strafgericht
Gottes gegen Sanherib — als Anspielung auf die erste Türkenbelagerung — mit der Stadt Wien im Hintergründe dar. Dieses Stadt
bild (ohne den Vordergrund) veröffentlichte Alb. v. Camesina im Jahre 1854 im ersten Bande der Berichte und Mitteilungen des
Altertumvereines und widmete dem Städtischen Museum ein koloriertes Exemplar seiner Lithographie, nach welcher Abb. 7 ange
fertigt wurde. Breite des ganzen Bildes im Originale: M5 m, der abgebildeten Ausschnitte zusammen: 0-90 m. Man beachte die vier-
türmige Hofburg sowie die Vorstadthäuschen und Gärten unmittelbar vor der Stadtmauer.
2 ) Die Zeichnung von Jacob Houfnagel hat Johann L. Vischer im Jahre 1609 in Amsterdam gestochen.
Museum befindliche Kupferstich, nach welchem Tafel III angefertigt wurde, gehört der Auflage vom Jahre 1640 an, der
bisher aufgetrieben werden konnte. Breite des Originales: 1*53 m. Das Bild zeigt die alten Giebelhäuser sowie die
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Der im Städtischen
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- 0 Peterskirche,
Schottenki?che u. s. w. vor dem Umbau. Von den an den Festungsgraben anschließenden alten Vorstädten bestanden damals nur
mehr jene zwischen der Stadt und dem Wienflusse.