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Stadtentwicklung.
Eine Förderung erfuhr die Bautätigkeit in Wien endlich auch durch die im Zuge befind
liche Auflassung mehrerer alter Kasernen, für welche man Ersatzobjekte in den äußeren
Bezirken baut, während die freigewordenen Gründe im Gesamtausmaße von etwa 25 ha par
zelliert werden. Diese Parzellierung bietet die letzte Möglichkeit, in allzu dicht bebauten alten
Stadtteilen einige Plätze mit öffentlichen Gärten anzulegen. Es wäre im allgemeinen Interesse
zu wünschen gewesen, daß das Ausmaß der letzteren durch das die Baustellen verwertende
Konsortium, in dem doch Staat und Gemeinde entscheidende Stimmen haben, in ausreichen
derer Weise festgesetzt worden wäre. Bis jetzt wurden demoliert und zum Teil der neuen
Bebauung zugeführt: die Franz Josefs-, Gumpendorfer und Josefstädter Kaserne, ebenso die
im Besitze der Gemeinde gewesene Getreidemarktkaserne.
Durch die Einbeziehung der Vororte und die Genehmigung des Programmes für die
öffentlichen Verkehrsanlagen war es der Gemeinde auch möglich geworden, endlich an eine
Arbeit zu schreiten, deren Notwendigkeit der Österreichische Ingenieur- und Architekten-Verein
mittels wohl motivierter Denkschriften wiederholt (in den Jahren 1877, 1886 und 1891) angeregt
hatte: an die Schaffung eines Generalregulierungsplanes für ganz Wien. Da bisher
für größere Gebiete des Stadtinnern nur ausnahmsweise einheitliche Bebauungspläne aufgestellt
wurden, behalf man sich hier gewöhnlich nur mit der Festsetzung der Baulinien für be
stimmte Häuser oder Straßen, während sich die Vororte nach einzelnen mangelhaften Be
bauungsplänen entwickelten, die weder auf einander noch auf die Bedürfnisse der Zukunft
Rücksicht nahmen. Zur Beschaffung einer Grundlage für einen das ganze Gemeindegebiet
umfassenden, nach weiten Gesichtspunkten projektierten Generalregulierungsplan schrieb
daher am 3. November 1892 die Gemeinde Wien einen öffentlichen Wettbewerb mit einjähriger
Frist aus, verlautbarte aber gleichzeitig mit Rücksicht auf die Dringlichkeit der Verwertung der
Franz Josefs-Kaserngründe, d. i. des sogenannten Stubenviertels, einen Konkurs zur Beschaffung
eines Bebauungsplanes für dieses Gebiet mit dreimonatlicher Frist. Bei der letzteren Konkurrenz
erhielten den ersten Preis: die Brüder Mayreder, den zweiten: H. Goldemund und den dritten:
A. Streit; bei dem Wettbewerb für den Gesamtplan die beiden ersten Preise: J. Stübben (Köln)
und O. Wagner; die drei zweiten Preise: die Vereinigung Bach, Reinhold und Simony, die
Brüder Mayreder sowie E. Faßbender; die drei dritten Preise: L. Baumann, A. Frühwirth
(Frankfurt) sowie Lasne und Heindl (München). Zur Verwertung des so gewonnenen Materiales,
beziehungsweise zur Ausarbeitung eines endgültigen Regulierungsplanes schuf die Gemeinde
Ende 1894 im städtischen Bauamte ein dem Stadtbaudirektor unterstelltes Bureau mit dem
Ingenieur H. Goldemund als technischen Leiter. Gleichzeitig berief man in das Bureau, behufs
Wahrung der künstlerischen Rücksichten, den Verfasser dieser Mitteilungen provisorisch als
Chefarchitekten, in welcher Stellung derselbe acht Jahre lang tätig war.
Da für die Ausgestaltung des Stubenviertels der Wagnersche Plan bereits genehmigt war,
als das Regulierungsbureau gegründet wurde, bildete die erste Aufgabe desselben die Ver
fassung der Pläne für die „Wienzeile“, jenes großartigen Boulevards, der sich nach einstiger Ein
wölbung des Wienflusses vom Stadtpark bis nach Schönbrunn erstrecken wird, sowie der
Pläne für die Ausgestaltung der anschließenden Plätze nächst dem Beethovenplatze, dem
Schwarzenbergplatze und der Karlskirche. In diesen Gebieten längs des Wienflusses war die
Verfassung des Stadtregulierungsplanes teils abhängig von den Projekten für die Stadtbahn
und die Wienflußregulierung, teils konnte sie diese Projekte noch beeinflussen.
Die größten Durchführungsschwierigkeiten bietet die weitere Regulierung der inneren,
dicht bebauten Stadtteile. Obwohl es für eine gedeihliche Entwicklung unserer Stadt allgemein
als dringend notwendig erkannt wird, in der Altstadt mehrere Durchbrüche herzustellen, also
jene Arbeit auszuführen, die zu den glänzendsten Taten anderer Großstädte zählt (was haben
in dieser Beziehung nicht nur Paris, sondern auch viel kleinere Städte, wie Frankfurt, Budapest
u. s. w. geleistet!), behilft sich die Gemeinde in Wien bei dem allmählich fortschreitenden
Umbau, mangels eines Expropriationsgesetzes, größtenteils nur mit Straßenerbreiterungen und
läuft täglich Gefahr, die schlimmsten Präjudizien für die Zukunft zu schaffen. So wurde auch
die Gelegenheit versäumt, anläßlich des Umbaues der Häuserinsel zwischen Bogner- und Nagler
gasse eine großstädtische Verbindung vom Graben zur Freiung hcrzustellen, wie auch^der
zur Entlastung der Rotenturm- und Kärntnerstraße notwendige Straßenzug, welcher den öst
lichen Teil der Innern Stadt vom Donaukanal bis zum Kärntnerring durchqueren und gleich
zeitig assanieren soll, noch immer der Genehmigung harrt. Von diesen und ähnlichen Vor
schlägen des Regulicrungsburcaus wurden bis jetzt zur Ausführung bestimmt nur: die Fort
setzung der Brandstätte bis zu den Tuchlauben; die Fortsetzung der Sterngasse bis zur Roten-