Katholische Kirchen des Mittelalters.
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folgern, Dombaumeister Schmidt und Dombaumeister Jul. Hermann, restauriert worden. Zwischen
diesen Giebeln wachsen je drei Strebepfeiler empor, viel reicher an Zier als die des Chores.
Blendmaßwerk schmückt die Flächen, am höchsten Absatz steht ein Baldachin, für Statuen
bestimmt, darüber eine kleine krabbenbesetzte Fiale; der Körper des Strebepfeilers aber setzt
sich wesentlich schwächer weiter aufwärts fort und endet über der Galerie, die sich an den
Langseiten bis zu den Heidentürmen hinzieht, wieder in eine Fiale. Zwischen den Streben ist
die Wand von je zwei reich gegliederten Fenstern durchbrochen. Paneelwerk überzieht die Zwickel
zwischen denselben. Der vierte Strebepfeiler vom Turm ab bildet die Ostwand der westlichen,
die Fassade verbreiternden Kapellen. Er hat noch Gliederung und Baldachin der anderen drei.
Das Untergeschoß der beiden zweijochigen Kapellen stammt aus der Mitte des 14. Jahrhunderts
und ist reicher durchgebildet als das obere, das erst im 15. Jahrhundert aufgesetzt wurde, um
die Heidentürme, die durch den Abbruch der alten Gewölbe während des Langhausneubaues
gelitten hatten, seitlich zu stützen. Der inneren Jochteilung entspricht außen ein Strebepfeiler
mit tiefer sitzendem Baldachin. Die Lösung des Eckpfeilerproblems ist derart, daß weder dem
Anblick von der Langseite noch der Wirkung der in den unteren Partien zum größten Teil
romanischen Fassade Eintrag geschieht. Eben deshalb hat der Meister an der Westseite der
zwei unteren Kapellen Rundfenster angebracht.
An der Westfassade, deren Erhaltung ein Hauptprogrammpunkt für den Neubau war,
hat die gotische Zeit manche ästhetisch weniger befriedigende Änderungen vorgenommen. Die
beiden früher selbständigen Heidentürme mußten zugunsten der gotischen Gesamterscheinung
in der riesigen Dachfläche ihren Untergang finden. Die Höhe der Westfassade bis zur Galerie
beträgt 30 m, ihre gesamte Breite 44 m. Der Vorraum unter der Orgelbühne, den man durch
das Riesentor zunächst betritt, ist selbst nach der in gotischer Zeit (15. Jahrhundert) voll
zogenen Erhöhung der Empore gegenüber der Breite zu nieder. Die spätgotische Architekturzier
der Vorderseite der Empore gibt in ihrer Ausdehnung ungefähr die Breite des romanischen
Baues an. Die nach ihren Stiftern genannte nördliche Tirnakapelle hatte ihren Eingang
ehemals in der Halle unter der Empore, ebenso die südliche, nach Rudolf IV. und seinen
Brüdern benannte Herzogenkapelle. Die ostwestliche Länge beträgt lim, die nordsüdliche
Breite 6 m, die Höhe 13'30m. Die Wanddienste der beiden Kapellen haben in der Höhe des
Kaffgesimses eine Auskröpfung, die als Sockel einer Statue mit Baldachin bestimmt ist, ähnlich
wie in der um 1400 entstandenen Freisingerkapelle in Klosterneuburg.
Das Mittelschiff der Kirche ist bis zum Querhaus 50m lang und 13m breit, die
Seitenschiffe haben je 11 m Breite. Das Mittelschiff hat 28m Höhe, um 6m mehr als die
Seitenschiffe. Diese bedeutende Überhöhung läßt die Wölbung des Mittelschiffes ganz in der
Dämmerung verschwinden, gehört jedoch zu den Eigentümlichkeiten der Wiener Bauschule
und führt in der Badener Pfarrkirche zu einer Art Basilika ohne Oberlichtgaden. Vier schlanke
Pfeilerpaare tragen das reiche, aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammende Netzgewölbe. Die
reichen Laubwerkkapitäle fehlen den bis zum Sockel herabreichenden Gliederungen der Scheid
bögen. ln halber Höhe schmückt die Pfeiler ein sonst unerreichter Reichtum von je sechs hoch-
aufgebauten Baldachinen mit Statuen. Die Wände unter den Fenstern beleben Wandtriforien
in reicher Zier. Das Maßwerk der Fenster ist edel durchgebildet.
So ist das Langhaus von St. Stephan der weiträumigste und prächtigste Hallenbau in
deutschen Landen, und wenn er infolge der erwähnten mannigfachen Unregelmäßigkeiten auch
nicht zu den schönsten gezählt werden kann, so verleihen ihm gerade diese, im Vereine mit
anderen später hinzugekommenen Zufälligkeiten, jenen eigentümlichen, mehr auf das Gemüt
des Beschauers wirkenden Zauber, der den Innenraum des Stephansdomes zu einem der
malerisch reizvollsten Raumbilder überhaupt macht.
Am zweiten Pfeiler links steht die in den verwickelten Formen der spätesten Gotik der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts ausgeführte Kanzel (Tafel 1). Als Meister wurde Anton Pilgram ver
mutet. Im Unterbau sind die vier lateinischen Kirchenväter und eine Menge von kleinen Statuen
eingefügt, im Schalldeckel die sieben Sakramente und am Deckgesimse der Wendeltreppe
kriechen Frösche und allerlei anderes Getier hinan. Drei gotische Baldachine erinnern auch
hier an den Regensburger Einfluß. Statt des am Nordturm von Meister Oechsel begonnenen vierten
Baldachins setzte Meister Anton Pilgram von Brünn nach einem sagenhaften Künstlerstreit mit
Oechsel eine kleine Orgelbühne hoch oben an die Wand; darunter sein Bildnis. Ein Meister
werk ist der Taufstein 1 ), der nach einem aus Nürnberg bezogenen Entwurf 1481 durch Meister
J ) Neuwirth, Aus der Baugeschichte von St. Stephan. Monatsblätter des Wiener Altertumsvereines. 1902.
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