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Die Entwicklung der Architektur Wiens in den letzten fünfzig Jahren.
sich auf ein repräsentatives Bauen. Vorher stellte sich schon A. Hefft ein mit dem in seiner
Vornehmheit doch etwas nüchternen, nur durch seine Pavillondächer sich hervorhebenden
neuen Palais des Erzherzogs Albrecht (1861); dann Zenetti und Heinrich Adam mit dem
distinguierten Bau des Palastes des Herzogs Philipp von Württemberg am Kärntnerring, jetzt
Hotel Imperial (1866). Jener früheren Epoche gehört auch das in der ursprünglichen Anlage
edelwirkende, an Sansovino leichthin erinnernde Künstlerhaus von August Weber an (eröffnet
am 1. September 1868), später mehrfach erweitert; dann vorher noch der Kursalon im Stadt
park von J. Garben (1867), ein Stück üppiger französischer Gartenarchitektur.
IV.
Ehe wir dieser im modernen Wien vorherrschenden Baurichtung weiter nachgehen,
müssen wir vorerst an einen unserer großen Architekten herantreten, der durch seine starke
Persönlichkeit und Willenskraft einen entscheidenden Einfluß sich fast zu erzwingen verstand: dies
war Friedrich von Schmidt (geb. zu Frickenhofen in Württemberg 1825, gest. zu Wien 1891).
Wie Hansen von Athen herüberkam, so stieg Schmidt, der „deutsche Steinmetz“, von den
Gerüsten des Kölner Domausbaues (unter Zwirner) herab, um dann über Berlin, Quedlinburg
und über Crefeld im Jahre 1857 seinen Weg nach Österreich zu finden, wo er — merkwürdig
genug — zuerst als Lehrer an die Kunstakademie in Mailand berufen wurde. Sein ganzes Be
streben war darauf gerichtet, die Gotik als aktuelle Baumacht ebenso in der Gegenwart zur Geltung
zu bringen, wie Hansen in gleichem Sinn seine Antike durchzusetzen bemüht war. Was sonst
bis dahin in Wiener Neugotik von Rösner bis auf Bergmann (von letzterem die Elisabethkirche
auf der Wieden) getan wurde, ging übereine gewisse solide Tüchtigkeit nicht hinaus. Schmidts
stilistisches Programm, obgleich er wohl auch nicht mit hochgestellten Aufgaben begann, gab
sich jedoch in seiner Bedeutsamkeit von einem Bau zum anderen immer deutlicher zu er
kennen. Er führte zunächst eine stattliche Reihe von Kirchenbauten aus, und nur ein nicht
kirchlicher Bau — die ziemlich hart und trocken geratene Schulburg des akademischen Gym
nasiums — trat inzwischen herein. Schmidts Kirchen entstanden je nach Bedarf in den Vor
städten und damaligen Vororten: die Lazaristenkirche an der Mariahilfer Linie (1862), die
St. Otmar-Kirche unter den Weißgerbern (1872), die Pfarrkirche in der Brigittenau (1874),
die geistreich-originelle Kuppelkirche in Fünfhaus (1875) und eine zweite Kirche der Laza
risten in Währing (1878). In jeder derselben löste der Meister ein selbständig erfaßtes kon
struktives Problem bei größter Sparsamkeit in den Baumitteln (Ziegelrohbau mit Haustein an
den Ecken und Gliederungen). Eine um die andere dieser Kirchen ist — je nach ihrer Art —-
ein sehr charakteristisches Lehrexempel einer neuerstandenen, wieder produktiv gewordenen
Gotik. Das Verhältnis, in welches sich Schmidt zu seiner Aufgabe gestellt hat, ist ein völlig
eigentümliches und muß als solches scharf genommen werden. Er hat nicht in den fertigen
Formenschatz des gotischen Stils mit bequemer Hand hineingegriffen; er faßte seine Gotik an
der Wurzel, nicht an den Ranken und an der Blüte; er wollte sie aus ihrem Fundament
heraus wieder aufwachsen lassen und aus ihren konstruktiven Prinzipien neu beleben. Hierin
unterscheidet sich Schmidt sehr bestimmt von Ferstel, welcher in seiner Votivkirche eine Antho
logie jener gotischen Motive, die ihm als die schönsten galten, eklektisch zusammenstellte.
Schmidt weicht mit Absicht den verfeinerten und geschmeidigeren Formen aus, welche dem
Höhepunkt des Stils oder gar der Spätgotik angehören; er hält sich an den Stil dort, wo der
selbe am derbsten und herbsten ist, damit er ja von seinem Charakter nichts einbüße. Daher
sein häufiges Zurückgreifen auf die Frühgotik bis zu jenem Punkt, wo sie sich kaum erst vom
romanischen Stil losgelöst hat. Daher denn auch seine Vorliebe für massige Rundpfeiler mit
Kleeblättern an den Basisecken in der Hallenanlage (schon im akademischen Gymnasium, auf
höherer Stufe in den Arkaden des Rathauses nach der Straße und im Hof); daher ferner die
einfachste und strengste Anordnung der Dienste an den Bündelpfeilern seiner Kirchenschiffe,
sowie die möglichste Vereinfachung des Maßwerkes; dagegen wieder die Umbildung des Stab
werkes in kräftige Kleinsäulen mit Blätterkapitälchen u. s. f. Deutlichkeit und entschiedener
Ausdruck der Konstruktion war für Schmidt die Hauptsache, doch oben in der Höhe des
Baues, in der luftigen Abschlußarchitektur wird der strenge Konstruktor zum Baupoeten, zum
Romantiker. Wir brauchen nur auf die phantasievollen Turmbildungen des Rathauses hinzu
weisen, das uns an späterer Stelle noch beschäftigen soll.
Die Würdigung der restauratorischen Tätigkeit Schmidts als Dombaumeister gehört eigent
lich nicht in diesen Zusammenhang, doch können wir seine rettende Tat am Stephansturm
nicht unberührt lassen, dessen Helm er durch ein Meisterstück der Rekonstruktion wieder aufrichtete.